Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Vorstellung des Buches „Welt der Frauen“ von Staatsministerin Michelle Müntefering MdB (Hg.)
[Es gilt das gesprochene Wort.]
Vielen Dank für dieses wundervolle Buch. Michelle Müntefering und Elke Büdenbender haben couragierte Frauen versammelt – hier im Saal wie in dem Band, um den es heute geht. Ihre Geschichten berühren und begeistern, faszinieren und inspirieren. Ich bin froh, dass es Vorkämpferinnen wie Bineta Diob gibt, die sich für Frauenrechte in Afrika einsetzen. Zu Herzen gegangen ist mir auch der Bericht von Monika Staab. Wir beide teilen die Leidenschaft für den Fußball. Ihre ersten Erfolge als Trainerin feierte sie in einer Zeit, als ich mich beim DJK Adler Duisburg als Libero versuchte. Meine sportlichen Erfolge waren bescheidener als ihre. Aber die Vorbehalte gegen Frauenfußball habe auch ich in unguter Erinnerung.
Eine Passage aus ihrem Beitrag hat mich nicht losgelassen: „In Afrika dürfen die meisten Frauen, wenn sie einmal verheiratet sind, nicht mehr Fußball spielen. Der Mann verbietet es ihnen.“
Das macht mich wütend. Es zeigt aber auch, wie weit wir in Deutschland im globalen Vergleich gekommen sind. Bei uns darf eine Frau Fußball spielen. Und aus der Fußballerin kann eines Tages sogar die Parlamentspräsidentin werden.
Auch hierzulande musste das erst mühsam erkämpft werden. Als 1972 mit Annemarie Renger zum ersten Mal eine Bundestagspräsidentin gewählt wurde, war das in der deutschen Sprache gar nicht vorgesehen. Das Plenarprotokoll notierte: „Amtsübernahme durch den Präsidenten, Frau Renger.“ Wer heute die Sitzungsleiterin mit „Frau Präsident“ anredet, wird zur Ordnung gerufen. Immerhin: Etwas Fortschritt haben wir erreicht.
1972 waren nur knapp 6 Prozent der Abgeordneten Frauen. In den 80er- und 90er-Jahren ist ihr Anteil auf immerhin ein Drittel angewachsen. Aber seit gut 20 Jahren tut sich nichts mehr. Der Fortschritt ist leider kein Selbstläufer. Es reicht nicht, dass einzelne Frauen Spitzenämter bekleiden. Wir müssen die Strukturen verändern. Den politischen Betrieb frauengerecht machen.
Kurz vor meiner Wahl habe ich Torsten Körners Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ gesehen, der die Pionierinnen der Bonner Republik würdigt – und sie ausgiebig zu Wort kommen lässt. Was sie erzählten, macht sprachlos. So berichtet Helga Schuchardt davon, wie ihr nach einer Rede im Plenarsaal ein Mann unvermittelt mit dem Daumen über den Rücken fährt. Er hatte mit seinen Kollegen gewettet: Trägt sie einen BH oder trägt sie keinen? Die Geschichte erreichte die Presse. Gegen Helga Schuchardts Willen. Sie glaubte, sich entschuldigen zu müssen. Und er? Wurde später Bundestagspräsident.
Ein Skandal, der heute unvorstellbar ist? Schön wär’s …
Vor wenigen Tagen ließ eine Umfrage aufhorchen. 40 Prozent der befragten Politikerinnen haben sexuelle Belästigung erlebt. Sogar 60 Prozent der jüngeren. Auch der Bundestag ist davon nicht frei. Als seine Präsidentin – und als Kollegin – kann ich das nicht hinnehmen. Eines meiner ersten Ziele im Amt ist es, im Bundestag auf allen Ebenen die Frauen zu stärken, die sich gegen Sprüche, Anmache oder unerwünschte Berührungen wehren. Sexismus darf im Parlament keinen Platz haben!
Ein anderes Problem sind Sitzungen, die sich bis in die Nacht hinziehen. In der Politik sind sie Alltag, mit einem zeitgemäßen Familienleben aber schwer zu vereinbaren. Auch das benachteiligt Frauen. Denn meist sind sie es, die sich um den Haushalt kümmern, die die Kinder betreuen und die Eltern pflegen. Auch hier im Auswärtigen Amt brauchte es einen Kulturwandel, bis klar war, dass mit „Frau Botschafterin“ nicht die mitreisende Ehefrau gemeint war. In vielen anderen Bereichen der Gesellschaft sind wir von einer gerechten Arbeitsteilung weit entfernt.
Solange die Politik auf die Doppelbelastung von Frauen keine Rücksicht nimmt, bleibt Gleichberechtigung reine Theorie. Dieser Effekt macht sich vor allem in kommunalen Vertretungen und in der Basisarbeit von Parteien bemerkbar. Natürlich hat er auch Folgen für die Repräsentation im Parlament. Zumindest dort kann ich etwas verbessern. Ich werde auf die Fraktionen zugehen und versuchen, Nachtsitzungen so weit wie möglich zu reduzieren. Das hilft auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundestag. Es macht unsere Debatten und Entscheidungen besser.
Die Gleichstellung von Mann und Frau ist ein Auftrag, der sich aus unserem Grundgesetz ergibt – aus seinem Wortlaut und erst recht aus seinem Geist. Es gibt keine halbe Demokratie. Demokratie ist erst dann verwirklicht, wenn es Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern gibt. Wenn Väter beim Kinderarzt genauso selbstverständlich sind wie Mütter auf Chefinnen-Etagen. Wenn Kinderärztinnen, Chefinnen und Fußballerinnen das Gleiche verdienen wie Männer. Und wenn Frauen den gleichen Anteil an der Macht haben, auch und vor allem im Parlament.
Jutta Allmendiger schreibt in ihrem Beitrag: „Natürlich brauchen wir viel mehr als Quoten. Ohne Quoten wird es aber auch nicht gehen.“ Meine Lebenserfahrung sagt mir, dass sie recht hat.
Einige Parteien fördern bewusst Frauen. Sie besetzen freiwillig ihre Listen nach dem Reißverschlussprinzip. Auf diese Weise haben viele fähige Frauen überhaupt erst eine Chance bekommen. Wenn alle Parteien so entschlossen wären, sähe der Bundestag anders aus. Erste Anläufe zu einem paritätischen Wahlrecht sind von Gerichten gestoppt worden. Das respektieren wir. Es darf uns allerdings nicht davon abhalten, nach rechtssicheren Wegen zu suchen, die Verantwortung gerecht auf alle Schultern zu verteilen. In den Parteien und im Parlament.
Mut macht mir, dass immer mehr Frauen selbstbewusst Macht einfordern. Sie heben den Finger und wagen auch mal eine Gegenkandidatur. Im Parlament erlebe ich neue Kolleginnen, die fest entschlossen sind, ihre Stimme zu erheben und die Politik zu verändern. Sie haben Unterstützerinnen an einflussreicher Stelle. Das Präsidium des Bundestags besteht fast ausschließlich aus Frauen. Wolfgang Kubicki ist der einzige Mann.
Apropos Männer: Auch die beginnen zu verstehen, dass der Ausbruch aus alten Rollenbilder befreit – und die gleichberechtige Zusammenarbeit mit Frauen bereichert. Ein Aufbruch für beide Geschlechter!
Wo Frauen stark sind, ist die Demokratie lebendig. Leider stimmt das auch umgekehrt: Die Feinde der Demokratie sind Frauenfeinde. Rechtsextremisten und Islamisten eint wenig – außer ihrem Hass auf Frauen. Das gilt in Deutschland. Und noch viel schmerzlicher für andere Regionen der Welt. Besonders erschüttert uns in diesen Tagen das Schicksal der Frauen in Afghanistan. Nach dem Sieg der Taliban verschwanden sie binnen weniger Tage aus dem Straßenbild. Aktivistinnen müssen sich verstecken und fürchten um ihr Leben.
Kristina Lunz ist heute Abend bei uns. Gemeinsam mit Düzen Tekkal hat sie die Initiative zur Verteidigung der Frauenrechte in Afghanistan ins Leben gerufen. Ihr Einsatz und ihre Forderungen verdienen die Unterstützung der deutschen Politik. Auch nach dem Abzug der Bundeswehr trägt Deutschland Verantwortung für Afghanistan. Gerade wir Frauen müssen daran erinnern.
Das Buch, das uns heute Abend zusammenbringt, macht eindrucksvoll deutlich: Ob Fußballtrainerin, Geschäftsfrau oder Künstlerin – die Frauen dieser Welt halten zusammen. Das zeichnet die Frauenbewegung von heute aus. Ihre Aktivistinnen haben voneinander gelernt und miteinander Geschichte geschrieben. Für die Zukunft braucht die Welt weibliche Solidarität, um Frauenrechte durchzusetzen. Die globalen Bedrohungen der Menschheit treffen Frauen besonders: Hunger, Ungleichheit, Klimawandel.
Doch sind sie vielerorts auch Teil der Lösung. Fortschritt erreichen wir nur gemeinsam: in der internationalen Zusammenarbeit und in der Zusammenarbeit von Frauen und Männern.