Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Kundgebung auf dem Aachener Katschhof im Anschluss an die Verleihung des Karlspreises
[Es gilt das gesprochene Wort]
Präsidentin Metsola!
Liebe Swetlana Tichanowskaja!
liebe Veronica Tsepkalo!
liebe Tatsiana Khomich!
Liebe Europäerinnen und Europäer!
heute ist ein großer Tag für die Frauen von Belarus! Und für die Demokratie in Europa!
Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen – und natürlich auch Ihrer Mitstreiterin und Schwester Maria Kalesnikava, die heute leider nicht bei uns sein kann.
Am 25. April waren Sie zum Gespräch bei mir im Deutschen Bundestag. Ich war und bin tief beeindruckt von Ihrer Geschichte. Von Ihrer Kraft. Von Ihrer Unerschrockenheit.
Der Karlspreis zeichnet Ihren persönlichen Einsatz aus. Er gilt ebenso den vielen mutigen Frauen und auch Männern von Belarus, die vor zwei Jahren wochenlang gegen die Diktatur auf die Straßen gegangen sind. Und der ganzen Welt gezeigt haben, wie lebendig der Wille zu Demokratie und Freiheit in Belarus ist.
Liebe Europäerinnen und Europäer!
In diesen Monaten sind wir alle in Gedanken in der Ukraine. Bei den Menschen, die sich gegen den brutalen russischen Angriff wehren. Die für Freiheit und Demokratie kämpfen und täglich ihr Leben riskieren.
Der Karlspreis mahnt uns: Gerade angesichts des furchtbaren Krieges in der Ukraine dürfen wir Belarus nicht vergessen. Von den Straßen sind die Belarussen vertrieben worden. Im Untergrund, im Internet und auch hier in Aachen geht ihr Kampf aber weiter.
Die Menschen in Belarus wollen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Sie leben europäische Werte und zählen auf Europas Unterstützung.
Maria, Swetlana und Veronica erinnern uns, wofür Europa steht. Sie sprechen nicht von Feinden, sondern von Respekt. Ihre wahre Stärke ist der Verzicht auf Gewalt.
Ihr Beispiel machte den Belarussinnen Mut, sich Lukaschenkos Polizisten entgegenzustellen. Blumen an ihre Schilde zu stecken. Sie zu umarmen. Wahre Stärke zu zeigen.
Lukaschenko ließ die Proteste niederprügeln. Doch vor aller Welt musste er seine Schwäche eingestehen: Er hat Angst vor den Frauen von Belarus. Angst vor der Demokratie und der Freiheit.
Darum hat er Swetlana, Veronica und viele andere Oppositionelle ins Exil vertrieben. Maria Kalesnikava blieb im Land, auch um den Preis ihrer Verhaftung. Aus dem Gefängnis konnte sie einen Brief an ihren Vater schicken. Ich zitiere: „Es lohnt sich, für die Freiheit zu kämpfen.“
Ich wünschte, sie könnte heute bei uns in Aachen sein und den Karlspreis entgegennehmen. Maria muss freikommen!
Alle Europäer sollten ihre Worte hören: Es lohnt sich, für die Freiheit zu kämpfen.
Es ist ein Kampf für europäische Werte. Er geht uns alle an – hier in Aachen und überall in Europa. Das ist die Botschaft dieses Karlspreises.
Liebe Europäerinnen und Europäer!
Die Demokratiegeschichte Europas kennt viele Helden:
Männer, die Widerstand leisten.
Männer auf Barrikaden.
Männer an der Spitze einer revolutionären Bewegung.
Die Frauen blieben allzu oft unsichtbar. Oder die Geschichte hat sie vergessen. Auch wenn sie treibende Kräfte wahren.
Belarus ist ein junges Kapitel europäischer Demokratiegeschichte. Aber schon jetzt steht fest: Dieses Kapitel haben Frauen geschrieben.
Lukaschenko hat sie verspottet. Weil sie Frauen waren.
Sie aber kämpfen nicht gegeneinander, sondern miteinander. Vielleicht weil sie Frauen sind.
Sie sind Europas Heldinnen der Demokratie.
Wie diese Demokratiegeschichte ausgeht, liegt in der Hand der Belarussen. Es ist unsere Pflicht, denen beizustehen, die Europas Geschichte von Demokratie und Freiheit weiterschreiben.
Als Putin die Ukraine überfallen hat, hat er auch Europas Einheit angegriffen. Diesen Krieg hat er schon jetzt verloren.
Lukaschenko und Putin halten Europa für schwach. Schon lange versuchen sie, uns zu spalten. Ich bin überzeugt: Sie haben sich getäuscht.
Europa ist so entschlossen und geschlossen wie lange nicht mehr.