Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas beim Empfang für die ausscheidenden Bundestagsabgeordneten
[Es gilt das gesprochen Wort]
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
normalerweise sage ich am Anfang meiner Reden gern:
Ich freue mich, hier zu sein.
Heute sage ich:
Ich stehe mit gemischten Gefühlen vor Ihnen.
Wie in dem Lied der Beatles:
„You say goodbye - and I say hello.“
An dieses Lied musste ich in den vergangenen Tagen oft denken:
Ein Kapitel endet, ein neues beginnt.
Demokratie bedeutet Macht auf Zeit.
Das Mandat der Wählerinnen und Wähler ist immer befristet.
Das wissen Sie, das weiß ich.
Weh tut der Abschied trotzdem.
Nicht zuletzt wegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Sie an Ihrer Seite hatten.
Viele von Ihnen hätten sich gern weiter hier im Haus für Ihre Themen engagiert.
Sie haben mit Herzblut für Ihre Überzeugungen gestritten.
Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern aus Ihrem Wahlkreis zugehört und vieles für die Menschen bewegt.
Sie haben in Ausschüssen, Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen um Kompromisse gerungen, sich die Nächte hier im Deutschen Bundestag um die Ohren geschlagen.
Sind manchmal erst am frühen Morgen aus dem Plenarsaal gekommen.
Parlamentarierin oder Parlamentarier zu sein – das ist eine große Ehre,
bedeutet aber auch harte Arbeit.
Ein Punkt, der in der Öffentlichkeit oft nur unzureichend gesehen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch wenn das Mandat endet:
Was Sie in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht haben, das bleibt!
In Form von Gesetzen.
Aber auch in Vorhaben, die oft erst mit der Zeit sichtbar und wirksam werden.
Diese Wahlperiode war kürzer als erwartet. Aber wir haben in dieser Zeit gemeinsam Außerordentliches geleistet.
Und dies unter denkbar schwierigen Bedingungen. Denn der 20. Deutsche Bundestag stand ganz im Zeichen der Krisenbewältigung.
Von der ersten Sondersitzung kurz nach der Konstituierung, als Russland die Ukraine angegriffen hatte.
Bis zur letzten Sondersitzung vor wenigen Tagen.
In den zurückliegenden 3,5 Jahren haben wir mehr als 1300 Anträge beraten, fast 550 Gesetzentwürfe behandelt und mehr als 300 Gesetze verabschiedet.
Mit Fug und Recht können wir sagen: Wir haben Beachtliches geleistet.
Und Sie alle haben daran mitgewirkt!
Meine Damen und Herren,
333 Abgeordnete scheiden nun aus dem Deutschen Bundestags aus.
Das ist fast jedes zweite Mitglied.
Einen so umfangreichen Wechsel hat es in der Geschichte dieses Parlaments noch nicht gegeben.
Eines fällt besonders auf:
Deutlich mehr als ein Drittel aller ausscheidenden Abgeordneten ist zur Wahl nicht mehr angetreten.
Natürlich gibt es viele Gründe, „Goodbye“ zu sagen:
Rücksicht auf die Gesundheit, mehr Zeit für die Familie, neue berufliche Herausforderungen, oder einfach die Freude auf den Ruhestand.
Einige von Ihnen sagen aber auch offen:
Ihre Entscheidung hat mit dem Hass zu tun, der Ihnen entgegenschlägt.
Das wollen Sie sich und Ihren Familien nicht mehr zumuten.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
das ist ein Alarmzeichen für unsere Demokratie.
Wenn engagierte und erfahrene Abgeordnete der Politik aus Sorge oder gar Angst den Rücken kehren, verlieren wir alle. Über Parteigrenzen hinweg.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Hass und Hetze unsere demokratischen Institutionen aushöhlen.
Zeigen wir uns solidarisch mit allen,
die für ihr Engagement angefeindet oder sogar angegriffen werden.
Ob ehrenamtlich-engagiert in der Kommunalpolitik oder als MdB:
Stehen wir füreinander ein – und für den Schutz der Demokratie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich danke Ihnen allen für Ihren Einsatz.
Sie haben unserer Demokratie gedient – und tun es weiterhin.
Auf neuen Wegen und in anderer Weise – in Verbänden, in der Wirtschaft oder im Ehrenamt.
Sie nehmen wertvolle Erfahrungen mit. Sie kennen die politischen Prozesse. Sie haben einen Blick für das Ganze entwickelt. Und ein Gespür für das Machbare.
Es tut der Politik gut, wenn Abgeordnete Berufserfahrung in die Politik mitbringen.
Und es tut der Gesellschaft gut, wenn Abgeordnete ihre politische Erfahrung wieder in andere Bereiche tragen.
Es stärkt die Demokratie. Weil es zeigt, dass Engagement sich lohnt und Perspektiven eröffnet.
Wo auch immer Sie sich in Zukunft engagieren:
Sie nehmen ein wertvolles Netzwerk an Kontakten mit.
Das können Sie auch weiterhin pflegen – zum Beispiel in der Vereinigung ehemaliger Bundestagsabgeordneter.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die vergangenen 3,5 Jahre waren auch für mich als Bundestagspräsidentin eine intensive und erfahrungsreiche Zeit.
Die Zusammenarbeit mit Ihnen allen hat mich persönlich bereichert und geprägt.
Es war mir eine Ehre!
Ich wünsche Ihnen aus ganzem Herzen alles Gute für Ihren Neuanfang.
Manchmal führt der Neuanfang auch wieder zurück.
Manche verabschieden sich heute zum zweiten Mal aus dem Bundestag.
Ein „Goodbye“ kann vorläufig sein.
Ich bin sicher, Sie alle werden dankbar auf Ihre Zeit im Parlament zurückschauen.
Eine Kollegin gab im Interview zu:
„Ich werde alles vermissen.“
Doch bevor es sentimental wird, lassen Sie uns gemeinsam anstoßen:
Auf alles, was wir zusammen erreicht haben!
Und auf alles, was Sie noch in Zukunft erreichen werden!
Auch heute Abend verabschiede ich mich von Ihnen mit einem herzlichen Glückauf.