02.11.2021 | Parlament

Grußwort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beim Charity-Dinner des Förderkreises „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ zugunsten des Raums der Namen

[Es gilt das gesprochene Wort.]

(Anrede)

Das Charity-Dinner stand in meinem Terminkalender – da war ich noch gar nicht zur Bundestagspräsidentin gewählt. Auch wenn ich erst seit ein paar Tagen im Amt bin: Ich habe den Termin sofort übernommen, weil mir der Kampf gegen Antisemitismus so wichtig ist. Es lässt mir keine Ruhe, wenn Juden in Deutschland aus Furcht ihre Kippa verstecken und ihre Identität verschweigen.

Namen sind Ausdruck von Identität und Persönlichkeit – gerade auch im Judentum. Die Nationalsozialisten missbrauchten Namen für die systematische Entrechtung und Entwürdigung. Jüdinnen und Juden mussten ihrem Namen „Sarah“ oder „Israel“ hinzufügen. Die 76-jährige Hedwig Jastrow aus Berlin nahm sich das Leben, weil sie den Zwangsnamen als „Schandmal“ empfand. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie: „Ich will begraben werden mit dem Namen, den meine Eltern mir teils gegeben und teils vererbt haben und auf dem kein Makel haftet.“

Die Nationalsozialisten kannten nur Rassen, keine Individuen. Sie mordeten anonym, fabrikmäßig. In Auschwitz wurden aus Menschen – Nummern.

Darum ist der Raum der Namen so wichtig. Dieser Ort gibt den Opfern ihre Persönlichkeit zurück – und ihre Geschichten an die Nachwelt weiter.

Vor einigen Jahren habe ich die Gedenkstätte Yad Vashem besucht. Mich hat die Halle der Namen besonders berührt und lange nicht losgelassen. Und so geht es auch den Besucherinnen und Besuchern im Raum der Namen in Berlin.

An die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern, ist ein wichtiger Teil unserer Geschichtskultur geworden. Es hat lange – zu lange – gedauert, bis wir so weit waren. Heute ist sich der größte Teil der Deutschen einig: Die Verantwortung, die uns aus den Verbrechen der Vergangenheit erwächst, gehört zum Selbstverständnis unserer Demokratie. Deshalb arbeitet der Deutsche Bundestag eng mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zusammen. Über die Grenzen – fast – aller Fraktionen hinweg. Als Bundestagspräsidentin werde ich diese Zusammenarbeit fördern. Und das Denkmal für die ermordeten Juden gegen Anfeindungen verteidigen.

Wir erleben seit einigen Jahren vermehrt Angriffe auf jüdisches Leben. Nicht nur an den Rändern der Gesellschaft erstarken Kräfte, die den Nationalsozialismus verharmlosen. Auf der Straße, auf den Schulhöfen und im Internet sind rassistische und antisemitische Parolen zu hören. In der Pandemie verbreitet sich alter Hass in Form neuer Verschwörungstheorien.

Das ist unerträglich! Wir müssen dagegenhalten – und im Namen der Demokratie zusammenstehen. Wir müssen mehr tun gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass in unserem Land. Gegen Homophobie, die Abwertung von Sinti und Roma und die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Ich werde mein Amt nutzen, um gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit zu kämpfen. Das muss alle Demokratinnen und Demokraten einen.

Liebe Lea Rosh,

Sie haben vor Kurzem einen bedeutenden Geburtstag gefeiert (85 Jahre). Es ist schon ein paar Tage her, aber lassen Sie mich trotzdem von ganzem Herzen gratulieren. Und Ihnen danken für das, was Sie in all den Jahren geleistet haben. Ihr unermüdlicher Einsatz verdient großen Respekt.

Das Denkmal für die ermordeten Juden ist aus der Zivilgesellschaft heraus entstanden. Den Anstoß haben Bürgerinnen und Bürger gegeben, die gegen das Vergessen angekämpft haben. Die Politik hat ihr Anliegen aufgenommen und den Bau des Denkmals beschlossen. Heute zieht es jedes Jahr Hunderttausende Besucherinnen und Besucher an. Aber das bedeutet nicht, dass die Auseinandersetzung mit den deutschen Verbrechen endet. Die Erinnerung an die Opfer muss in der Gesellschaft gelebt werden. Das ist die beste Versicherung gegen Angriffe von rechts außen.

In meiner Heimatstadt Duisburg habe ich erlebt, wie die Zivilgesellschaft sich wehrt. Nach dem Anschlag auf die Synagoge im Jahr 2000 entstand ein breites Bündnis zum Schutz jüdischen Lebens. Jedes Jahr am Holocaust-Gedenktag verleiht es einen Preis für Toleranz und Zivilcourage. Ich freue mich, dass auch heute Abend ein solcher Preis vergeben wird. Immer wieder sind Menschen bereit, Haltung zu zeigen, einzugreifen, etwas zu riskieren. Das macht Mut.

Ich bin froh, dass Sie alle heute Abend zahlreich erschienen sind. Mit Ihrer Spende helfen Sie, die Zahl der Namen zu vergrößern und viele einzelne Schicksale vor dem Vergessen zu bewahren. Opfer, die Namen tragen, bleiben in der Erinnerung lebendig.

Marginalspalte