06.09.2024 | Parlament

Keynote von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas „Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit und Schutz nationaler Interessen: die Rolle der Parlamente bei der Digitalisierung“ bei der G7-PPK in Verona

[Es gilt das gesprochene Wort]

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Künstliche Intelligenz ist überall. 
Sie hat bei den Olympischen Spielen in Paris manchem Sportler zu einer Medaille verholfen – indem sie Trainingsdaten oder Gegner analysiert. 
Und ich vermute: In jedem unserer Plenarsäle stand ChatGPT sinnbildlich schon mal am Rednerpult.
Es ist kein Geheimnis, dass manche Abgeordnete KI für ihre Reden nutzen.  

Im Deutschen Bundestag hat in der vergangenen Legislaturperiode eine Enquete-Kommission 
Chancen und Risiken der KI betrachtet.

In der KI-Nutzung liegen viele Potenziale! 
KI ist ein riesiger Wachstumsbereich – und ein Standortfaktor! 
Deswegen haben alle Länder Interesse daran, beim technologischen Fortschritt mitzuspielen. 
Das Ziel ist klar: Die Daten und das Knowhow sollten sich nicht bei wenigen Tech-Giganten ballen. 
Wir brauchen Vielfalt in der KI-Wirtschaft!

Ich sehe große Chancen für die Partizipation und die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sowie Politik und Verwaltung.

Wir kennen es alle: 
Bürgerinnen und Bürger beklagen sich, dass offizielle Briefe und Formulare oft schwer verständlich sind. 
Hier kann die KI helfen: 
Durch Übersetzung in leichtere Sprache und durch Interaktion mit einem Bot. 
Für die Zukunft sehe ich auch Chancen in einer Art „E-Partizipation“. 
Zum Beispiel, indem Online-Debatten von KI ausgewertet werden. 
So könnten viel mehr Menschen zu Wort kommen.

Im Bundestag arbeiten wir intensiv daran, KI für unseren parlamentarischen Alltag zu nutzen.

Wir haben eine Wissensplattform und eine Use Case Map erstellt mit 180 möglichen Anwendungen.
In der IT-Abteilung gibt es eine spezielle KI-Koordinierungsstelle.
Und durch Workshops und Veranstaltungen nehmen wir alle Kolleginnen und Kollegen der Bundestagsverwaltung mit auf den Weg.  

Wir wenden KI bereits ganz konkret an:
Unsere Pressedokumentation verschlagwortet pro Tag bis zu 800 Artikel. 
Früher: händisch. 
Demnächst: mit KI. 
Eine enorme Entlastung. 
Und gleichzeitig die Möglichkeit, Quellen besser auszuwerten.

Unser stenographischer Dienst testet „Whisper“ – eine Open-Source-KI. 
Whisper“ wandelt Tonaufnahmen in schriftliche Protokolle. 
Die Testphase findet vor allem in den Untersuchungsausschüssen statt
– nicht im Plenum.

Die Stenographinnen und Stenographen können sich mit Hilfe von Whisper stärker auf die Details konzentrieren: 
Wer macht einen Zwischenruf? 
Oder wer klatscht?

Aber natürlich liegen auch Risiken im Einsatz von KI.
Die Stenographinnen und Stenographen wissen: Am Ende müssen sie das Protokoll freigeben. 
Wer auf dem Handy schon mal eine Nachricht diktiert hat, weiß, wie leicht einer KI verwirrende Fehler passieren.

Ob die KI also alles richtig macht oder ob sie halluziniert – das braucht Kontrolle.

Letztlich steckt dahinter eine Machtfrage: 
Ein großes KI-Unternehmen besitzt sehr viele Daten. 
Und könnte damit Menschen wie Institutionen überwachen und sogar Einfluss auf Entscheidungen nehmen. 
Das sind Einfallstore für Missbrauch. 
Deshalb braucht es Kontrolle und Regulierung!
Die europäische KI-Verordnung ist die weltweit erste umfassende Regulierung.

Sie findet eine Balance, um Chancen zu nutzen und Risiken einzudämmen.

Einerseits gibt es sogenannte „Sandkästen“, um KI-Anwendungen in einem geschützten Bereich testen und entwickeln zu können.

Andererseits werden KI-Anwendungen nach Risiko unterteilt.
Je mehr Einfluss sie auf menschliche Entscheidungsprozesse haben, desto mehr müssen sie reguliert und überwacht werden.

Es ist gut, wenn jetzt länderspezifische und EU-weite Aufsichtsstrukturen für KI geschaffen werden.

Als Parlamentspräsidentin sage ich klar: 
KI mit Bezug zu Wahlentscheidungen sind Hochrisiko-KI.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
KI-Unternehmen agieren weltweit. 
Deswegen möchte ich Sie ermuntern: 
Wenn Sie weitere Schritte in der Gesetzgebung gehen, lassen Sie uns gemeinsam einen maßvollen Rahmen abstecken. 
Lassen Sie uns nicht in einer Art „Regulierungswettbewerb“ gegeneinander ausspielen!

Gleichzeitig glaube ich: 
Wir können und sollten nicht jedem Risiko der KI mit Regulierung begegnen.

Was wir brauchen, ist eine digitale Allgemeinbildung.
Das heißt: Kompetenzen und eine Haltung zum kritischen Denken.

KI-Nutzung heißt nicht, sich zurückzulehnen und das Steuer der KI zu überlassen.

Im Gegenteil: Es braucht Handwerkszeug, um manipulative KI-Inhalte wie Fake News zu erkennen und Entscheidungen der KI einordnen zu können.

Mit KI kann jede und jeder schnell und täuschend-echt Fake News erstellen.
Schon lange besteht die Sorge, dass die politische Debatte durch Falschinformationen in Gefahr gerät.

Ein Klick auf einen Artikel mit Desinformation über Geflüchtete reicht aus und der Algorithmus spielt immer weitere Fake News zu Migration ein. 
Der Algorithmus verstärkt den einen Standpunkt und behindert Meinungsvielfalt.

Ein weiteres Beispiel – ein engagierter Bürger rief mich auf: 
Tun Sie etwas dagegen, dass Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland schon mit 60 Jahren in Rente gehen können – während wir Deutsche so lange arbeiten müssen!

Der Bürger ist auf eine Fake-Kampagne reingefallen.

Es gibt viele Kräfte, die ein Interesse an einer solchen Desinformation haben.

Lieber Ruslan, 
im Fall der Fake News zu Ukrainern in Deutschland ist es naheliegend, dass russische Kräfte dahinterstecken.

Diese Kräfte haben ein Interesse daran, deutsche Bürgerinnen und Bürger aufzuwiegeln: Gegen die weitere Unterstützung der Ukraine und gegen die Geflüchteten.

Desinformation wird heute gezielt für geopolitische, radikale und anti-demokratische Interessen eingesetzt.
Ganz besonders in Wahlkämpfen. 
Ich bin gespannt auf Ihre Berichte.

KI kann nicht nur für Desinformation missbraucht werden – sondern auch für Cyberangriffe.

Der Bundestag war in der Vergangenheit mehrfach Ziel von Attacken. 
Mit KI können solche Angriffe möglicherweise noch konzentrierter und weitreichender ausgeführt werden.

Cybersicherheit muss daher weit oben auf unserer Agenda bleiben!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Frage für uns als Parlamentspräsidentinnen und Parlamentspräsidenten muss sein: 
Was können und müssen wir in den Parlamenten tun?

Nötig ist zuallererst eine ausgewogene Regulierung.
Wir brauchen außerdem die breite gesellschaftliche Debatte.

Die KI ist von Menschen gemacht. 
Sie ist ein Werkzeug, das vor allem auf Daten der Vergangenheit basiert. 
Per se weder gut noch böse. 
Sie kann Menschen nicht ersetzen: 
Sie kann keine Wertentscheidungen treffen.
Deswegen bin ich auch überzeugt: 
KI ersetzt nicht die politische Entscheidung oder gar die Demokratie!

Auch wenn manche Bürgerinnen und Bürger denken mögen: 
Die Politik sei korrupt und eine neutrale KI solle die Entscheidungen treffen.

Politik aber ist nie nur ein Blick auf Daten aus der Vergangenheit. 
Politik ist nicht die simple Reproduktion bekannter Muster.

Politik ist der Antrieb, Neues zu gestalten und Gerechtigkeit zu schaffen.

Natürlich auf Basis von Informationen. Aber mit ethischen und moralischen Maßstäben.

Dafür braucht es menschlichen Verstand!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin gespannt:
Wie setzten Sie KI in Ihren Parlamenten ein?
Wie sind die Bürgerinnen und Bürger in Ihren Ländern gegenüber KI eingestellt?

Vielen Dank – ich freue mich auf unseren Austausch! 

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