Rede von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble zur Präsentation des Berichts der Unabhängigen Kommission Antiziganismus
[Es gilt das gesprochene Wort]
Anrede
„Durch Weisheit wird ein Haus gebaut, und durch Verstand erhalten.“
Diese salomonische Erkenntnis aus dem Buch der Sprüche deutet an, was alle Bauherren – private wie öffentliche – aus der Praxis kennen:
Ein Haus zu bauen, ist ein schwieriges Unterfangen. Dies gilt nicht weniger für das „wundersamste Gebäude Berlins“. So hat Pfarrer Gregor Hohberg das zukünftige House of One einmal bezeichnet.
Um die einzigartige Idee Gregor Hohbergs Wirklichkeit werden zu lassen, hat es viel Gottvertrauen gebraucht – und weise Mitstreiter. Drei Gotteshäuser und drei Religionen unter einem Dach zu vereinen, ohne ein synkretistisches Allerlei zu gestalten – das grenzt an ein Wunder!
Außergewöhnlich ist schon die Tatsache, dass dieses Projekt von Anfang an von Vertretern der drei abrahamitschen Religionen zusammen geplant wurde – inhaltlich wie architektonisch.
Als protestantischer Christ weiß ich, dass es schon kompliziert genug ist, sich innerhalb einer Konfession zu verständigen.
Und in der Politik ist es auch nicht einfacher.
Die Grundidee des House of One ist theologisch anspruchsvoll. Die Gläubigen dreier Religionen sollen sich hier auf engstem Raum begegnen. Offen andere spirituelle Perspektiven wahrnehmen, in gegenseitigem Respekt – ohne dabei selbst den Anspruch zu erheben, Judentum, Christentum und Islam in Gänze zu repräsentieren. Und ohne die eigene Identität preisgeben zu müssen. Im Gegenteil.
Gelebte Toleranz heißt eben gerade nicht, dass alles gleich gültig ist. Denn dann wird schnell alles auch gleichgültig und das Gegenteil von wertvoll.
Deswegen kann ich gut nachvollziehen, dass die verantwortlichen Geistlichen es nicht gern hören, wenn dieser interreligiöse Sakralbau als „gebaute Ringparabel“ bezeichnet wird. Denn sosehr sich der Vergleich mit Lessings Gleichnis aufdrängt – im House of One geht es gerade um religiöse Vielfalt, hier sollen Unterschiede sichtbar und verständlich werden. Gerade diese Unterschiede machen das religiöse Miteinander in der einer pluralistischen Gesellschaft so anspruchsvoll.
„Andächtig schwärmen“ ist leichter, als „gut handeln“ – das wusste schon Lessings Nathan. Und das ist eine wichtige Botschaft des House of One an die ganze Gesellschaft, in der immer neue Spaltungen und Spannungen sichtbar werden.
Das House of One verkörpert aber vor allem eine Botschaft an die Religionen, ihre Verantwortung in der Welt und für die Welt wahrzunehmen. Denn Glaube und Religion gehören weiterhin zu den großen Themen der Menschheit. Das vergessen wir im vermeintlich aufgeklärten Europa bisweilen.
Etwa 85 Prozent aller Menschen weltweit gehören einer Religion an. Mit steigender Tendenz. Die menschliche Zivilisation ist durch Religionen geprägt. Religiösen Ursprung hat auch dieser Petriplatz, der als der Geburtsort Berlins gilt.
Religion ist eine wichtige Quelle individueller und gemeinschaftlicher Werte. Der Glaube an etwas Höheres, Unverfügbares zeigt dem Menschen, dass er nicht das Maß aller Dinge ist. Dass er Grenzen hat und Grenzen braucht, um nicht maßlos zu werden. Das ist heute, in einem Zeitalter scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten, besonders wichtig.
Religion schafft Gemeinschaft, aber Religion schafft auch Trennendes. Sie kann missbraucht werden, in Fanatismus und Gewalt münden. Wir sehen es in vielen Teilen der Welt. Gerade auch im Nahen Osten – der Wiege der abrahamitischen Religionen. Wir sehen es auch in Deutschland: Die jüngsten antisemitischen Ausschreitungen als Folge der Gewalteskalation in Israel missbrauchen die Religion für politische Zwecke.
Deswegen ist der Dialog der Religionen von so großer Bedeutung. Deswegen braucht es mehr Austausch, mehr Aufklärung, mehr Wissen voneinander, mehr Interesse füreinander. Deswegen braucht es das House of One!
In der fünften Sure des Koran hießt es: „Und wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer Gemeinde gemacht, einer einzigen. Aber er wollte euch in dem prüfen, was er euch gegeben hat. So wetteifert um die guten Dinge.“
Diese Aufgabe hat es in sich! Doch „wenn’s einfach wäre, brauchte es uns nicht“ – wie Andreas Nachama sagt. Und so wünsche ich dem Projekt eine schnelle Verwirklichung und freue mich schon auf das fertige House of One – als ein Ort des Gottesdienstes, des Lernens und des Austausches, des Feierns und der Gemeinschaft. Ein Ort der Toleranz und Offenheit.
Ein Ort, an dem Spiritualität und Vernunft sich begegnen.