20.03.2025 | Parlament

Keynote von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zum Panel „Schutz der Demokratie“ bei der Konferenz der Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten der Mitgliedsstaaten des Europarats in Straßburg

[Es gilt das gesprochen Wort.]

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Deutschland hat am 23. Februar einen neuen Bundestag gewählt, der am 25. März zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt.

Wir blicken auf einen emotionalen Wahlkampf zurück.

Mit über 80 Prozent war die Wahlbeteiligung so hoch wie noch nie seit der deutschen Wiedervereinigung.

Die Bürgerinnen und Bürger wollen mitgestalten, sie wollen gehört werden.
Das ist ein wichtiges Signal.

Von dieser Politisierung haben auch autoritäre Kräfte profitiert. 
Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

Dennoch konnten sich die Parteien der Mitte insgesamt behaupten. Gemeinsam haben sie weiterhin eine klare Mehrheit im neuen Bundestag.

Sie müssen jetzt beweisen, dass sie die Probleme der Menschen im Blick haben und konkrete Lösungen anbieten. 
Nur so lässt sich Vertrauen zurückgewinnen. Und dieses Vertrauen ist der beste Schutz unserer Demokratie.

Aktuell arbeiten CDU/CSU und SPD intensiv daran, belastbare Mehrheiten für eine neue Regierung zu finden.

Ich kann Ihnen versichern: 
Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage ist allen die Dringlichkeit bewusst.

Der noch aktuelle Bundestag hat daher vor zwei Tagen wichtige Verfassungsänderungen mit 2/3-Mehrheit beschlossen, die morgen auch vom Bundesrat beschlossen werden müssen.

Mit einem kreditfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro wollen wir massive Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur und Klimaschutz tätigen.
Das zusätzliche Geld soll zum Beispiel in Kitas und Schulen, Krankenhäuser, digitale Netze, Schienenwege und Brücken investiert werden. 
100 Milliarden Euro fließen allein in den Klima- und Transformationsfonds. 
Auch die Bundesländer sollen einen neuen Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bekommen, um vor Ort in Kommunen, Bildungseinrichtungen oder Schwimmbäder investieren können.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, 
das ist das größte Infrastrukturprogramm, das es in Deutschland je gegeben hat.

Gleichzeitig übernehmen wir mehr Verantwortung für Sicherheit, Frieden und Wohlstand in Europa.

Verteidigungs- und sicherheitspolitische Ausgaben, die mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, sollen künftig nicht mehr unter die Schuldenregel fallen.

Das gilt nicht nur für Ausgaben für die Bundeswehr, sondern auch für den Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Cybersicherheit, die zusätzliche militärische Unterstützung für die Ukraine und die Nachrichtendienste.

Diese Beschlüsse haben auch gezeigt, dass die Parteien der Mitte in Deutschland zusammenstehen.

CDU/CSU, SPD und die Grünen haben unter hohem Zeitdruck eine gemeinsame Lösung gefunden. Über die Parteigrenzen hinweg.

Angesichts des polarisierenden Wahlkampfes war das ein wichtiges Zeichen der Kompromissbereitschaft. Diesen Geist nehmen wir jetzt auch mit in die neue Wahlperiode.

Klar ist: 
Deutschland wird seiner Verantwortung in Europa mehr denn je gerecht werden.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, 
nach den dramatischen Ereignissen der vergangenen Wochen ist klar: 
Nie standen die Werte des Europarats so sehr unter Druck.

Wir müssen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit verteidigen.

Auch unsere Parlamente sind gefordert. Wir Abgeordneten müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern die Größe dieser Aufgabe vermitteln.

Das bedeutet auch, ehrlich zu sein: 
Wir werden für die Verteidigung der Freiheit auf manches verzichten müssen.
Ein deutscher Journalist schrieb vor Kurzem:

„Wir müssen wieder kämpferischer werden. Ich habe den Eindruck, dass wir unsere Freiheit nicht so sehr lieben, wie sie von unseren Feinden verachtet wird.“

Zitatende.

Lieber Ruslan, 
ich kenne kein Land, das aktuell so für die Freiheit kämpft wie die Ukraine.

Die Menschen in der Ukraine wissen: 
Die Feinde der Freiheit und der Demokratie dürfen niemals siegen.

Diese bewundernswerte Entschlossenheit muss uns allen ein Vorbild sein.

Die Ukraine kämpft nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern auch für unsere europäischen Werte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
darum appelliere ich an Sie alle, die Ukraine zu unterstützen.

Ich danke allen, die die Gemeinsame Erklärung zum 3. Jahrestag des russischen Angriffs unterzeichnet haben.

Dies ist ein starkes Zeichen des Zusammenhalts. Die Solidarität mit der Ukraine liegt in unserem europäischen Interesse. Das galt vom ersten Tag des russischen Angriffs an.
Wir sind heute mehr denn je gefordert, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu sichern.

Zugleich müssen wir insgesamt unsere Verteidigungsfähigkeit stärken. Und unsere Demokratien müssen enger zusammenrücken.

Für uns Europäer ist dies die Stunde der Bewährung. 
Wir müssen kämpferischer werden – für unsere Werte, für unsere Freiheit, für den Schutz der Demokratie.

Jetzt – oder nie!

Erlauben Sie mir zum Schluss eine aktuelle Bemerkung:

Wenn wir heute über die Demokratie, ihre Werte und ihren Schutz sprechen, dann gehören selbstverständlich die Rechte von Minderheiten dazu. Und dazu gehört auch, eine Wahl unter mehreren Alternativen zu haben, wenn der Wähler an die Urne gerufen wird.

Die jüngsten Entwicklungen in Budapest und in Ankara sind Anlass zu Sorge und Kritik.

Der Schutz von Kindern, wie von Ungarn vorgebracht, hat nichts zu tun mit den Rechten von LGBTIQ.

Und die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu, kurz bevor er zum Präsidentschaftskandidaten nominiert werden sollte und in freier Wahl gegen den Amtsinhaber antreten sollte, ist eine Verhöhnung der Demokratie. Wir sollten das deutlich aussprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit meinem Besuch hier in Straßburg verabschiede ich mich als Bundestagspräsidentin von Ihnen.

Ich danke Ihnen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Der offene Austausch zwischen unseren Parlamenten ist nicht nur politisch wertvoll, sondern war auch für mich persönlich immer bereichernd.

Ich werde unsere Begegnungen in bester Erinnerung behalten.

Unser europäischer Zusammenhalt ist wichtig.

Für starke Parlamente in Europa.
Für die Menschen, die wir vertreten. 
Für die Demokratie.

Vielen Dank!