07.11.2023 | Parlament

Dankesrede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zum Preis für den Einsatz zur Stärkung jüdischen Lebens in Deutschland und ein positives Miteinander auf dem Pears Campus Berlin

[Es gilt das gesprochene Wort]

Sehr geehrter Herr Botschafter, 
lieber Ron Prosor, 
ich danke Ihnen sehr für Ihre Worte. 

Sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
liebe Bella,
meine Damen und Herren, 
vor allem aber – lieber Rabbiner Teichtal,

es bewegt mich sehr, heute hier bei Ihnen zu sein und diesen Preis entgegennehmen zu dürfen. 

In einer Zeit der Trauer. 
In einer Zeit des Entsetzens. 
In einer Zeit, in der Israel von unvorstellbarem Terror heimgesucht wird. 

In einer Zeit, in der sich viele Jüdinnen und Juden unverstanden fühlen. 
Und alleingelassen. 

In Israel, weltweit und auch bei uns in Deutschland. 

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal – auch im Namen des Deutschen Bundestages – sagen: 
Wir stehen an der Seite Israels. 
An der Seite aller Jüdinnen und Juden. 

Ich werde alles dafür tun, diese Solidarität aufrechtzuerhalten und an die Opfer und das Leid der Menschen zu erinnern.

Das habe ich auch den Angehörigen deutsch-israelischer Geiseln bei einem persönlichen Gespräch versprochen. 

Viele der Geiseln haben Vorfahren, 
die vor den Nationalsozialisten geflohen sind und Israel mitaufgebaut haben. 
Die Kibbuze mitgegründet haben. 
Es sind Schicksale, die einem das Herz brechen. 
Die Ungewissheit, das Bangen und der Schmerz der Angehörigen lassen mich nicht los. 

Für die Familie von Shani Louk ist ihr grausamer Tod traurige Gewissheit. 

Meine Gedanken sind heute bei ihr und ihren Angehörigen. 

Sie haben diese entsetzliche Nachricht mit einer Fassung getragen, die ich mir bisher nicht vorstellen konnte.  

Meine Damen und Herren,

der Terror der Hamas trifft viele Menschen auch in Deutschland unmittelbar und existentiell. 

Dieser Terror trifft alle, die um Menschen aus dem Familien-, Freundes- oder Kollegenkreis bangen oder trauern. 

Juden wie Nichtjuden. 
Israelis, Deutsche und andere Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.

Mit meinem israelischen Amtskollegen Amir Ohana habe ich kurz nach dem 7. Oktober telefoniert und ihm die volle Solidarität des Deutschen Bundestages versichert. 
Unser Parlament hat am 12. Oktober einstimmig die barbarischen Terrorakte verurteilt. 

Das war ein notwendiges Zeichen
– gegenüber Israel, aber auch an unsere Bevölkerung in Deutschland.

Hass gegen Jüdinnen und Juden ist überall auf der Welt unerträglich. 
Hier in Deutschland ganz besonders.

Ich schäme mich dafür, was in unserem Land in diesen Wochen passiert. 
Auf den Straßen und im Netz erleben wir, dass der Terror verherrlicht und zur Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufgerufen wird. 
Die Zahl antisemitischer Straftraten ist sprunghaft gestiegen. 

Unser Rechtsstaat wird diese Taten mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgen. 
Und alles unternehmen, um Judenhass in all seinen Formen entgegenzutreten. 

Dazu gehört das Verbot der Hamas und des Netzwerks Samidoun. 

Weitere Schritte müssen nun zügig folgen. 

Meine Damen und Herren,

in diesen Tagen hört man oft:
Wir verurteilen den Terror, aber…
Schnell werden dann aus den Tätern Opfer und aus den Opfern Täter. 

Bei Antisemitismus und Terror 
darf es kein Aber geben. 
Nichts rechtfertigt die bestialischen Attacken der Hamas gegen Kinder, Alte, Frauen und Männer.

Wir dürfen nicht auf die Propaganda einer verbrecherischen Terrororganisation reinfallen. 
Sie behauptet, Palästina befreien zu wollen. 
In Wirklichkeit will sie aber Israel vernichten – ein Blick in die Charta der Hamas genügt, um das zu wissen. 
Dabei benutzt die Hamas die eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde. 
Ohne Skrupel, ohne Mitleid. 
Das ist ein Kriegsverbrechen.

Israel hat – wie jeder Staat – das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung. 
Und auch die Verpflichtung, seine Bevölkerung zu schützen. 

Ich habe keine Zweifel, dass Israel bei seinem militärischen Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen das Völkerrecht einhalten wird. 
Und alles tun wird, um zivile Opfer zu vermeiden. 

Meine Damen und Herren, 
in diesen Tagen erinnern wir an die Pogrome von 1938. 

Mehr als 1.400 Synagogen und Gebetshäuser haben die Nationalsozialisten zerstört und viele Menschen ermordet.
In den folgenden Wochen begannen die Deportationen in großem Umfang.

Übermorgen werden wir in vielen Städten in Deutschland und Österreich virtuelle Rekonstruktionen der damals zerstörten Synagogen sehen können. 
Und damit zumindest erahnen können, welchen Verlust die Vernichtung jüdischer Kultur und jüdischen Lebens für unsere Länder bedeutet hat. 
Ich unterstütze dieses Projekt als Schirmfrau und danke dem Zentralrat der Juden und dem World Jewish Congress für diese eindrucksvolle Initiative.

Der Historiker Raphael Gross nannte die Pogrome einmal die „Katastrophe vor der Katastrophe“, die – ich zitiere – das „Ende der deutsch-jüdischen Epoche“ bedeutete.

85 Jahre später stehe ich hier in einem der größten jüdischen Bildungszentren Europas. 
Mit einer Kita und einer Schule, 
mit einer Sporthalle und einem Musikstudio. 
Seit der Eröffnung vor einem Jahr ist dieser jüdische Campus voller Leben. 
In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich eine neu errichtete Synagoge. 

Das empfinde ich als ein Wunder. 

Lieber Rabbiner Teichtal,

Sie sind nach Deutschland zurückgekehrt. 

In das Land, aus dem die Peiniger und Mörder Ihrer Vorfahren stammen. 

Sie haben die Synagoge hier mitaufgebaut. 
Sie vertrauen Deutschland. 
Wie so viele Jüdinnen und Juden, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu uns gekommen sind. 

Sie alle vertrauen darauf, dass Deutschland seine historische Verantwortung ernst nimmt. 

Ich versichere Ihnen: Wir tun das!

Am 9. November wird der Deutsche Bundestag zusammenkommen und in einer Debatte an die Pogrome erinnern. 
Und über ihre Bedeutung für unser Handeln in der Gegenwart reden. 
Das ist jetzt notwendiger denn je.
Es erschüttert mich, dass 85 Jahre nach den Pogromen ein Brandanschlag auf eine Berliner Synagoge verübt wurde. 

Dass „Jude“ als Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen zu hören ist. 

Dass Juden nicht jederzeit und überall die Kippa tragen können. 

Dass Wohnungen und Häuser mit einem Davidstern markiert werden.

Das alles ist eine Schande für unser Land.

Und es ist eine Schande, dass jüdische oder israelische Einrichtungen nur unter Polizeischutz sicher sind. 
In den vergangenen Wochen musste dieser Schutz verstärkt werden. 
Das war wichtig und richtig. 

Aber, meine Damen und Herren, 
unserer historischen Verantwortung werden wir erst dann gerecht, wenn alle Jüdinnen und Juden in Deutschland ohne Angst leben können. 
Immer und überall. 

Wenn Ihr Campus, lieber Rabbiner Teichtal, keine Schutzmauern mehr braucht. 
Und nicht mehr von der Polizei beschützt werden muss. 
Tag und Nacht. 

Spätestens seit dem 7. Oktober muss allen klar sein: Es geht uns alle an. 
Die ganze Gesellschaft.  

Wir brauchen einen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur und auch Sport!  

Denn: Nie wieder ist jetzt!

Alle Menschen in Deutschland müssen gegen Judenhass vorgehen – egal, wie lange sie hier leben und woher ihre Familien kommen. 

Es stimmt: Einige Zugewanderte haben den Antisemitismus aus ihrer Heimat mitgebracht. 
Das haben wir als deutsche Politik zu lange nicht gesehen. 
Und lapidar gesagt: „Die meinen das nicht so!“

Jetzt ist es wichtig, mit Aufklärungsarbeit entgegenzuwirken – vor allem in Schulen, in der Polizei und in der Justiz. 

Und allen deutlich zu machen: 
Judenhass wird in Deutschland nicht geduldet. 

Aber klar ist für mich auch:  Deutschland darf nicht so tun, als wäre Antisemitismus nur von außen zu uns gekommen. 
Wer ernsthaft Antisemitismus bekämpfen will, darf ihn nicht zuerst bei anderen suchen: 

am rechten Rand, 
am linken Rand, 
pauschal bei Muslimen.

Nein, der Antisemitismus geht quer durch unsere Gesellschaft. 
Er war nie verschwunden. 
Heute zeigt er sich wieder ohne Hemmungen. 

Antisemitismus wird befördert
durch Hass und Hetze im Netz, 
durch Verschwörungstheorien aller Art, 
durch das populistische Spiel mit Ressentiments. 
Wir in Deutschland haben es in der Hand, was für eine Gesellschaft wir sein wollen. 

Solidarität mit Jüdinnen und Juden ist in diesen Tagen nicht nur eine Frage der Weltpolitik. 
Es ist eine Frage der Menschlichkeit.

Es ist wichtig und im Wortsinn not-wendig, dass wir diese Solidarität auch zeigen.

Und sie für unsere jüdischen Mitmenschen spürbar machen. 

Gerade in dieser Zeit.

Wir werden nicht hinnehmen, wenn ganze Gruppen von Menschen angefeindet werden: 
Jüdinnen und Juden. 
Migrantinnen und Migranten. 
Muslime. 
Menschen, die vermeintlich anders sind.

Was mir Mut macht –
es gibt so viele Menschen, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen. 
Die Zivilcourage beweisen. 

Die hinsehen, die eingreifen, die sich dem Hass entgegenstellen – und die dabei keinen Personenschutz haben wie ich. 

Ich denke an die vielen Lehrerinnen und Lehrer, die Konflikte nicht aussitzen, sondern aufklären.

Ich denke an Menschen wie Derviş Hızarcı, der die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus leitet. 

An all die Menschen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen. 

An Begegnungsinitiativen wie Meet2Respekt und die Denkfabrik Schalom Aleikum, die sich für den jüdisch-muslimischen Dialog einsetzen. 
Und an alle, die sich hier auf dem Pears Campus für den Austausch starkmachen.

Meine Damen und Herren,  
dieser Preis ist mir ganz persönlich ein Ansporn. 

Ich fühle mich bestärkt in meiner Arbeit. 
Und geehrt. 

Herzlichen Dank!

Bei dieser Preisverleihung denke ich besonders an all die Menschen, die unsere Gemeinschaft stark machen.

Hass und Gewalt werden nicht gewinnen, solange wir aneinander glauben. 

Solange wir für unsere Werte einstehen. 

Solange wir alles tun für ein friedliches Miteinander.

Vielen Dank! 

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