01.10.2023 | Parlament

Rede Bundestagspräsidentin Bärbel Bas anlässlich des 650. Jubiläums von Krefeld im Seidenweberhaus

[Es gilt das gesprochene Wort]

Sehr geehrte Frau Ministerin,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Diplomatischen Corps,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus Bundes- und Landtag,
liebe Gäste,

es ist mir eine große Freude, heute hier zu sein,  um mit Ihnen gemeinsam zu feiern: 
650 Jahre Krefeld. 
Ein stolzes Jubiläum!
Es ist wirklich eine große Ehre für mich, 
dass ich dazu in meiner Nachbarstadt die Festrede halten darf. 
Und dass ich mich eben auch ins „Goldene Buch“ der Stadt Krefeld eintragen durfte. 

Meine Damen und Herren,
blicken wir gemeinsam zurück: 
Oberbürgermeister Frank Meyer hat es eben schon erwähnt: 
1373 erhielt „Creyvelt“ die Stadtrechte. 

Das kleine Städtchen wurde allmählich zur Hochburg der Textilverarbeitung.
Ihre Stadt hat sich im Laufe der Jahrhunderte von einer Bauernsiedlung bis zum Seidenmonopol entwickelt. 
Später kam die Metall- und Chemieindustrie dazu, was Krefeld wirtschaftlich noch stärker machte.
Seide, Samt und Stahl
– was für eine einzigartige Mischung.
Wenn man aus der Stahlstadt Duisburg kommt, muss man neidlos anerkennen: Krefeld hat als Samt- und Seidenstadt viel zu bieten. 

Diese industrielle Tüchtigkeit im Textilbereich hatte historisch betrachtet viele Vorteile - besonders für die Krefelder Männer: 
Sie schützte zum Beispiel im 18. Jahrhundert vor dem gefährlichen Kriegsdienst. 

Damals schickte Preußenkönig Friedrich II. seine Soldaten aus, um neue Rekruten zu „pressen“.  
Die Männer wurden häufig volltrunken gemacht, damit sie ihr Kreuz an die richtige Stelle setzten. 
Krefeld nahm Friedrich II. vom „Pressen“ ausdrücklich aus. 

Mit der Begründung: Die Männer hier seien für die Wirtschaft unverzichtbar. 
So ersparte er den hier ansässigen Webern die Zwangsrekrutierung. 
Was beweist: Gewerbefleiß und handwerkliches Können lohnen sich in vielerlei Hinsicht.  

1929 war dann das Jahr der großen kommunalen Neuzuschnitte: Uerdingen wurde ein Teil von Krefeld.  
Mittlerweile schaffen es „waschechte“ Uerdinger sogar zum Oberbürgermeister in Krefeld.
Gelungene Integration, lieber Frank Meyer. 
In Krefeld begann eine neue Ära des Wachstums und Fortschritts.
Krefeld wurde zum modernen Zentrum von Handel, Kultur und Innovation.

Dabei haben die Stadtverantwortlichen sowie die Bürgerinnen und Bürger immer wieder enorme Anpassungsstärke bewiesen.
Das war nicht immer leicht. 

Die beiden Weltkriege trafen Krefeld schwer. 
Besonders die Luftangriffe zwischen 1942 und 1945 forderten Tausende Menschenleben und zerstörten einen großen Teil der Infrastruktur.

Sechs große Bombenangriffe trafen Krefeld. 
Eine schreckliche Bilanz.
Doch Sie, liebe Krefelderinnen und Krefelder, geben nie auf.

Mit Optimismus, Fleiß und Einfallsreichtum arbeiteten sich die Menschen wieder empor. 
Zum Beispiel in der Architektur. 

Das zeigen die nach 1945 notwendigen Um- und Neubauten am heutigen Theaterplatz, 
am nördlichen Ende des Ostwalls oder im Bereich des Schwanenmarktes. 
Hier entstand nach Kriegsende eine moderne Großstadtarchitektur, die Krefeld veränderte. 

Mehr als 25 „Bauhäusler“ wie Ludwig Mies van der Rohe, Lilly Reich oder Johannes Itten arbeiteten in Krefeld und machten die Stadt zur Bauhaus-Stadt in NRW.  
Meine Damen und Herren, 
Frank Meyer hat es gerade sehr treffend formuliert: „Das besondere Merkmal von Städten ist ihre stetige Veränderung“. 

Krefeld und Duisburg haben auch in dieser Hinsicht vieles gemeinsam. 
Wir leben den Strukturwandel. 

Auch Krefeld hat sich zum Logistikstandort entwickelt und legt großen Wert auf Bildung. 
Das zeigt die Hochschule Niederrhein.

Und was viele nicht wissen: 
Europas größte Fachhandlung für Tiernahrung [Fressnapf] hat ihren Hauptsitz in Krefeld-Linn. 

Die Krefelderinnen und Krefelder sind neugierig, immer bereit für Veränderungen. 
Sie ruhen sich nie auf ihren Lorbeeren aus. 

Dabei versprühen Sie ansteckende Begeisterung und Energie. 

Auch für mich ist Krefeld als Nachbarstadt von Duisburg immer ein vertrauter Ort gewesen. 
Die vielen Ecken von Krefeld erkunde ich gerne auch mal mit meinem Motorrad.

Und meine alte Arbeitgeberin, die bkk futur, hatte früher ihren Sitz in Krefeld.
Die Adresse weiß ich noch: Girmesgath 5.

Durch meine Arbeit dort habe ich viele Krefelderinnen und Krefelder kennengelernt.
Auch Oberbürgermeister Frank Meyer kenne ich schon seit vielen Jahren. 
Er ist ein engagierter, kluger und sympathischer Kollege, der für seine Stadt kämpft. 

Meine Damen und Herren, 
Krefeld – das steht auch für das Miteinander.

Bereits im 17. Jahrhundert war Krefeld ein Zufluchtsort für Glaubensflüchtlinge. 

Ein sicherer Hafen für viele, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung – ihrer Identität – verfolgt und ausgegrenzt wurden.

Vertriebene verschiedener Konfessionen kamen hierhin, um ohne Angst leben und sich frei entfalten zu können. 

Vor allem Mennoniten aus dem Umland oder aus West- und Ostpreußen fanden eine Zuflucht in Krefeld und haben die Stadt mit ihren Seidenweberkünsten bereichert.

Ich finde: Dies spürt man bis heute. 

Ihre Stadt unterhält Handelsbeziehungen mit fernen Ländern: Zum Beispiel das Netzwerk für Investments und Handelsgeschäfte mit Asien.

Diese Weltoffenheit stärkt Ihre Stadt. 
Ebenso wie die „Charta der Vielfalt“, 
die Krefeld unterzeichnet hat. 
Die Bürgerinnen und Bürger hier sind bekannt für ihre Gastfreundschaft. 

Das hat auch der Oberbürgermeister eben gelobt. 
Und von der anderen Rheinseite aus betrachtet: Volle Zustimmung. 

Nicht zuletzt deshalb leben in dieser Stadt Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen friedlich zusammen.

Und diese Menschen machen Krefeld so besonders. 
Ihr Engagement und ihr Zusammenhalt machen die Stadt zu einer starken Gemeinschaft. 
Und zu einer Metropole, in der es sich gut arbeiten und leben lässt.

Man spürt: Ihre Stadt ist ein Ort der Toleranz und Offenheit, in dem alle willkommen sind. 

Das zeigte sich auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. 
Mehr als eine Million haben in Deutschland einen sicheren Zufluchtsort gefunden. 
Über 3.600 auch in Krefeld. 
Durch das Engagement von Stadtverwaltung, Wohlfahrtsverbänden sowie zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfern. 

Ich danke allen Krefelderinnen und Krefeldern auch an dieser Stelle herzlich für ihre Solidarität und Unterstützung für Menschen in Not. 

Der Schutzpatron von Krefeld – der heilige Dionysius – ist ja auch einer der 14 Nothelfer. 
Meine Damen und Herren, 

ich bin überzeugt, dass Krefeld auch mit großer Zuversicht nach vorn blicken kann. 

Investitionen in Projekte wie das „Haus der Bildung“, der Ausbau vieler neuer Radwege oder Sanierungen von Grotenburg und Stadtwaldhaus tragen dazu bei, dass Krefeld voran kommt und jungen Menschen Chancen bietet. 

Dabei ist mir persönlich besonders wichtig, 
jungen Frauen und Männern Mut zu machen, ihre Wege zu gehen und ihre Talente zu entwickeln. 
Wir brauchen Euch
– im Berufs- und Kulturleben, im Ehrenamt und natürlich in der Politik. 
Euer Engagement, Eure Neugier und Eure Ideen stärken unsere Demokratie!
In Krefeld – genauso wie im Rest des Landes. 

Dabei sind auch wir – etwas – Älteren gefordert. 
Wir müssen gerade benachteiligte Kinder und Jugendliche unterstützen und fördern. 

Alle Kinder verdienen faire Aufstiegschancen. 
Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. 
Das ist auch für die Stärke unserer Demokratie und unserer Wirtschaft entscheidend. 

Nur wenn es faire Aufstiegschancen für alle gibt 
und sich alle einbezogen fühlen, bleibt das Vertrauen in den Staat erhalten.

Das verlangt eine gute Zusammenarbeit aller Ebenen und Institutionen. 
Und engagierte Demokratinnen und Demokraten.  

Als Bundestagspräsidentin fallen mir natürlich sofort die Namen meiner Bundestagskolleginnen und -kollegen Kerstin Radomski, Ulle Schauws, Jan Dieren, Otto Fricke, Ansgar Heveling oder Udo Schiefner ein. 

Ich möchte aber auch die Landtagsabgeordneten und besonders die ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und -politiker aus Krefeld ausdrücklich nennen. 

Wir stehen gemeinsam vor immensen Herausforderungen: Klimakrise, Europas Sicherheit, Transformation, Digitalisierung. 
All das verlangt kluge Antworten und Lösungen. 
Die Menschen in Krefeld können Strukturwandel und wissen: 
Diese Antworten und Lösungen finden wir nur gemeinsam. 

Ich sehe mit Freude, wie Sie nachhaltige Mobilität der Mitarbeitenden in Krefeld fördern. 
Sie haben eine Stabsstelle Klimaschutz und Nachhaltigkeit eingerichtet. 
Ein Fuhrpark für Dienstfahrräder ist im Aufbau, die ersten E-Bikes sind im Einsatz. 
Abstell- bzw. Ladeeinrichtungen gibt es auch schon an einigen Standorten der Verwaltung. 
Viele weitere Maßnahmen sollen folgen.

Da kann ich für die Bundestagsverwaltung sicher auch noch Anregungen mitnehmen. 
Hier vor Ort in Krefeld sehen Bürgerinnen und Bürger direkt, wie Politik funktioniert und dass gute Politik zu greifbaren Ergebnissen führt.

Dieses Engagement hier vor Ort zu sehen und mit Ihnen zu sprechen: Das ist ein Grund, warum ich heute gerne hier bin.

Sehr geehrte Damen und Herren,
starke Kommunen brauchen aber auch Partner. 
Krefeld hat starke Partner im In- und Ausland. 

Krefelds Partnerstädte sind auf der ganzen Welt zu finden
 – in den USA, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden oder der Türkei. 

Länder, mit denen unser Land seit so vielen Jahren eng verbunden sind.
Aber auch neue Freundschaften können entstehen, selbst in schwierigen Zeiten.

Der Oberbürgermeister hat es gerade gesagt: 
Die jüngst beschlossene Städtepartnerschaft zwischen Krefeld und Venlo auf der einen Seite. 
Und der ukrainischen Stadt Kropywnyzkyj auf der anderen.

Diese Partnerschaft ist für mich ein besonderes Zeichen unserer Unterstützung und unserer fortbestehenden Solidarität mit der Ukraine! 

Die ukrainische Delegation hat bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages dazu geschrieben – „Danke“. 
Ich darf deshalb auch hier ganz klar sagen:
Deutschland steht weiter entschlossen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer! 
Und ich weiß: Krefeld wird zu dieser Solidarität weiter beitragen!

Auch mit den USA verbindet Krefeld eine besondere Geschichte:
Am 6. Oktober 1683, fast auf den Tag genau vor 340 Jahren, kamen an der amerikanischen Ostküste 13 Familien aus Krefeld an. 

Diese Krefelder Familien gründeten Germantown, heute ein Vorort von Philadelphia. 

Sie schlugen eine frühe Brücke zwischen der Alten und der Neuen Welt, Basis für die Freundschaft unserer beiden Länder.
Diese stabile Freundschaft hielt es auch aus, dass 1980 der „Krefelder Appell“ gegen den NATO-Doppelbeschluss formuliert wurde und 1983 rund 20.000 Menschen gegen den Besuch von Vizepräsident George Bush senior in Krefeld zur Philadelphiade demonstrierten. 
Und es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.  

Im selben Jahre 1983 – zum 300. Jubiläum – nahm der Deutsche Bundestag die Auswanderung der Krefelder Familien zum Anlass für sein Parlamentarisches Patenschaftsprogramm: 
Abgekürzt PPP. 

Dieses Programm ermöglicht es amerikanischen Jugendlichen, nach Deutschland zu kommen. Und umgekehrt. 

Um Land und Leute kennenzulernen, 
das politische System zu verstehen und durch persönlichen Austausch die deutsch-amerikanische Freundschaft zu festigen.

Das PPP ist seit 40 Jahren eine Erfolgsgeschichte. 
Und dieser Erfolg ist untrennbar mit Krefeld verbunden. 

„Krefeldisches“ gibt es aber auch im Reichstagsgebäude des Deutschen Bundestages. 
Und zwar: Kunst. 
„Tisch mit Aggregat“ heißt ein Werk von Joseph Beuys, das seit vielen Jahren im Wandelgang der Plenarsaalebene steht. 

Experten nennen die Schöpfung des in Krefeld geborenen Künstlers eine „Provokation aus Fett und Filz“. 

Bis heute sorgt es bei Besucherinnen und Besuchern für Erstaunen. Gut so.  

Liebe Krefelderinnen und Krefelder,
Ihre Stadt verdient es, gefeiert zu werden. 

Das tun Sie mit einem wunderbaren Jubiläumsprogramm.
Schon die mobile Ausstellung „650 Jahre Krefeld. Geschichte und Geschichten einer Stadt“ macht Lust, reinzuschauen. 

Das Sommerfestival mischt Information mit Unterhaltung. 
Und richtig spektakulär klingt die 3D-Lichtshow auf der historischen Fassade des Rathauses!

Sie denken aber auch an die Zukunft und die Stadtentwicklung: 
„Stadtradeln für Radmobilität und Klimaschutz“ gehört auch zum Programm.

Wie ich höre haben Sie das ambitionierte Ziel von 650.000 Kilometern im Jubiläumsjahr nur knapp verfehlt. 
Trotzdem: Respekt. Starke Leistung. 
Einen Rekord haben Sie in jedem Fall aufgestellt, sogar einen Weltrekord. 

Wie ich gelesen habe, kamen am 17. September mehr als 2.000 Krefelderinnen und Krefelder zu einem gemeinsamen Brunch zusammen – zum wirklich „größten Brunch der Welt“. 

Auch ein Symbol für die Mobilitätswende, weil die Brunchteilnehmerinnen und Teilnehmer mit Fahrrädern oder zu Fuß zum Treffpunkt kamen. Vorbildlich!

Das gilt auch für Ihr Jubiläums-Programm. 
Es ist so vielfältig und einfallsreich, dass mir meine Berliner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  vorgeschlagen haben: Sie könnten Ihre Stadt in „Kre-ativ-feld“ umbenennen.
Liebe Krefelderinnen, liebe Krefelder, 
herzlichen Glückwunsch zu Ihrer tollen Stadt, zu Ihrem herausragenden Engagement und Ihrem beeindruckenden Jubiläum. 

Ich wünsche Krefeld und Ihnen allen von Herzen alles Gute für die Zukunft!

Vielen Dank.

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