02.06.2023 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Konferenz der Parlamentspräsidentinnen und Präsidenten der NATO-Mitgliedsstaaten vom 1.–3. Juni 2023 in Vilnius, Litauen

[Es gilt das gesprochene Wort]

Keynote-Rede Session II
Interne Transformation:
Verteidigungsausgaben erhöhen, Abschreckung und Verteidigung stärken

Liebe Frau Präsidentin,
liebe Frau Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung der NATO,
liebe Kolleginnen und Kollegen, 
Exzellenz,

Auch ich danke Ihnen für diese Initiative, 
Frau Präsidentin Čmilytė-Nielsen. 
Es ist wichtig, dass wir auch als Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten der NATO-Mitgliedstaaten zusammenkommen. 
Die Außenpolitik aller unserer Länder hat auch wichtige parlamentarische Dimensionen. 

Unser Bündnis ist geeint wie selten zuvor. 
Nach außen wie innen ist klar: 
Unser Beistandsversprechen gilt.
Die NATO-Abschreckung wirkt. 
Und wird jetzt noch stärker.  

Politisch und strategisch ist der Beitritt von Finnland – und bald Schweden – ein großer Gewinn für unsere Allianz. 
Ich hoffe sehr, dass jetzt auch der schwedische Beitritt schnell Wirklichkeit wird.   

Ausstattung der Bundeswehr

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir müssen Sicherheit auf absehbare Zeit vor und gegen Russland organisieren.  
Der russische Angriff auf die Ukraine hat das  endgültig gezeigt. 

Ich sage auch hier in Vilnius selbstkritisch: 
Zu lange haben wir auf Kooperation mit Russland gesetzt.
Und damit zu lange nicht wahrhaben wollen, 
wovor uns gerade unsere mittel- und osteuropäischen Partner gewarnt haben. 

Wir mussten umdenken. 

Viele Deutsche waren eher pazifistisch. 
Auch ich ganz persönlich. 

Ich habe meinen Pazifismus  im Mai 2022 in Butscha und Irpin gelassen. 

Deutschland hat lange vom Schutz der NATO profitiert. 
Dafür danke ich unseren Partnern ausdrücklich. 
Wir werden diesen Schutz nicht vergessen.

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach am 27. Februar 2022 in einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages von einer Zeitenwende.

Das bedeutet eine strategische Neuausrichtung unserer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. 
Aber auch einen Mentalitätswandel.
Erst jetzt bejahen viele Deutsche, 
dass Verteidigungsausgaben zur Sicherheit beitragen können.  

Viele Jahre haben wir unsere Bundeswehr vor allem als Einsatzarmee betrachtet. 
Trotz aller Mahnungen unserer Bündnis-Partner haben wir zu wenig in unsere Armee investiert. 

Jetzt arbeiten wir intensiv an der Stärkung unserer Landes- und Bündnisverteidigung. 
Der Deutsche Bundestag hat vor genau einem Jahr ein 100 Milliarden Euro-Sondervermögen zur Ausstattung der Bundeswehr beschlossen.

Für diese Entscheidung haben wir mit einer fraktionsübergreifenden Mehrheit unsere Verfassung geändert! 
Unser Parlament steht weitgehend geschlossen hinter der Zeitenwende. 

Wir sind entschlossen, für unsere Sicherheit und die Sicherheit unserer Partner einzustehen.

Das Sondervermögen ist für kostenintensive und  langjährige Rüstungsprojekte gedacht.

Es unterstreicht unseren Willen, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen. 
Im Wirtschaftsplan des Sondervermögens sind zum Beispiel Investitionen zur Beschaffung von F-35-Kampfjets oder neue schwere Transport-Hubschrauber vom Typ CH-47 vorgesehen. 

Rahmenverträge wurden abgeschlossen zur Herstellung neuer Kampfpanzer, Schützenpanzer und Panzerhaubitzen. 

So bewilligte der Haushaltsausschuss gerade hunderte Millionen Euro für 18 neue Leopard 2-Panzer vom Typ A8 und für weitere 12 Panzerhaubitzen 2000. 

Die Modelle ersetzen unter anderem die 18 Leopard-2-Panzer und die 14 Panzerhaubitzen 2000, die wir an die Ukraine geliefert haben.

Unsere Bundeswehr soll schnell wieder voll einsatzfähig sein. 

In der Vergangenheit hat die Beschaffung und Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten mit dem notwendigen Material zu lange gedauert. 
Das wird sich ändern. 

Im Bundestag haben wir das Beschaffungs-Beschleunigungsgesetz verabschiedet.    

Wir wissen aber selbstverständlich auch: 
Das Sondervermögen allein reicht nicht. 

Unsere Streitkräfte müssen dauerhaft ausreichend finanziert werden.  
Wir möchten unsere Bündnis- und Verteidigungsfähigkeiten langfristig und nachhaltig stärken.

Wir heben daher auch unseren Verteidigungshaushalt an: Im Jahr 2022 erstmals auf mehr als 50 Milliarden Euro. 

Meine Damen und Herren,
Einsatzbereitschaft ist mehr als die Ausstattung mit dem nötigen Material. 

Sie verlangt Verantwortungsbewusstsein, 
klare Strukturen, zügige Prozesse. 
Auch auf ziviler Ebene . 
Daran arbeiten wir ebenfalls intensiv. 

Einsatzbereitschaft braucht selbstverständlich eine Armee, die personell gut aufgestellt ist. 
Unser Ziel ist eine Bundeswehr mit 203.000 Soldatinnen und Soldaten. 
Sie soll in den nächsten Jahren um 20.000 Frauen und Männer aufgestockt werden. 

Auch dieser Aspekt zeigt: 
Wir sprechen über langfristige Aufgaben. 

Maßnahmen zum Schutz unserer Bündnispartner

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
um es noch einmal zu betonen: 
Deutschland nimmt seine Beistandspflichten gegenüber seinen Verbündeten sehr ernst. 
Unser Einsatz zur Absicherung der Bündnis-Ostflanke zeigt das deutlich. 
Nächste Woche werde ich Gespräche in Estland, Lettland und hier in Litauen führen. 
Ich werde auch die NATO-Kräfte in Rukla besuchen. 
Für mich eine Selbstverständlichkeit, 
denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. 
Einsätze der Bundeswehr bedürfen der Zustimmung der Bundestagsabgeordneten.  

Deutschland hat hier in Litauen seit 2017 als Rahmennation Verantwortung übernommen. 
Auf Bitten Litauens hat die Bundeswehr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine schnell 350 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten geschickt, um die efP- Battlegroup zu verstärken. 
Aktuell befinden sich über 800 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der efP hier in Litauen. 

Die NATO hat gezeigt, dass die Verbündeten unmittelbar auf einen Angriff gegen einen ihrer Partner reagieren. 

Darüber hinaus stellt die Bundeswehr eine Brigade für die Verteidigung Litauens bereit. 

Hier übernimmt Deutschland regionale Verteidigungsverantwortung, wie sie das New Force Model der NATO künftig vorsieht. 
Der vorgeschobene Gefechtsstand  dieser deutschen Brigade ist bereits vor Ort. 

In der Slowakei und in Polen leistet die Luftwaffe einen wichtigen Beitrag zur Integrität und Luftraumsicherung des NATO-Bündnisgebietes. 

Die - defensiv ausgerichtete - Stationierung der Flugabwehr-Raketensysteme ist Teil der NATO-Maßnahmen zur verstärkten Wachsamkeit.  

Die Deutsche Marine beteiligt sich außerdem am maritimen Anteil der schnellen NATO-Eingreiftruppe VJTF und hat seit dem 6. Januar 2023 die Führung der Task Group 441.01 übernommen.

Die deutsche Bündnissolidarität gegenüber unseren östlichen Partnern ist stark.  

Und wir werden unser Engagement im Bündnis noch weiter ausbauen. 

Deutschland wird im Rahmen des New Force Models  zukünftig in den ersten 30 Tagen nach ihrer Aktivierung bis zu 30.000 schnell einsetzbare Soldatinnen und Soldaten sowie 85 Flugzeuge und Schiffe bereitstellen. 

Bei Bedarf stehen weitere Folgekräfte planerisch zur Verfügung. 
Insgesamt wird das NFM nahezu die gesamten deutschen Streitkräfte umfassen. 

Unterstützung der Ukraine

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Deutschland ist einer der größten Unterstützer  der Ukraine. 

Wir haben im Deutschen Bundestag bereits im April 2022 mit breiter fraktionsübergreifender Mehrheit in einem Entschließungsantrag den Rahmen für unsere Unterstützung abgesteckt. 

Gerade stellen wir ein neues Paket im Wert von über 2,7 Milliarden Euro zusammen. Dazu gehören Artillerie, Luftverteidigung, gepanzerte Gefechtsfahrzeuge und Pionierfähigkeiten. 

Bei der europäischen Ausbildungsmission EUMAM UA  bilden wir etwa Ukrainerinnen und Ukrainer am Kampfpanzer Leopard 2 und am Schützenpanzer Marder 1 A3 aus. 

Deutschland stellt ein eigenes Ausbildungskoordinierungs-Hauptquartier.
Bis Ende des Jahres will die Bundeswehr neun Bataillone ukrainischer Soldatinnen und Soldaten für den Kriegseinsatz ausbilden.

Schon 2022 absolvierten ukrainische Soldatinnen und Soldaten Ausbildungen an der Panzerhaubitze 2000 oder dem MARS.  
Die ukrainischen Streitkräfte setzen beide Systeme inzwischen mit großem Erfolg ein.
Wir werden die Ukraine weiter mit aller Entschlossenheit unterstützen. 

Diese Unterstützung halten wir solange aufrecht, bis die Ukraine sich durchgesetzt und ihre territoriale Integrität vollständig wiederhergestellt hat. 

Die Ukrainerinnen und Ukrainer zeigen, dass man seine Existenz und seine Freiheit im Ernstfall verteidigen können muss.

Dazu gehört auch, dass wir Europäer mehr Verantwortung übernehmen. 

Wir müssen unsere verteidigungspolitischen Strukturen und Fähigkeiten auch innerhalb Europas stärken. 
Die Diskussion über eine Vergemeinschaftung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollten wir ohne Scheuklappen führen.

Wir müssen eine breite strategische Debatte über unsere Sicherheit und Verteidigung führen
 – in unseren Ländern, in der EU und im transatlantischen Bündnis. 

Als Parlamentspräsidentin sage ich: 
Sicherheit ist nicht allein Angelegenheit unserer Regierungen. 

Diese Debatten gehören in die Parlamente. Fragen der Verteidigung und Sicherheit brauchen breite Legitimation und gesellschaftliche Akzeptanz. 
Und deshalb danke ich Ihnen, liebe Frau Präsidentin, dass Sie dafür in diesem Format eingeladen haben!

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