12.11.2019 | Parlament

Rede von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble zum Gelöbnis der Bundeswehr vor dem Reichstagsgebäude

[Es gilt das gesprochene Wort]

Anrede

Wir leben in Frieden – seit bald 75 Jahren. Wann gab es das in Deutschland schon einmal zuvor?

Aber wissen wir das wirklich zu schätzen? Im Alltag denken wir kaum darüber nach. Das ist menschlich. Sie aber, die hier versammelten Rekrutinnen und Rekruten, zeigen heute, dass Sie der Frage nicht ausweichen wollen: Was hat die Sicherung des Friedens, den wir alle genießen, eigentlich mit mir zu tun?

Wir leben in Frieden. Und dafür brauchen wir Sie, die Soldatinnen und Soldaten! Denn dieser Friede ist eben nicht selbstverständlich. Sie wollen ihm dienen. Auch das ist nicht selbstverständlich.

Sie leisten künftig Ihren Beitrag dazu, dass unser Land erfüllt, was die Präambel unseres Grundgesetzes fordert: „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.“

Dafür schulden wir Ihnen unseren Dank.

Heute ist für Sie ein ganz besonderer Tag – und sicher auch für Ihre Angehörigen und Freunde, die dabei sind, wenn Sie gleich geloben, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Ich kann mir vorstellen, manche Ihrer Begleiter haben dabei gemischte Gefühle. Weil sie Sie heute in Uniform sehen, in einer Einheit, einer besonderen Gemeinschaft, die Sie fortan bilden werden. Weil sie darum wissen, dass Ihr Entschluss alles andere als belanglos ist – und auch nicht ohne Risiken. Aber ich bin mir sicher, der Stolz wird überwiegen. Weil sich junge Frauen und Männer dazu bereit erklären, für andere einzutreten. Für dieses Land, diese Gesellschaft, für uns alle.

Das ragt gerade deshalb heraus, weil wir in einer Zeit leben, in der sich viele angewöhnt haben, zuerst auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Danach zu fragen, was bietet mir der Staat und nicht, was kann ich dem Gemeinwesen geben. Dagegen setzen Sie ein Zeichen – und das verdient nicht nur das Licht der großen Öffentlichkeit. Es gehört auch dahin. Als Vorbild für andere! Denn das sind Sie: Vorbilder für Verantwortungsbewusstsein und Pflichtgefühl.

Es braucht öffentliche Gelöbnisse wie Ihres heute vor dem Reichstag und aus Anlass des Geburtstages der Bundeswehr bundesweit. Öffentliche Gelöbnisse unterstreichen, dass die Bundeswehr einen festen Platz in unserer freiheitlichen Gesellschaft hat. Sie demonstrieren die Verbundenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihren Soldaten. Und sie geben ihnen den notwendigen Rückhalt für ihren Auftrag. Diesen Rückhalt braucht es – angesichts der gewachsenen Aufgaben der Bundeswehr mehr denn je.

Die Wahl des Soldatenberufs hat jede und jeder Einzelne von Ihnen aus freien Stücken getroffen. Das ist etwas anderes, als gewissenhaft seinen Wehrdienst zu leisten. Abzuleisten, wie das früher hieß. Sie müssen nicht, sie können in der Bundeswehr dienen. Sie sind freiwillig hier. Obwohl sicher viele andere Berufe Ihnen auch eine gute Perspektive geboten hätten. Und obwohl vielleicht manchen Ihrer Freunde, die einen zivilen Berufsweg eingeschlagen haben, schwer fällt, Ihren Entschluss nachzuvollziehen.

Aber Sie werden in der Bundeswehr eine besondere Kameradschaft erfahren, eine andere als im zivilen Leben. Hier sind Sie noch einmal mehr aufeinander angewiesen, haben Sie klare Rollen und Aufgaben zu erfüllen, sich einzufinden in eine ganz eigene Ordnung. Ein Staat im Staate ist die Bundeswehr dennoch nicht. Nach den entsetzlichen Verirrungen in der deutschen Vergangenheit unterbindet das unsere rechtsstaatliche, zivile Demokratie – die aber trotzdem eine wehrhafte ist. Dank Ihnen, den Staatsbürgern in Uniform.

Frieden und Demokratie – dafür treten Sie ein. Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Dafür stehen übrigens auch die Farben Schwarz-Rot-Gold an diesem Fahnenmast. Die Flagge wurde am 3. Oktober 1990 gehisst. Als sich unser Land friedlich vereinigte. Wir haben gerade erst an das erinnert, was vorausgegangen war: An den Willen der Ostdeutschen zur Freiheit, ihren Mut, sich diese Freiheit friedlich zu erkämpfen. Aber die Machterosion im damaligen Ostblock wäre auch nicht ohne den wehrhaften Zusammenhalt des NATO-Bündnisses denkbar gewesen und damit auch der Bundeswehr als „Bündnisarmee“. Ohne den militärischen Gegenpol zu den Diktaturen. Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hat es so formuliert: „Nie zuvor hat militärische Kraft so friedlich so viel erreicht.“

Die Bundeswehr hat auch seit der Wiedervereinigung eine große Leistung vollbracht: Sie wurde zu einer echten „Armee der Einheit“ – auch darin ist sie ein Vorbild für die deutsche Gesellschaft! Sie werden auf Soldatinnen und Soldaten aus allen Bundesländern treffen, sich austauschen, voreinander lernen und eine Erfahrung machen: Sie werden durch Ihre Herkunft geprägt sein, aber alle gleich behandelt werden, Ihnen werden die gleichen Pflichten abverlangt und die gleichen Chancen geboten.

Ihr Entschluss ist ein mutiges Versprechen. Denn Sie verpflichten sich, notfalls auch zu kämpfen. Sich im Ernstfall Gefahren auszusetzen. Niemand will zwar zur Waffe greifen, die Bundeswehr ist streng dem Verteidigungsauftrag verpflichtet – und doch wissen wir: Es gibt Situationen, in denen es nicht anders geht. In denen robuste, bewaffnete Einsätze der Bundeswehr erforderlich sind. In denen Gewalt mit Gewalt beendet werden muss.

Den Frieden zu wahren oder ihn zu schaffen, ist nicht kostenlos – es hat auch einen moralischen Preis. Politisch stellt das regelmäßig vor ein unauflösbares Dilemma. Wir Parlamentarier spüren es, wenn wir über Einsätze der Bundeswehr in anderen Weltregionen beschließen. Wenn wir uns mit unseren Partnern und Verbündeten abstimmen und deutsche Soldaten in entfernten Krisen- und Konfliktgebieten militärische Aufgaben übernehmen.

Sie selbst werden es als ganz persönlichen Zwiespalt erfahren und aushalten müssen, wenn Sie in bewaffnete Einsätze gehen. In unserem Auftrag.

Denn in Deutschland entscheidet über Militäreinsätze nicht allein der Minister oder die Ministerin, nicht einmal die Bundesregierung, es braucht die Zustimmung der Volksvertretung. Dies begründet die besondere Bindung des Bundestages zur Armee und umgekehrt: die besondere Abhängigkeit der Streitkräfte von unseren parlamentarischen Entscheidungen.

Ich kann Ihnen versichern, dass diese Entscheidungen im Parlament nicht leichtfertig getroffen werden, dass wir stets sorgfältig abwägen und vernünftig begründen, warum ein Auslandseinsatz wirklich notwendig ist. Und Sie können von uns zu Recht erwarten, dass wir Sie angemessen dafür ausrüsten, dass wir über Ihre Sorgen und Nöte informiert sind, sich ihnen annehmen und unseren Beitrag dazu leisten, da Abhilfe zu schaffen, wo es nötig ist. Das ist unsere Verpflichtung Ihnen gegenüber, der Armee im demokratischen Verfassungsstaat.

Auf Sie kommen große Aufgaben zu. Im siebten Jahrzehnt nach Gründung der Bundeswehr müssen sich unsere Streitkräfte in einer gründlich veränderten Welt bewähren. Einer global vernetzten Welt in großer Unordnung, in der auch entfernte Konflikte weitreichende Auswirkungen auf uns haben können. Aber auch wir als Gesellschaft müssen uns bewähren: Indem wir uns nicht wegducken, wo es eines deutschen Beitrags zur Sicherung des Friedens, zur Wahrung unserer Werte braucht. Indem wir unsere Aufgaben engagiert wahrnehmen, die uns aus unseren Bündnisverpflichtungen erwachsen. Indem wir dabei unserer Verantwortung denen gegenüber gerecht werden, die diesen gefährlichen Dienst für uns übernehmen: Durch Respekt und durch Anerkennung!

Wir wissen, dass wir uns auf unsere Bundeswehr verlassen können, auf Sie, liebe Rekrutinnen und Rekruten. Als Soldatinnen und Soldaten sollen Sie wissen, dass auch sie sich auf dieses Parlament verlassen können. Deshalb ist ein Gelöbnis wie dieses heute vor dem Reichstagsgebäude auch so wichtig. Schauen Sie, was im Giebel steht: Dem deutschen Volke. Dem dienen wir. Und dem dienen Sie. Und dabei begleiten Sie unsere guten Wünsche.

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