Rede bei der Eröffnung der neuen Dauerausstellung „Mut und Ohnmacht“ des Erinnerungsorts Torgau
Sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Frau Klepsch,
liebe Frau Bering,
liebe Nancy Aris,
liebe Frau Kohlhaas,
liebes Team des Erinnerungsortes Torgau und der Stiftung Sächsische Gedenkstätten,
sehr geehrte Gäste,
Öffentliche Verunglimpfung staatlicher Symbole. Sechs Jahre Haft
Verbreitung von Falschinformationen über staatliche Stellen. Zehn Jahre Haft
Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Zwölf Jahre Haft
Dies sind nicht Urteile von ehemaligen politischen Häftlingen hier aus Torgau.
Nein. Es sind die Unrechts-Urteile aus dem heutigen Russland. Verhängt in den letzten Monaten gegen Oppositionelle, die sich gegen das Regime auflehnen, aber ebenso teils auch gegen Bürger, die in den Augen des repressiven Staates auffällig wurden.
Was bedeutet gelenkte Justiz? Was bedeutet politische Haft? Für die Opfer und auch für die Gesellschaft.
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist wichtig. Mit Blick auf die Vergangenheit, um unsere Geschichte zu verstehen.
Aber ebenso auch, wenn wir heute vor der Entscheidung stehen, wie wir uns gegenüber den heutigen autoritären Regimen verhalten.
Was bedeutet gelenkte Justiz? Was bedeutet politische Haft?
Hanns-Lutz Dalpke verbrachte seine Kindheit in Ost-Berlin und erlebte dort das Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Alltag war geprägt von wirtschaftlicher Not. Und, auch für ihn als Kind spürbar, vom Aufbau eines sozialistischen Staates. Der Eintritt in die „Jungen Pioniere“ und später in die FDJ waren die Voraussetzung für ihn für die Zulassung zur Oberschule und später zum Studium. Zur Schulzeit und auch an der Uni plagten ihn immer Gewissenskonflikte. Die Unfreiheit. Sie belastet ihn sehr.
Schließlich fand er Kontakt zu einer oppositionellen Studentengruppe. Endlich Menschen, die wie er offen über die Dinge sprechen wollen. Diese Freiheit, wenn auch nur im Verborgenen. Diese Freiheit, währte für ihn nicht lang. Seine Gruppe wurde verraten.
Er und zehn weitere Mitglieder wurden im April 1959 in Dresden zu langen Haftstrafen verurteilt. Ohne Öffentlichkeit – entrechtet durch die Willkürjustiz eines repressiven Staates.
Anstelle eines Lebens in Freiheit, wonach er sich als junger Mensch so sehr sehnte, verbrachte Hans-Lutz Dalpke fünfeinhalb Jahre zuerst im Gefängnis Bützow-Dreibergen und schließlich hier in Torgau.
Fünfeinhalb Jahre Haft. In der Mitte seines Lebens.
Mich berührt dieses Schicksal sehr. Diese Jahre im Gefängnis. Sie prägen einen jungen Menschen. Sie prägen sein Denken, sein Fühlen und sein Handeln. Diese Erlebnisse, sie sind eine Last, die die ehemaligen Häftlinge durch ihr ganzes Leben tragen.
Hans-Lutz Dalpkes Geschichte ging gut aus. Er kam durch den Häftlingsfreikauf nach Westdeutschland und konnte dort sein Studium fortsetzen.
Viele tausende politische Häftlinge aber sind an den Erlebnissen der Haft zerbrochen. Viele von ihnen leiden bis heute an den Spätfolgen der erlebten Repression. Und viele von ihnen können bis heute nicht über das Erlebte sprechen.
Umso wichtiger ist es, dass Orte wie die Gedenkstätte hier in Torgau für sie sprechen. Dass Orte wie dieser von ihrem Schicksal, von ihrem Mut, aber auch von ihrem Leid berichten.
Ich bin dem Freistaat Sachsen, liebe Frau Klepsch und dem Bund, liebe Frau Bering, daher sehr dankbar für die Unterstützung dieser so wichtigen Arbeit. Und ihnen beiden ganz persönlich für ihre Empathie und ihr großes Engagement für die Opfer der Diktaturen.
Was bedeutet eine gelenkte Justiz? Was bedeutet politische Haft?
Diese Fragen haben für jeden Häftling und für die Familie eine ganz persönliche Dimension. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist aber ebenso wichtig, wenn wir versuchen, Gesellschaft in einer Diktatur zu verstehen.
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie an diesem Ort, hier am Erinnerungsort mit der neuen Dauerausstellung, diese beiden Blickwinkel – das Schicksal der einzelnen Häftlinge und den gesellschaftlicher Rahmen - zueinander bringen. Der Erinnerungsort Torgau ermöglicht uns einen Blick in die Vergangenheit.
Er zeigt die Menschen, die unter Unrechtsjustiz leiden mussten. Sie nennen diese Menschen beim Namen und geben ihnen ein Gesicht. Und, das sage ich als SED-Opferbeauftragte. Sie geben mit ihrer Arbeit diesen Menschen die Würde zurück; die Würde, die die Diktatur ihnen genommen hat. Gleichzeitig aber hilft uns dieser Ort, Mechanismen von Diktatur besser zu verstehen.
Durch die Betrachtung der unterschiedlichen Zeitepochen wird hier in Torgau der Blick geschärft für die Mechanismen totalitärer Regime. Ohne dabei, und dieser Punkt ist besonders wichtig, die jeweilige Hintergründe aus dem Blick zu verlieren.
Dieser Ort der zugleich an die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz erinnert, an die Opfer der sowjetischen Geheimpolizei und die der SED-Strafjustiz.
Ich bin überzeugt davon, dass diese Arbeit, dass ihre Arbeit liebe Frau Kohlhaas und liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte, in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird. Sie gewinnt weiter an Bedeutung, da auch immer weniger Zeitzeugen uns von der Repression in der sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR persönlich berichten können. Wir brauchen daher Orte, wie den Erinnerungsort Torgau, als Brücke in die Vergangenheit.
Und diese Arbeit, die aufklärt über Diktatur. Sie gewinnt auch deshalb weiter an Bedeutung, da sie uns helfen kann, in unserer heutigen Gesellschaft Stellung zu beziehen.
Stellung gegenüber denjenigen, die die demokratischen Werte mit Füßen treten und ein autoritäres als vermeintlich besseres Gesellschaftsmodell propagieren.
Vielen Dank!