Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: Keynote Roundtable der EU-Parlamentspräsidentinnen zur Rolle von Frauen in der Außenpolitik
Liebe Kolleginnen,
dieser Termin ist für mich eine besondere Freude!
Ich danke Ihnen allen sehr, dass wir heute in dieser weiblichen Runde zusammenkommen.
Ganz besonders Ihnen, liebe Frau Kollegin Adamová.
Sie haben dieses Treffen möglich gemacht.
Die Idee dazu hat mehrere Mütter.
Ich danke hier meiner Vorrednerin, Sejmmarschallin Witek,
und Frau Präsidentin Metsola, die bereits Treffen in Polen und Brüssel initiiert haben.
Und ich bedanke mich bei unserer Kollegin Demetriou, mit der ich auch diese Idee besprochen habe.
„Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik“ ist schon gut 40 Jahre ein Thema.
Doch in der Praxis hat sich zu wenig bewegt.
Frauen sind unterrepräsentiert.
Auch im Jahr 2023.
An der Spitze von Parlamenten, Regierungen und Ministerien.
In Führungspositionen der Verwaltung und des diplomatischen Dienstes,
in Armeen und Friedensmissionen.
Gerade die Außen- und Sicherheitspolitik ist weiterhin männlich dominiert.
Die Vereinten Nationen haben ausgerechnet:
Bei dem aktuellen Tempo würde es 130 Jahre dauern, bis auf Ebene der Staats- und Regierungschefs Parität erreicht wäre.
In den Parlamenten hätten wir erst 2063 Parität. Im Moment sind nur 26,5 Prozent der Abgeordneten weltweit weiblich.
Auch im Deutschen Bundestag können wir mit 34,9 Prozent Frauenanteil nicht zufrieden sein.
Das muss nach oben gehen. Und es wird nach oben gehen.
Über die Wege nach oben, würde ich gerne mit Ihnen allen ins Gespräch kommen.
Liebe Kolleginnen,
politische Prozesse und Entscheidungen werden besser, wenn Frauen an der Spitze stehen.
Die Geschichte lehrt uns:
Frauen sind eher bereit, ihre Positionen zu reflektieren und Brücken zu bauen.
Das macht zum Beispiel Friedensabkommen erfolgreicher und nachhaltiger.
Der VN-Sicherheitsrat hat im Jahr 2000 den Zusammenhang zwischen Frieden und der Teilhabe von Frauen einstimmig festgestellt
in der Resolution 1325: „Frauen, Frieden, Sicherheit“.
Geschlechtergerechtigkeit macht Gesellschaften wohlhabender, gesünder und sicherer.
Und das ist bitter nötig.
Der Krieg in der Ukraine,
die Dynamik der Weltordnung,
Klimawandel, Hunger, Armut und Flüchtlingsströme zeigen:
- Wir brauchen kluge Lösungen.
- Wir brauchen die Perspektiven,
die Erfahrungen und das Engagement der Frauen.
„Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch.“ sagte Margaret Wallström.
Wallström war die erste, die 2014 den Feminismus zur Leitlinie ihrer politischen Arbeit machte.
Die deutsche Regierung hat sich 2021 in ihrem Koalitionsvertrag zur feministischen Außenpolitik verpflichtet und Leitlinien verabschiedet. Dabei waren die Erfahrungen anderer Staaten sehr wichtig für uns.
Im Januar hat sich im Deutschen Bundestag ein fraktionsübergreifender Arbeitskreis zur feministischen Außenpolitik konstituiert.
Parlamentarische Gremien wie dieser Arbeitskreis leisten wichtige Vernetzungsarbeit.
Auf persönlicher Ebene, von Parlamentarierin zu Parlamentarierin.
Vor allem aber auch bei der vernetzten Betrachtung von Inhalten, die gemeinsam gedacht werden müssen:
Wir brauchen eine feministische Außenpolitik, die konsequent Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik mitdenkt.
Und das aus der Perspektive von Frauen, die Abgeordnete in international eng-vernetzten Parlamenten sind.
Darin hat mich der Austausch mit meinen Kolleginnen im Deutschen Bundestag bestärkt.
„Feminismus ist kein Beliebtheitswettbewerb“, formulierte die tschechische Soziologin Vanda Černohorská.
Manch einer außerhalb dieses Saals mag sich von dem Begriff „feministische Außenpolitik“ provoziert fühlen – oder ihn sogar belächeln.
Das war schon immer so bei progressiven Konzepten.
Ich halte dagegen: Feministische Außenpolitik kommt allen Menschen zugute.
Wo sie fehlt, leiden Frauen und Männer.
Wieviel Leid mit der Unterdrückung von Frauen einhergeht, zeigt besonders bedrückend die Lage in Afghanistan.
Auch die Iranerinnen – und an ihrer Seite viele engagierter Iraner – zeigen, dass Unterdrückung und Marginalisierung von Frauen Gift für die Entwicklung eines Landes ist.
Das Motto der Proteste seit dem Tod von Mahsa Amini bringt die Zusammenhänge auf den Punkt: „Frau, Leben, Freiheit.“
Clare Hutchinson – NATO-Sonderbeauftragte für Frauen, Frieden und Sicherheit – sagte einmal:
„Ohne feministische Außenpolitik scheitern wir. Und zwar daran, zu verstehen, worum es bei Außenpolitik letztlich gehen sollte.“
Es geht der feministischen Außenpolitik um Gleichstellung und Teilhabe,
um Gerechtigkeit und Frieden.
Die feministische Außenpolitik legt einen erweiterten Sicherheitsbegriff zu Grunde und rückt den Menschen stärker ins Zentrum.
Die feministische Außenpolitik entstand letztlich aus der Friedenspolitik.
Ich habe mich selbst die meiste Zeit meines Lebens als Pazifistin verstanden.
Doch der russische Angriff auf die Ukraine und mein Besuch in Butscha und Irpin im vergangenen Jahr haben mich umdenken lassen.
Feministische Außenpolitik muss fester Bestandteil der politischen Praxis sein.
Wir dürfen nicht an theoretischen Konzepten festhängen, sondern müssen Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit aktiv voranbringen.
Es ist daher wichtig, dass wir die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen und unsere Fähigkeiten zur Verteidigung für uns und unsere Bündnispartner stärken.
Vergessen wir nicht: Gerade die Frauen leiden besonders unter Kriegen und Kriegsverbrechen.
Wie aggressiv ein Staat ist,
liegt auch am Level der Gleichstellung.
Feministische Außenpolitik möchte Diskriminierung und Ungleichheiten beseitigen.
Und Gleichstellung weltweit voranbringen.
Schweden führte dafür 2014 die drei R ein:
- gleiche Rechte für alle Menschen
- angemessene Repräsentanz von Frauen
- und fairer Zugang zu materiellen wie immateriellen Ressourcen.
Ein politisches System ist nur demokratisch, wenn Frauen zu gleichen Teilen vertreten sind. Das konstatierte die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit bei ihrem Gründungskongress.
Im Jahr 1915!
Wir müssen Strukturen überwinden,
die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben verhindern.
Und ich bin überzeugt, dass wir Parlamentspräsidentinnen unseren Beitrag dazu leisten können und sollten.
Auch deswegen bin ich froh über dieses Treffen.
Ich wünsche mir sehr, dass wir dieses Format auch künftig nutzen und in unseren vollen Terminkalendern fest verankern.
Ich bin sehr gespannt darauf, von Ihren Erfahrungen und Einschätzungen zu lernen!
Herzlichen Dank!