Rede von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble zur Begrüßung bei der Ausstellungseröffnung „100 Jahre Frauenwahlrecht. 19+1 Künstlerinnen“
[Es gilt das gesprochene Wort]
Mit unseren heutigen Feierlichkeiten – der Feierstunde im Plenum und jetzt dieser Vernissage – greifen wir dem Jubiläum voraus: Erst übermorgen, am 19. Januar, jähren sich die ersten Wahlen in Deutschland, bei denen Frauen wählen und gewählt werden konnten. Vor 100 Jahren.
Dazwischen liegt ein Datum, mit dem heute kaum mehr jemand etwas verbindet. Aber eines, das die Deutschen lange Zeit jedes Jahr feierlich begangen haben: der Tag der Reichsgründung am 18. Januar 1871. Immerhin: Vermutlich jeder, der in Deutschland zur Schule gegangen ist, kennt das Gemälde der Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles. Der Historienmaler Anton von Werner hat die Szenerie als Augenzeuge festgehalten. Es zeigt Kaiser Wilhelm I., eine Reihe deutscher Fürsten, hochrangige Offiziere und Soldaten – und nicht zu vergessen: Otto von Bismarck. Was man darauf nicht sieht: Frauen.
Verwundern wird das niemanden. Es gab weder Bundesfürstinnen, noch Politikerinnen und – selbstverständlich – keine Soldatinnen. Und mit einer gewissen Berechtigung darf man vermuten, dass es nach dem Willen der damals Anwesenden auch keines davon je hätte geben sollen. Womöglich fehlte ihnen dazu aber auch einfach nur die Vorstellungskraft.
Anton von Werner tat sich übrigens auch mit Künstlerinnen schwer, jedenfalls an staatlichen Akademien ausgebildeten Malerinnen, Bildhauerinnen oder Grafikerinnen. Als Direktor der Königlich Akademischen Hochschule für die Bildenden Künste in Berlin wehrte er sich über vier Jahrzehnte und trotz steigenden öffentlichen Drucks – man kann schon sagen: standhaft! – gegen jedes Bestreben, Frauen zum Studium der bildenden Künste zuzulassen. Erst nach der Novemberrevolution schrieben sich dort die ersten Studentinnen ein.
Nur am Rande: Die Nachfolgeinstitution, die Universität der Künste in Berlin – immerhin die größte künstlerische Hochschule Deutschlands – hat bis heute noch nie eine Frau an ihre Spitze gewählt. Demgegenüber nimmt sich der Deutsche Bundestag mit seinen beiden früheren Präsidentinnen geradezu vorbildlich aus. Jedenfalls wenn man einmal großzügig über die drückende Unterrepräsentanz weiblicher Abgeordneter im aktuellen Parlament hinwegsehen wollte.
In der Kunst ging es den Frauen nicht anders als in der Politik, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft und in anderen gesellschaftlichen Bereichen: Sie haben sich ihre Rechte, ihre Möglichkeiten selbst erkämpft. Selbst erkämpfen müssen. Und damit eine kluge Einsicht Louise Otto-Peters‘ bestätigt. Die Vorkämpferin der deutschen Frauenbewegung und spätere Gründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenverbandes hatte bereits 1848 ihre Geschlechtsgenossinnen zum gemeinsamen Handeln aufgerufen – weil die Geschichte aller Zeiten gelehrt habe, „dass diejenigen, welche selbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auch vergessen wurden“.
Dass gleiche Rechte nicht zwangsläufig gleiche Akzeptanz und tatsächliche Gleichbehandlung bedeuten, gehört zu den Erfahrungen, die Frauen heute noch machen, auch in Kunst und Kultur. Im Schnitt verdienen sie weniger, werden seltener ausgestellt, erzielen ihre Werke geringere Preise. Intendantinnen, Museumsdirektorinnen, Dirigentinnen gibt es – sie sind aber immer noch Ausnahmen.
Dabei ist längst bewiesen, dass herausragende Kunst keine Frage des Geschlechts ist. Ebenso wenig wie gute Politik. Allerdings scheint sich die Vorstellung, dass künstlerisches Genie Männern vorbehalten sei, recht hartnäckig zu halten. Hartnäckiger jedenfalls als die Überzeugung, dass ein politisches Spitzenamt nur ein Mann wirklich ausfüllen könne. Eine Ansicht, die man inzwischen wohl als veraltet bezeichnen darf.
Der 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland war für den Kunstbeirat des Deutschen Bundestages Anlass, den Fokus einmal ausdrücklich und ausschließlich auf Künstlerinnen zu richten. Wir haben 20 – jüngere wie etablierte – Künstlerinnen eingeladen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie stammen aus Deutschland, Israel und den USA, aus der Ukraine und der Schweiz, aus Afghanistan, der Türkei und aus dem Iran. Die entstandenen Arbeiten mit ihren ganz unterschiedlichen Assoziationen und Ansätzen verweisen auch auf die Vielfalt unterschiedlicher Erfahrungen und kultureller Lebenswelten, in denen die Künstlerinnen zu Hause waren und sind.
Ich danke allen, die zu dieser Ausstellung beigetragen haben, den Künstlerinnen wie auch den Organisatoren hier im Hause. Herr Dr. Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestag, sowie Frau Volke, die stellvertretende Kuratorin, werden uns die Werke jetzt im Einzelnen vorstellen.
Sie haben das Wort.