Dr. Helene Weber
Helene Weber war Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, des Reichstages und des Parlamentarischen Rates. Vor ihrer Abgeordnetentätigkeit war sie als Schuldirektorin und Ministerialrätin tätig. Weber war eine der bedeutendsten bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Sie gehörte dem Deutschen Bundestag bis zu ihrem Tod 1962 an.
Im ersten Deutschen Bundestag gehört sie zu den erfahrensten Abgeordneten, gilt als enge Vertraute von Konrad Adenauer und zugleich als bürgerliche Frauenrechtlerin der ersten Stunde: Die 68jährige Helene Weber wurde noch im Deutschen Kaiserreich sozialisiert und führte ein für ihre Zeit höchst ungewöhnliches und selbstbestimmtes Leben, das sie an alle wichtigen parlamentarischen Schauplätze Deutschlands brachte.
Am 17. März 1881 wurde sie in Wuppertal-Elberfeld als eines von sechs Kindern des Volksschullehrers Wilhelm Weber und seiner niederländischen Frau Christiane geboren. Ihr Vater war Vorsitzender der örtlichen Zentrumspartei und brachte sie früh in Kontakt mit der gerade entstehenden katholischen Soziallehre. Ihrer Mutter verdankte sie den weiten Horizont, der sie – damals für eine Frau höchst ungewöhnlich – zu einem Auslandsstudium nach Grénoble führte, wo sie französisch lernte. Die sprachbegabte Helene, die auch englisch sprach, begeisterte sich noch vor dem Ersten Weltkrieg für den europäischen Gedanken und leitete später die deutsche Delegation des Europarates in Straßburg. Nach sieben Jahren im höheren Schuldienst übernahm sie 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, die Leitung der Sozialen Frauenschule, zuerst in Köln, dann in Aachen. Bereits in dieser Zeit lernte sie den damaligen Oberbürgermeister in Köln, Konrad Adenauer, kennen. Schon früh erkannte sie die politische Dimension der bürgerlichen Frauenbildungsbewegung und gehörte 1916 zu den Mitgründerinnen des Berufsverbands katholischer Sozialarbeiterinnen. Als 1919 zu Beginn der Weimarer Republik auch das aktive und passive Frauenwahlrecht eingeführt wurde, änderte sich das Leben für Helene Weber grundlegend: Die redebegabte und zugewandte Schuldirektorin wurde nicht nur für die Zentrumspartei in die Weimarer Nationalversammlung gewählt, sondern bekam zugleich einen Posten im Preußischen Wohlfahrtsministerium, zunächst als Referentin und – als erste Frau in diesem hohen Verwaltungsrang – bereits nach einem Jahr als Ministerialrätin. In der Nationalversammlung und später im Reichstag sammelte sie erste Erfahrungen als Parlamentarierin und stieg auch hier schnell auf: 1925 wurde sie Mitglied des Parteivorstands, 1927 kam sie in den Fraktionsvorstand.
Helene Weber erlebte in den dreißiger Jahren als führende Parlamentarierin hautnah mit, wie die Nationalsozialisten Schritt für Schritt die parlamentarische Demokratie aushöhlten und schließlich zerstörten. Am 23. März 1933 stimmte der Reichstag über das so genannte Ermächtigungsgesetz ab, das der nationalsozialistischen Regierung ermöglichte, ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat Gesetze erlassen zu können. In der Probeabstimmung innerhalb der Fraktion sprach sich Helene Weber gegen eine Zustimmung zu dem Gesetz aus, doch bei der Abstimmung im Plenum beugte sie sich der Mehrheitsmeinung in der Fraktion. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor Helene Weber alle ihre Funktionen und Aufgaben, als erstes ihren Posten im Ministerium wegen „politischer Unzuverlässigkeit“. Die nächsten zwölf Jahre bezeichnet sie im Rückblick als „stille Zeit“ des Rückzugs. Dennoch blieb sie nicht untätig: Sie widmete sich der sozialen Arbeit und nutzte dabei ihr inzwischen weitgespanntes Frauen-Netzwerk.
Gleich nach Kriegsende entscheidet sie, nicht wieder zur katholischen Zentrumspartei zurückzukehren, sondern sich der überkonfessionellen CDU anzuschließen. Als einzige Frau ihrer Partei wird sie in den Parlamentarischen Rat berufen und erarbeitet als eine von vier „Müttern des Grundgesetzes“ die Grundlagen des neuen demokratischen Staates. Dem von der SPD vorgeschlagenen Grundrechtsartikel 3 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ stimmt sie jedoch erst nach einigem Zögern zu. Sie ist in Fragen zu Ehe und Familie tief vom naturrechtlichen Denken der Katholischen Kirche geprägt, das von einer grundlegenden Verschiedenheit von Mann und Frau ausgeht und Gleichheitsforderungen eher ablehnt. So setzt sie sich zwar sehr für Frauenbildung und der beruflichen Förderung von Frauen ein, vertritt bei familienpolitischen Fragen jedoch konservative Positionen.
1949 wird sie für die CDU in den Deutschen Bundestag gewählt, dem sie bis zu ihrem Tod 1962 angehören wird. In den kommenden vier Wahlperioden des Deutschen Bundestages ist sie eine geachtete, aber auch gefürchtete Verfechterin des traditionellen katholischen Frauenbildes. Ihre Vorstellungen stammten aus dem 19. Jahrhundert, so ihre Kritikerinnen und Kritiker. Sie spricht sich in den Debatten um die Neuordnung des Familienrechts für den „Stichentschied des Vaters“ aus, der dem Mann in der Familie das letzte Wort bei wichtigen Entscheidungen gewähren soll. Es fällt ihr zunehmend schwer, ihre Haltung den jüngeren Frauen, selbst im Kreis der ihr wohlgesonnenen katholischen Frauenverbände, zu vermitteln. Nichtdestotrotz fördert sie junge Politikerinnen nach Kräften, unterstützt und ermutigt, wo sie nur kann. Unbeirrt fordert sie von Konrad Adenauer, eine Frau ins Kabinett zu berufen, der diesem Drängen schließlich 1961 nachgibt.
Helene Weber, für die bereits als Lehrerin in Preußen das sogenannte „Beamtinnen-Zölibat“ gilt, bleibt zeitlebens unverheiratet. Sie verschreibt ihr Leben ganz der Politik, lebt allein oder zeitweise mit ihrer Schwester. Ihr für die damalige Zeit ungewöhnlich selbstbestimmtes und unabhängiges Leben, ihr Einsatz für Frauenbildung und -rechte sowie ihre konservativen Einstellungen zu Ehe und Familie scheinen jedoch nur aus heutiger Sicht widersprüchlich. Vielmehr speisen sich ihre Auffassungen aus einer religiösen Grundlinie, denn für Helene Weber gibt es zwei Arten, wie Frauen erfüllt und mit Hingabe leben können: Als Ehefrau und Mutter oder als alleinstehende, geistlich verwurzelte Berufstätige. Dass beides zugleich möglich sein kann, bestreitet sie bis zuletzt vehement – was sie nicht selten in Konflikt mit ihren verheirateten Kolleginnen in der CDU/CSU-Fraktion im Parlament bringt, ganz zu schweigen von den Abgeordneten der anderen Fraktionen. Bis zu ihrem letzten Tag bleibt Helene Weber Parlamentarierin. Als sie am 25. Juli 1962 in Bonn stirbt, verliert der Deutsche Bundestag eine der bedeutendsten bürgerlichen Frauenrechtlerinnen der ersten Stunde.
(nw)
Der Text ist entnommen aus dem Buch „Der nächste Redner ist eine Dame“, herausgegeben vom Deutschen Bundestag, erschienen im Ch. Links Verlag, 2024.
Zum Weiterlesen:
Zentrale des Katholischen Deutschen Frauenbundes (Hrsg.): Ernte eines Lebens: Blätter der Erinnerung. Festschrift zum 80. Geburtstag von Helene Weber am 17. März 1961. Köln, 1961.
Regine Marquardt: Helene Weber. In: Das Ja zur Politik : Frauen im Deutschen Bundestag (1949 - 1961). Obladen, 1999.