18.03.2023 | Parlament

Grußwort von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zum 175. Jahrestag der Märzrevolution am 18. März 2023 auf dem Friedhof der Märzgefallenen in Berlin

[Es gilt das gesprochene Wort]

Sehr geehrte Frau Präsidentin, 
sehr geehrte Frau Regierende Bürgermeisterin, 
sehr geehrte Frau Klebba,
sehr geehrte Frau Buchwald, 
sehr geehrter Herr Schröder,
liebe Düzen Tekkal, 
sehr geehrte Damen und Herren, 

erst einmal vielen Dank für die freundliche Begrüßung, sehr geehrte Frau Dr. Kitschun,
Der Friedhof der Märzgefallenen ist ein besonderer Ort. 

Die Berliner Stadtbevölkerung hat ihn vor 175 Jahren selbst geschaffen: 
als letzte Ruhestätte der Opfer der Märzrevolution.
Und als Symbol für den Aufbruch in die Freiheit. 

Ein Ort, der von Beginn an umkämpft war, 
der mahnte und mobilisierte, 
der ausradiert oder umgedeutet werden sollte. 

Wir verdanken vor allem dem Paul-Singer-Verein, dass dieser Friedhof heute ein Ort des würdigen Gedenkens an die Opfer der Revolutionen von 1848 und von 1918 ist. 
Ich danke Sigrid Klebba und den vielen Engagierten, die sich mit Herzblut und Tatkraft um diesen besonderen Ort kümmern. 

Hier wird deutsche Demokratiegeschichte sichtbar.  
Und mit der neuen Ausstellung 
und dem geplanten Besucherzentrum 
hoffentlich bald noch besser vermittelbar!


Sehr geehrte Damen und Herren, 

das Jahr 1848 war – so hieß es zeitgenössisch – ein „tolles“ Jahr. 
Die Ereignisse überschlugen sich. 
Eine revolutionäre Welle erfasste fast ganz Europa. 
Plötzlich schien möglich, was lange unvorstellbar war: 
Königen und Kaisern das Recht auf demokratische Mitbestimmung abzuringen. 
Oder ihre Macht womöglich ganz hinwegzufegen. 

Die Berliner Märzrevolution – heute auf den Tag genau vor 175 Jahren – forderte fast 300 Tote. 
Meist fielen junge Frauen und Männer dem brutalen Vorgehen des Militärs zum Opfer. 
Viele stammten aus unteren sozialen Schichten.

Sie wollten einfach nur ein besseres Leben 
für sich und ihre Familien. 
Sie wollten über ihre Zukunft mitbestimmen. 


Sehr geehrte Damen und Herren, 

in diesem Jubiläumsjahr hören wir viel von der Nationalversammlung in Frankfurt, 
vom parlamentarischen Ringen um Freiheit und nationale Einheit, 
von der Reichsverfassung mit ihrem wegweisenden Grundrechtekatalog. 

Zu Recht! 

Das Parlament in der Paulskirche und der Barrikadenkampf in Berlin sind zwei Seiten der selben Medaille: 

Ohne die Revolution auf der Straße hätte es Parlamente und Verfassungen nicht gegeben. 

Und ohne die Parlamente wären die Forderungen der Revolutionäre nicht in einen demokratischen Prozess überführt worden. 

Die Paulskirchenverfassung trat nie in Kraft. 

Aber die erste Verfassung Preußens - vom König verfügt - sah Grundrechte vor: 
etwa Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit und die Gleichstellung von Menschen jüdischen Glaubens.
Dass Frauen gleichberechtigt sein sollten, 
fanden damals übrigens nicht einmal die radikalsten Revolutionäre richtig.

Auch wenn mit der Gegenrevolution vieles zurückgenommen wurde: 
Nach 1848 gab es kein Zurück mehr. 
Ohne Wahlen und Parlamente kamen auch Monarchien nicht mehr aus. 
Selbst wenn nach Einkommen gewählt wurde und Abgeordnete nur wenig zu sagen hatten. 

Die Revolutionszeit war eine Lehrstunde in demokratischen Grundfertigkeiten: 
sich Meinungen über öffentliche Angelegenheiten bilden, 
Standpunkte austauschen,  
sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen. 

All dies ließ sich zwar niederhalten, aber nicht mehr aus der Welt schaffen. 

Die Revolutionsjahre erwiesen sich als Katalysator der politischen Öffentlichkeit. 
Als Geburtsstunde einer vielfältigen gesellschaftlichen Interessenorganisation. 

Die Arbeiterbewegung und die Parteien nahmen damals ihren Anfang. 

Auch Frauen begannen, eigene Clubs und Zeitungen zu gründen. Oft genug verächtlich gemacht von ihren männlichen Zeitgenossen.

Die Revolution von 1848/49 steht für den demokratischen Aufbruch in die Moderne. 

Für die Selbstermächtigung des Volkes. 

„Ideen können nicht erschossen werden“, prophezeite der Wiener Barrikadenkämpfer Hermann Jellinek, bevor er im November 1848 standrechtlich erschossen wurde. 


Sehr geehrte Damen und Herren, 

Freiheit und Demokratie sind auch 175 Jahre später mächtige Ideen. 
Die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben lässt sich nicht dauerhaft unterdrücken. 

Das zeigen alle Menschen, die diktatorischen Regimen mutig die Stirn bieten. 

Wie die vielen Frauen und Männer, die im Iran oder in der Ukraine für ihre Freiheit kämpfen. 
Ich bin überzeugt: Die Idee von Freiheit und Demokratie lässt sich selbst an den vermeintlich hoffnungslosesten Orten nicht unterdrücken – weder mit Propaganda, noch mit Repressionen.

Der Rückblick auf die Märzrevolution erinnert uns daran, dass das Fundament unserer Freiheit in opferreichen Kämpfen gelegt wurde. 


Sehr geehrte Damen und Herren, 

unsere freiheitliche Demokratie fußt auf  Grundrechten, dem Rechtsstaatsprinzip und der Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen. 

Aber Verfahren und Institutionen allein reichen nicht. Unsere Demokratie muss auch das Versprechen auf ein besseres Leben erfüllen. 

Es braucht ein Mindestmaß an Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit. 

Deshalb spricht unser Grundgesetz ganz bewusst in Artikel 20 Absatz 1 davon, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist.


Sehr geehrte Damen und Herren, 

ein „Wochenende für die Demokratie“ zu feiern, 
ist richtig und wichtig. 

Noch wichtiger ist, dass viele Menschen mitmachen: 
Nicht nur meckern, nicht nur kritisieren, sondern selbst etwas verändern wollen. 

Unsere freiheitliche Demokratie ist nicht selbstverständlich. 

Sie braucht das Engagement von Demokratinnen und Demokraten für ein Gemeinweisen, in dem es sich zu leben lohnt. 

Es erfordert heute bei uns keinen blutigen Kampf mehr gegen übermächtige Obrigkeiten. 
Aber es kostet etwas: 
Beharrlichkeit, Kraft und manchmal Nerven. 
Und oft genug auch einen sehr langen Atem.

Die „Aktion 18. März“ kann ein Lied davon singen. 
Seit mehr als 40 Jahren setzt sie sich dafür ein, dass der 18. März zum nationalen Gedenktag wird – mit guten Gründen.  

Robert Blum, ein führender Kopf der Revolution, hat gewusst: „Es hätte … überhaupt nichts Gutes und Großes gegeben, wenn jeder stets gedacht hätte: Du änderst doch nichts.“ Zitatende.

Auch dafür steht der 18. März. 
Es muss nichts bleiben, wie es gestern war und heute ist. 
Ob aus Ideen Wirklichkeit wird, 
hängt von uns ab! 

Vielen Dank. 

Marginalspalte