Geschichte

Historische Debatten (9): Nato-Doppelbeschluss

Dutzende Menschen in dunklen Uniformen und mit weißen Helmen stehen dichtgedrängt in mehreren Reihen. Die hinterste Reihe stemmt sich mit den Händen gegen die Rücken der Menschen vor ihr.
Der Grünen-Abgeordnete Gert Bastian steht an einem Rednerpult.
Schwarz-Weiß-Aufnahme eines großen Fahrzeuges zum Transport und Abschuss von Raketen.
Zwei Männer in Militäruniform arbeiten an einer Rakete.
Bundeskanzler Helmut Kohl und CDU-Generalsekretär und Bundesminister für Familie Heiner Geißler sitzen nebeneinander, die Köpfe einander zugewandt und unterhalten sich.
Der Grünen-Abgeordnete Otto Schily steht an einem Rednerpult und hält ein Tuch mit der Aufschrift Umkehr zum Leben hoch.
Verteidigungsminister Manfred Wörner vor Mikrofonen.
Altbundeskanzler Helmut Schmidt steht an einem Rednerpult und gestikuliert.
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Theo Waigel, steht an einem Rednerpult und hält mit der linken Hand ein Papier hoch.
Im vollbesetzten Plenarsaal halten einige Abgeordnete Plakate hoch, auf denen Kriegsopfer zu sehen sind.
Die Grünen-Abgeordnete Petra Kelly steht an einem Rednerpult und hält ein Plakat mit der Aufschrift Wirst du sagen, du hast nichts gewusst? hoch.
Zahlreiche Menschen stehen dichtgedrängt auf einer Straße. Einige von ihnen halten Transparente hoch. Auf einem Transparent steht: Jeder kann durchblicken, was ihr hier macht.
Der SPD-Abgeordnete Egon Bahr steht an einem Rednerpult.
Zahlreiche Menschen stehen auf einer Straße. Einige von ihnen halten Transparente hoch. Im Vordergrund bilden Menschen in dunklen Uniformen und mit weißen Helmen eine Menschenkette.
Ein Mann mit kurzem Haar und einem Verband an der linken Hand wird auf der Straße von zwei Männern abgeführt. Der eine trägt einen weißen Helm, der andere eine Schirmmütze.
Der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Raegan sitzen nebeneinander an einem Tisch und schreiben etwas auf Papiere, die vor ihnen liegen. Hinter ihnen sind die US-amerikanische und die sowjetische Flagge zu sehen.

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22.11.1983: Anhänger der Friedensbewegung protestieren gegen den NATO-Doppelbeschluss. Polizei und Bundesgrenzschutz sichern die 'Bannmeile' um das Regierungsviertel ab, die den Bundestag vor Protestkundgebungen jeglicher Art schützen soll. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ludwig Wegmann)

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21.11.1983: Gert Bastian, ehemaliger Bundeswehrgeneral und Bundestagsabgeordneter der Grünen, beteiligt sich im Bundestag an der Debatte zum NATO-Doppelbeschluss und zum Stand der Genfer INF-Verhandlungen. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ulrich Wienke)

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Eine SS-20-Rakete. (picture alliance / ITAR-TASS)

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Auf einem Testgelände der US-Armee in Cape Canaveral in Florida wird im Mai 1988 eine Mittelstreckenrakete vom Typ Pershing II für einen Abschuss vorbereitet. (picture-alliance / dpa | Photoreporters 15007)

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22.11.1983: Bundeskanzler Helmut Kohl (links) im Gespräch mit CDU-Generalsekretär und Bundesminister für Familie Heiner Geißler. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Harald Hoffmann)

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22.11.1983: Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Otto Schily, entrollt ein Tuch mit Anti-Rüstungsparole 'Umkehr zum Leben'. Im Bundestag findet eine Debatte zum NATO-Doppelbeschluss und zum Stand der Genfer INF-Verhandlungen statt. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ulrich Wienke)

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22.11.1983: Verteidigungsminister Manfred Wörner warnt während im Bundestag davor, auf die Nachrüstung zu verzichten. Ein Verzicht würde die Sowjetunion ermuntern, weiterzurüsten, ohne Risiken zu erkennen und ihnen letztendlich die Vorherrschaft über Westeuropa verschaffen. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Harald Hoffmann)

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21.11.1983: Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der den NATO-Doppelbeschluss ins Leben gerufen hatte, hält in seiner Rede entgegen der Mehrheit seiner Partei an der Notwendigkeit der Nachrüstung fest. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ulrich Wienke)

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21.11.1983: Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Theo Waigel, beteiligt sich im Bundestag an der Debatte zum NATO-Doppelbeschluss und zum Stand der Genfer INF-Verhandlungen. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ulrich Wienke)

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21.11.1983: Während der Debatte werden von Bundestagsabgeordneten der Grünen, Protestplakate von Opfern von Krieg und Nationalsozialismus im Plenarsaal gezeigt. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Harald Hoffmann)

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22.11.1983: Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Petra Kelly, entrollt ein Plakat mit der Anti-Rüstungsparole 'Wirst du sagen, du hast nichts gewusst?'. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

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22.11.1983: Anhänger der Friedensbewegung protestieren gegen den NATO-Doppelbeschluss. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ludwig Wegmann)

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21.11.1983: Egon Bahr, Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD), während der Debatte zum NATO-Doppelbeschluss und zum Stand der Genfer INF-Verhandlungen. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ulrich Wienke)

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21.11.1983: Anhänger der Friedensbewegung protestieren in der Heuss-Allee gegen den NATO-Doppelbeschluss. Polizei und Bundesgrenzschutz sichern die 'Bannmeile' um das Regierungsviertel ab, die den Bundestag vor Protestkundgebungen jeglicher Art schützen soll. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ludwig Wegmann)

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21.11.1983: Anhänger der Friedensbewegung protestieren gegen den NATO-Doppelbeschluss. Polizei und Bundesgrenzschutz sichern die 'Bannmeile' um das Regierungsviertel ab, die den Bundestag vor Protestkundgebungen jeglicher Art schützen soll. (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / Ludwig Wegmann)

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08.12.1987: US-Präsident Ronald Reagan (rechts) und der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow unterzeichnen in Washington den INF-Vertrag zur Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen. (picture-alliance / dpa | Photoreporters)

Einige Debatten in der Geschichte des Deutschen Bundestages waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Entscheidungen und Dispute der vergangenen Wahlperioden.

Er war wohl eine der umstrittensten Entscheidungen, die die Nato, das Nordatlantische Verteidigungsbündnis, je getroffen hatte: Am 12. Dezember 1979 fassten die Außen- und Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten bei einer Konferenz in Brüssel den Nato-Doppelbeschluss. Dieser sah Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Abbau der auf Westeuropa gerichteten SS-20-Raketen vor, die die UdSSR seit Mitte der siebziger Jahre zu stationieren begonnen hatte - als Ersatz für ältere Mittelstreckenraketen. Die westeuropäischen Nato-Mitgliedstaaten empfanden das als Bedrohung. Für den Fall eines Scheiterns der Gespräche mit der UdSSR vereinbarten sie daher im Nato-Doppelbeschluss außerdem, dass die USA nach vier Jahren, also Ende 1983, ebenfalls nukleare Mittelstreckenraketen (Pershing II) in Europa stationieren würden.

Massenproteste gegen „Rüstungswettlauf“

Dieses mit einer Aufrüstungsdrohung kombinierte Gesprächsangebot der Nato an die Sowjetunion stieß jedoch bei Teilen der Bevölkerung in den von einer Raketenstationierung betroffenen westeuropäischen Ländern auf Widerstand. Gerade in Deutschland löste die Angst vor einem Atomkrieg breite Proteste aus.

Auf die Friedensbewegung der fünfziger und sechziger Jahre, die seit den Ostermärschen Ende der sechziger Jahre an Bedeutung verloren hatte, folgte Anfang der achtziger Jahre eine neue, erstarkte Friedensbewegung: Hunderttausende konnte sie gegen einen „Rüstungswettlauf“ der Supermächte mobilisieren.

Zu bundesweit organisierten Demonstrationen wie auf der Bonner Hofgartenwiese im Oktober 1981 kamen bis zu 400.000 Menschen. Getragen wurde der Protest vor allem von den Grünen sowie kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen. Aber auch Teile der SPD unterstützten die Forderung der Demonstranten, den Nato-Doppelbeschluss zurückzunehmen und Mitteleuropa zu einer „atomwaffenfreien Zone“ zu machen.

Bundeskanzler unter parlamentarischem Druck

Die Debatte um den Nato-Doppelbeschluss begann daher im Herbst 1981 für die SPD zu einer Zerreißprobe zu werden: Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der 1977 in einer Rede im Londoner International Institute for Strategic Studies die Nato überhaupt erst zum Handeln aufgerufen hatte, um das Übergewicht der Sowjetunion im Bereich der Mittelstreckenraketen auszugleichen, konnte sich der Unterstützung seiner Partei nicht mehr sicher sein.

Am 8. Oktober 1981, dem Tag vor der ersten Großdemonstration in Bonn unter dem Motto „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen“, drängte die Opposition die sozialliberale Koalition, Stellung zu beziehen: Wie steht die Regierung zum Nato-Doppelbeschluss? Wie zu den Kritikern in den eigenen Reihen wie Dr. Erhard Eppler (SPD), der auf der Kundgebung zu den Rednern gehören sollte.

„Sicherheit Deutschlands gefährdet“

Den Organisatoren der Demonstration warf der CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann als erster Redner der Plenardebatte am 9. Oktober 1981 Einseitigkeit vor: Der Protest richte sich hauptsächlich gegen die „Nachrüstung“ der USA, während die Sowjetunion ungeschoren davonkomme. Aber: „Die Gefahr für den Frieden kommt von den sowjetischen Raketen (...), die auf unsere Städte, unser Land gerichtet sind“, betonte der spätere Bundesinnenminister.

Oppositionsführer Dr. Helmut Kohl (CDU/CSU) beschuldigte die Demonstranten zudem, durch ihre Forderung nach einer „Preisgabe des Gleichgewichts“ die äußere und innere Sicherheit Deutschlands zu gefährden.

„Abrüstung nur mit Nato-Doppelbeschluss“

Der Erfolg des Nato-Doppelbeschlusses bestehe doch aber „erkennbar gerade“ darin, dass sich die Sowjetunion nun bereit erklärt habe, „in Verhandlungen über eine Begrenzung der eurostrategischen Waffen“ einzutreten, so Kohl. Das Ziel der Abrüstung sei nur mit dem Nato-Doppelbeschluss zu erreichen. Daher müsse die Bundesregierung an dem Beschluss festhalten. In dieser Hinsicht jedoch sei er skeptisch, so der CDU-Politiker.

Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt sei bereits „aufgebrochen, um eine andere Politik zu machen“, behauptete Kohl. „Herr Bundeskanzler“, sagte er an Schmidt gewandt, „(....) Sie kämpfen mit dem Rücken zur Wand um die Glaubwürdigkeit Ihrer Politik.“

Einsatz für „beiderseitige Null-Lösung“

Als Wegbereiter und Befürworter des Nato-Doppelbeschlusses sagte Kanzler Helmut Schmidt sowohl an die Adresse der Opposition als auch an parteiinterne Kritiker und Demonstranten gewandt: „Ich werde mir das Wort Friedenspolitik und den Inhalt unserer Friedenspolitik von niemandem abhandeln lassen.“

Der Beschluss der Nato habe zu „Verhandlungen zwischen den Weltmächten“ geführt, zu denen es „sonst nicht gekommen wäre“, so der Kanzler. Er wolle sich dafür einsetzen, dass bei diesen Gesprächen das „Gleichgewicht der militärischen Kräfte“ gewahrt bleibe - allerdings auf „niedrigerem Niveau als bisher“. Dies sei eine „realistische Friedenspolitik“.

Als „ideales Verhandlungsresultat“ bezeichnete Schmidt zudem eine „beiderseitige Null-Lösung“, bei der die Nachrüstung der USA entfiele, weil die UdSSR den „Zustand ihrer Hochrüstung bei den nuklearen Mittelstreckenraketen“ selbst beseitige.

„Andersdenkende nicht wie Feinde behandeln“

Das Ziel der „beiderseitigen Null-Lösung“ vertrat auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick: „Es entspricht genau der Forderung, die wir Freien Demokraten (...) 1980 beschlossen haben.“ Er habe keinen Zweifel daran, dass der Nato-Doppelbeschluss mit „seiner Gleichrangigkeit von Nachrüstungsbereitschaft und Verhandlungsbereitschaft“ Wirkung zeige und man dem angesteuerten Ziel näher kommen werde, so Mischnick.

Wer aber gegen den Beschluss der Nato demonstriere, verkenne, dass zur Sicherung des Friedens eben nicht nur der „Wille zum Frieden“, sondern auch der „Wille zur Verteidigungsbereitschaft“ erforderlich sei. Dennoch dürfe man solche „Andersdenkenden“ nicht wie Feinde behandeln, mahnte der Liberale.

Bundestag stimmte 1983 Nachrüstung zu

Rund sechs Wochen nach der Debatte im Bundestag und der Demonstration im Bonner Hofgarten begannen am 30. November 1981 in Genf die Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der UdSSR. Bis November 1983 blieben sie allerdings ohne jedes Ergebnis.

Der Bundestag, seit dem Erfolg des konstruktiven Misstrauensvotums gegen Schmidt und dem Regierungswechsel im Oktober 1982 von einer Koalition aus CDU/CSU und FDP dominiert, stimmte deshalb am 22. November 1983 der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik zu.

Stationierung von Pershing-II-Raketen

Einen Tag danach brach die Sowjetunion die Verhandlungen in Genf ab. Die Bemühungen der Friedensbewegung, mit Friedenscamps, Sitzblockaden und Menschenketten die Nachrüstung noch in letzter Minute zu verhindern, scheiterten: Noch im selben Jahr begannen die USA mit der Stationierung von Pershing-II-Raketen auf deutschem Boden.

Beendet wurde die Streitfrage um die amerikanischen und sowjetischen atomaren Mittelstreckenraketen erst durch die so genannte Doppel-Nulllösung von 1987: Der damalige US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow vereinbarten den Abbau aller nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa. (sas/14.08.2017)

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