30.03.2023 | Parlament

Worte von Vizepräsidentin Yvonne Magwas vor Eintritt in die Tagesordnung zur Erinnerung an das Vorparlament

[Stenografischer Dienst]

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Die Sitzung ist hiermit eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Bevor wir heute in die Tagesordnung eintreten, möchte ich an zwei Schicksalstage des deutschen Parlamentarismus erinnern. Beide Jahrestage fallen in diese Sitzungswoche.

Morgen vor 175 Jahren, am 31. März 1848, kam in der Frankfurter Paulskirche das sogenannte Vorparlament zusammen, eine Versammlung von 574 Männern aus den damaligen deutschen Staaten. Das Vorparlament berief sich auf die Volksversammlungen, Demonstrationen und Aufstände in vielen Städten, zum Beispiel in München, in Dresden, in Karlsruhe oder hier in Berlin. Jetzt nahm es Deutschlands Zukunft in die Hände. Ein revolutionärer Schritt! Zugleich lenkte es die Revolution in geordnete, parlamentarische Bahnen. Es beschloss die Wahl einer Nationalversammlung - auf der Grundlage eines Wahlrechts, das zu dieser Zeit sehr fortschrittlich war. Alle deutschen Männer sollten frei abstimmen dürfen und das gleiche Stimmgewicht erhalten - ein Meilenstein in der deutschen Demokratiegeschichte.

Der zweite Schicksalstag fand fast genau ein Jahr später statt: Am 28. März 1849 verkündete die Paulskirchenversammlung eine Verfassung für einen künftigen Nationalstaat mit einem Kaiser als gesamtdeutschem Staatsoberhaupt. In vielerlei Hinsicht war diese Verfassung ein Dokument des Fortschritts. Sie sah bereits ein starkes Parlament vor. Vor allem enthielt sie umfassende Grundrechte. Sie garantierte die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Versammlungsfreiheit. Und sie verfügte die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz, auch die weitgehende rechtliche Gleichstellung der Juden.

So fortschrittlich die Abgeordneten der Paulskirche dachten - sie waren Männer ihrer Zeit. Frauen blieben von den Beratungen und Entscheidungen in der Paulskirche ausgeschlossen, obwohl auch sie ihre Stimme erhoben und auf den Barrikaden gekämpft hatten. Die Nationalversammlung verfehlte ihr Ziel: ein freiheitliches und geeintes Deutschland. Die Frankfurter Reichsverfassung erlangte faktisch nie Gültigkeit. Ihre Ideen aber blieben lebendig. Sie boten späteren Demokraten Orientierung. Und den Demokratinnen waren sie ein Ansporn, für ihre Rechte zu kämpfen.

Die Weimarer Verfassung knüpfte an die Arbeit der Frankfurter Nationalversammlung an. Und auch unser Grundgesetz steht in der Tradition der Paulskirchenverfassung.

Den 175. Jahrestag des ersten gesamtdeutschen Parlaments begeht der Deutsche Bundestag mit einer besonderen Ausstellung: „Odyssee einer Urkunde. Die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 - Deutsche Geschichte(n) in einem Dokument“. In der Abgeordnetenlobby zeigen wir die Pergamenturkunde der Verfassung im Original mit den Unterschriften von 405 Abgeordneten.

(Dr. Götz Frömming (AfD): Sehr schön!)

Die Verfassungsurkunde hat eine wahrlich abenteuerliche Geschichte. Nach dem gewaltsamen Ende der Nationalversammlung 1849 wurde die Urkunde versteckt, und zwar in Großbritannien. Das soll am heutigen Tag des Besuchs von König Charles III. nicht unerwähnt bleiben. Das Pergament ist sehr empfindlich und kann deshalb nur für wenige Tage ausgestellt werden. Danach wird das Original durch ein Faksimile ersetzt. Umso mehr danke ich dem Deutschen Historischen Museum für diese wertvolle Leihgabe. Ebenso danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung, die diese Ausstellung konzipiert haben.

In der Ausstellung liegt ein Erinnerungsbuch aus, und wir alle sind eingeladen, darin einen Gedanken über die Parlamentarier zu hinterlassen, die vor 175 Jahren vorangingen - quasi als Würdigung von Abgeordneten zu Abgeordneten. Dazu möchte ich Sie in den nächsten Tagen gerne ermuntern.

Vielen Dank.

(Beifall)

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