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„Dr. Hans-Peter Bartels im GSP-Interview“ – 27.03.2020

Tageszeitungen

(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Varwick: Herr Dr. Bartels, als Wehrbeauftragter haben Sie umfangreiche Kontrollrechte und auch einen umfassenden Informationsstand über das, was in der Bundeswehr auf allen Ebenen vor sich geht. Im Zuge der Corona-Krise ist es jetzt sicherlich nicht die Stunde für eine Bilanz, und wir fahren alle auf Sicht, aber trotzdem will ich versuchen, mit Ihnen über einige sicherheitspolitische Konsequenzen dieser Krise, nicht mit tagesaktuellem Blick, sondern eher in längerer Sicht zu sprechen. Der erste Punkt, der mich interessiert, ist die Rolle der Bundeswehr im engeren Sinne. Wie nehmen Sie die Lage und die Stimmung in der Bundeswehr aktuell wahr angesichts der CoronaKrise?

Bartels: Die Bundeswehr tut, was sie kann und muss. Sie leistet Amtshilfe. Sie ist nicht die Institution, die das alles koordiniert und verantwortet, aber sie steht natürlich immer dann mit ihren Ressourcen – personell und materiell – zur Verfügung, wenn Not am Mann und an der Frau ist, und das hat sie ja auch schon in zahlreichen Amtshilfefällen gemacht, von der Bestellung von Schutzausrüstung über das BAAINBw [Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr] über Evakuierungsflüge und die Ausgabe von Essen bis hin zu sanitätsdienstlicher Unterstützung.

Varwick: Das ist das, was man aufgrund von Art. 35 des Grundgesetzes machen kann und jetzt auch macht, also eher im Bereich Sanität und Logistik – was ist denn ein Worst-Case-Szenario, wenn es hart auf hart kommt oder kommen würde? Wir wollen nicht spekulieren und auch nicht den Teufel an die Wand malen, aber gibt es Kapazitäten der Bundeswehr, um womöglich in einer Krise, wenn sie länger andauert, wirklich etwas beitragen zu können? Oder sind da eher andere gefragt?

Bartels: Die Bundeswehr ist nicht mehr der gigantische Kräftepool, den sich manche vielleicht aus den Zeiten der alten Wehrpflichtarmee mit ihrem großem Reservistenreservoir vorstellen. In den 80er Jahren lag die Mobilmachungsstärke bei 1,3 Millionen. Soldaten. Die Bundeswehr hat heute 180.000 aktive Soldatinnen und Soldaten und könnte vielleicht einige zehntausend Reservisten zusätzlich mobilisieren. Wenn wir mal Größenvergleiche anstellen wollen: Wir haben 350.000 Ärzte in Deutschland, wir haben über 300.000 Polizisten in Deutschland. Was also die Bundeswehr tun kann, ist, einen Beitrag zu leisten. Und wenn es um die innere Sicherheit geht, glaube ich, hat die Polizei das mit ihren starken Kräften im Griff. Man muss ja auch sehen, dass vieles andere, was sonst im Alltagsbetrieb die Polizei belastet, im Moment gar nicht anfällt.

Varwick: Bewährt sich denn – Sie haben das Stichwort genannt – das neue Reservistenkonzept in der Krise, oder ist das noch zu frisch, um da jetzt Erfahrungen auszuwerten?

Bartels: Nein, das kann sich noch nicht bewähren. Die sogenannte Grundbeorderung, dass also die ersten sechs Jahre nach dem Ausscheiden eines Zeitsoldaten dieser als Reservist verpflichtend zur Verfügung zu stehen hat, ist ja noch gar nicht praktisch wirksam geworden. Das wird für die Zukunft eine Entlastung sein. Heute ist man noch völlig auf die freiwillige Meldung angewiesen. Der erste Aufruf des Sanitätsdienstes nach zusätzlichen Kräften hat allerdings ein überwältigendes Echo gefunden. Tausende von Willigen haben sich gemeldet, und tatsächlich wird jetzt erstmal eine dreistellige Zahl gebraucht.

Varwick: Den Landeskommandos der Bundeswehr kommt ja eigentlich in dieser Krise eine ungeahnte Rolle zu. Ist Ihr Eindruck, dass die sich gerade bewähren?

Bartels: Das kann ich von hier aus jetzt noch nicht beurteilen. Im Alltagsbetrieb bewähren sie sich selbstverständlich als Verbindungselemente zur zivilen Seite jeweils auf Landesebene. Die Bundeswehr errichtet parallel dazu im Moment gerade eine Führungsstruktur mit einer Art Regionalkommandos: vier Kommandostäbe, die früher vielleicht Wehrbereichskommandos geheißen hätten. Wir werden sehen, wie die neue Führung für das Bundeswehr-Kontingent „Inland“ funktionieren wird. Die Struktur ist wohl bald operativ, wird gerade jetzt in diesen Tagen eingerichtet. Die Landeskommandos bleiben in jedem Fall die Ansprechstelle für die Landesregierungen. Wie auch gegebenenfalls die Kreisverbindungskommandos, die ja aus Reservisten bestehen, für die Kreise.

Varwick: Sehen Sie denn insgesamt rechtlichen Regelungsbedarf? Nochmal: In der Krise wird man jetzt nicht aktuell darüber diskutieren, aber wenn wir ein bisschen weiterschauen, gibt es Reformbedarf an den rechtlichen Regelungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren, oder ist das alles abgedeckt durch das Grundgesetz?

Bartels: Ich glaube, der Begriff der Amtshilfe nach Artikel 35 Absatz 1 bis 3 ist weit genug, dass er alles abdecken kann, auch Amtshilfe im Falle einer Pandemie.

Varwick: Müssen wir denn über so etwas wie eine Allgemeine Dienstpflicht jetzt nochmal neu nachdenken? Erwarten Sie, dass in diese Debatte Schwung kommt, wenn die Krise vorbei ist?

Bartels: Ich glaube, wenn die Krise vorbei ist, werden wir ziemlich sicher eine Debatte über das Thema Dienstpflicht bekommen. Man kann sich durchaus noch daran erinnern, dass es in vergangenen Zeiten einen großen Pool von Wehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden gab, die sofort helfen konnten. Dieses Reservoir gibt es jetzt nicht. Heute reden wir mit Blick auf junge Leute über die Verschiebung von Abiturprüfungen …

Varwick: Ich will das Thema etwas weiten. Wie sieht es denn mit den Einsatzverpflichtungen der Bundeswehr von Landes- bis Bündnisverteidigung, von Afghanistan bis Mali aus? Welche Konsequenzen erwarten Sie da?

Bartels: Erstmal geht es weiterhin darum, den Zweck dieser Missionen zu erfüllen und die Einsatzbereitschaft dort aufrechtzuerhalten. Der Zweck in Afghanistan ist, den möglichen Friedensprozess – von den USA angestoßen in ihrem Abkommen mit den Taliban – zwischen offizieller afghanischer Seite und Taliban durch Präsenz zu begleiten. Die NATO bleibt noch da, also auch die Bundeswehr, aber sie dünnt jetzt in dem Maße aus, wie es die Reduzierung der USA um einige tausend Soldaten dann auch für uns erlaubt.

Stand jetzt hat man ohnehin viele Aktivitäten eingestellt, um die Verbreitung der Pandemie nicht weiter zu fördern. In Deutschland werden die Kontingente, die nach Afghanistan abgehen, erstmal 14 Tage in Quarantäne genommen, so dass sie dort nicht zusätzlich zur Ausbreitung beitragen.

Was Mali angeht, haben wir ein ähnliches Bild. Wenn wir jetzt nicht diese Viruskrise hätten, würden wir wahrscheinlich in den Zeitungen mehr darüber lesen, ob und was sich die französische und die deutsche Regierung gemeinsam zusätzlich in der Sahelzone vornehmen, um erfolgreicher zu werden. Das hatten Macron und Merkel letztes Jahr auf einem Gipfeltreffen eigentlich so vereinbart.

Die Mandatsverlängerungen stehen demnächst wieder im Bundestag an: EUTM, die Ausbildungsmission, und MINUSMA, die UNMission in Mali. Und die unsere Spezialkräfte in Niger. Das alles ist im Moment etwas aus dem Fokus geraten. Und wenn wir auf Enhanced Forward Presence im Bereich der Bündnisverteidigung schauen, etwa das deutsch geführte Nato-Bataillon in Litauen, sehen wir dass man sich auch dort im Moment mit Infektionen und Quarantäne herumschlägt.

Varwick: Das sind jetzt eher kurzfristige Effekte – wenn wir nochmal versuchen, mit strategischem Blick zu schauen: Erwarten Sie, dass diese Krise mittelfristig zu einer Neujustierung der Aufgaben im Bereich Landesverteidigung, Auslandseinsätze und Aufgaben im Inneren führt? Oder ist das noch nicht absehbar heute?

Bartels: Das ist jetzt noch nicht absehbar. Die Bundeswehr wird bei ihrer Doppelaufgabe, in die sie seit 2014 hineinwächst, bleiben: also fähig zur kollektiven Verteidigung in Europa mit allem, was sie hat, und gleichzeitig bereit, mit überschaubar großen Kontingenten zu Auslandseinsätzen außerhalb des Bündnisgebiets in multinationalen Missionen beizutragen. Diese Missionen mögen sich verändern, auch die Coronakrise mag dabei eine Rolle spielen, etwa bei der weiteren Destabilisierung bestimmter Regionen. Wir wissen nicht, wie sich das Virus in Afrika auswirken wird oder in der arabischen und islamischen Welt, wo man sich zum Teil große Sorgen macht, aber bisher nur wenige Fälle hat, vielleicht weil man noch nicht mal in der Lage ist zu testen. Aber es ist jetzt zu früh zu sagen, welche sicherheitspolitischen Verschiebungen es durch die Krise gibt, wie etwa China möglicherweise, davon profitiert. Das alles muss man danach bewerten. Aber diese Pandemie, wie etwa auch der Klimawandel und die weltweiten Migrationsbewegungen, werden ganz gewiss einen Einfluss auf die Sicherheitspolitik haben.

Varwick: Wäre es eine sinnvolle Lehre, wieder stärker nach innen zu schauen, oder wäre das im Gegenteil das ganz falsche Fazit?

Bartels: Das wäre falsch. Wir Europäer leben in einer extrem vernetzten Welt. Wir sind in Europa zu unserem Glück miteinander verbunden, was sehr viel besser ist, als es vor hundert Jahren war, als man militärisch miteinander konkurrierte. Unsere Gemeinsamkeit in Europa muss man unbedingt erhalten und verteidigen. Was die zum Teil extreme ökonomische Globalisierung angeht, also um kleinster Kostenvorteile willen Produktionen ins fernste Ausland zu verlagern, um dann im Übrigen wieder ökologische Kosten zu verursachen beim Hin- und HerTransport der Güter – das wird man hoffentlich in Zukunft überdenken. Wie auch die Just-intime-Ideologie: Man hat keine Lagervorräte, man ist darauf angewiesen, dass alles immer perfekt funktioniert, damit überhaupt etwas funktioniert. Das ist das Gegenteil von Resilienz!

Varwick: Nochmal zurück zum Stichwort Europa und Multinationalität: Man muss doch leider sagen, dass das derzeit nicht die Stunde Europas ist. Wenn ich mir Debatten anschaue, wie die EU reagiert hat – sehr zögerlich, nicht weil die EU schuld ist, sondern weil die Mitgliedsstaaten sie nicht gelassen haben. Wenn ich mir z. B. die Debatte um eine Rolle der deutsch-französischen Brigade anschaue, oder die Debatte, ob wir Italien zu wenig unterstützen – hat das Auswirkungen auf Vertrauen untereinander und damit auch auf multilaterale Kooperationen im Bereich der Sicherheitspolitik?

Bartels: Ich sehe das nicht in erster Linie als sicherheitspolitisches Thema. Das Vertrauen zwischen den Nationen wird zum Beispiel dadurch gefördert, dass Deutschland, solange es noch freie Kapazitäten hat, aus den Nachbarländern intensivmedizinisch zu betreuende Patienten übernimmt. Die Frage, welche Bundeswehrteile wo eingesetzt werden, ist dabei eher drittrangig. Natürlich kann das deutsche Jägerbataillon in Illkirch Frankreich helfen. Das wird man gegebenenfalls sicher tun, wie möglicherweise auch andere Kapazitäten der Bundeswehr, wenn sie erforderlich sind, grenzüberschreitend eingesetzt werden können. Aber hier geht es nicht um die militärische Zusammenarbeit von Armeen, sondern zum Beispiel darum, wer Hubschrauber hat. Wenn ADAC-Hubschrauber für medizinische Nottransporte ausgestattet sind, nimmt man erstmal die.

Varwick: Wenn ich mir Ihre Berichte als Wehrbeauftragter der vergangenen Jahre, die ja immer ein Fundus für jeden Sicherheitspolitiker und Verteidigungspolitiker sind, anschaue, dann haben Sie die Bundeswehr – oder genauer gesagt die Politik – teilweise heftig kritisiert; dass die Trendwenden nicht wirklich in der Truppe angekommen sind, dass die Initiative Einsatzbereitschaft möglicherweise noch nicht so fruchtet und vieles andere mehr. Was bedeuten aus Ihrer Sicht die absehbar jetzt einsetzenden Haushaltszwänge, die uns spätestens im nächsten Bundeshaushalt beschäftigen werden, für sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit? Erreichen wir durch den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts das Zwei-Prozent-Ziel der NATO gewissermaßen auf eine ganz andere Weise, als wir das bisher erhofft haben, und büßen damit weiter an sicherheitspolitischer Handlungsfähigkeit ein?

Kurz gefragt: Die Stimmung wird vermutlich in den nächsten Jahren so sein, dass viele sagen, warum jetzt Geld für Verteidigung ausgeben? Was erwarten Sie in dem Bereich?

Bartels: Naja, vielleicht erstmal andersherum geantwortet: Was uns die Krise lehrt, ist: Haben ist besser als brauchen. Die Ideologie der knappen Ressourcen ist an ein Ende gekommen, diese Just-in-time-Produktionsmentalität. Und wenn wir aus der letzten Bundeswehrreform noch als Merksatz in Erinnerung haben: „Ersatzteile kaufen wir, wenn wir sie brauchen“ – so sagte der damalige Verteidigungsminister –, dann ist das der falsche Ansatz. Ersatzteile müssen auf Lager liegen, in relevanten Stückzahlen. Man muss genug von dem vorrätig haben, was man immer braucht.

Wir brauchen Reserven, auch darin besteht Resilienz. Der Begriff Resilienz taucht ja im Weißbuch der Bundesregierung von 2016, ich glaube, 60 mal auf. Was das bedeutet, ist noch nicht wirklich durchdekliniert worden für die Ausstattung der Streitkräfte. Resilienz heißt, von allem genug und eher strukturell mehr als im Moment erforderlich zu haben. Das geht vom Hubschrauber, den man auch für medizinische Transporte einsetzen könnte, bis hin zur personellen Besetzung von Verbänden und Spezialistenfunktionen. Also insofern, die Krise kann uns etwas lehren, nämlich: Haben ist besser als brauchen!

Was die finanzielle Situation nach dem hoffentlich ja irgendwann erreichten Ende der Krise angeht, bewegen wir uns im Moment noch völlig im Bereich der Spekulation. Es kann auch sein, dass viele Europäer uns sagen: Wir brauchen eine vollständig ausgerüstete Bundeswehr nötiger denn je, denn andere Nationen werden weniger als die Deutschen in der Lage sein, Beiträge, die sie zugesagt haben, zu leisten.

Deutschland hat eine europäische Verantwortung. Und wir haben auch eigene Industriekapazitäten. Wenn es nach der Krise darum geht, Arbeit zu sichern, dann mag auch die Ausrüstung der Bundeswehr einen kleinen Beitrag dazu leisten. Denn vieles von dem, was wir für die Bundeswehr brauchen, kann dann aus Deutschland und aus europäischer Produktion kommen. Ich will jetzt noch nicht darüber spekulieren, wie sich der Etat entwickelt, aber die zwei Prozent könnten möglicherweise leicht erreicht sein, wenn das Bruttoinlandsprodukt einbricht.

Varwick: Sie erwarten also nicht, wenn ich das zusammenfasse, dass Verteidigungspolitiker es künftig deutlich schwerer haben in der öffentlichen Debatte – und alle sagen, ‚es ist doch jetzt nur noch Corona, wir müssen darauf fokussieren und die anderen breiten sicherheitspolitischen Herausforderungen gewissermaßen etwas herabstufen in ihrer Wertigkeit‘ – das ist nicht Ihre Erwartung?

Bartels: Jedenfalls ist das nicht notwendigerweise so. Die sicherheitspolitische Debatte endet nicht mit der Krise, und sie muss auch nicht völlig neu erfunden werden nach der Krise. Vielmehr haben wir bestimmte sicherheitspolitische Herausforderungen, die vorher da waren, die jetzt da sind und die auch danach da sein werden. Die Atomwaffenarsenale weltweit sind nicht weg. Die Einschüchterungspolitik Russlands gegenüber seinen Nachbarstaaten, von denen manche auch Mitglied von EU und NATO sind, mit hybriden Formen der Bedrohung ist nicht weg. Das chinesische Hegemoniestreben ist nicht weg, die Unberechenbarkeit der USA nicht behoben.

Varwick: Das bringt mich zu meiner vorletzten Frage, die nochmal einen sehr breiten strategischen Zusammenhang berührt. Mir scheint die Corona-Krise mit Stand heute in mancherlei Hinsicht mit der Stimmung nach dem 11. September 2001 vergleichbar: Viele Experten dachten, alles wäre nun anders, die Welt sähe völlig neu aus – heute wissen wir: Ja, die internationale Politik wurde kräftig durchgeschüttelt und es gab viele Veränderungen, Interventionen im Irak, in Afghanistan und anderes. Aber die grundlegenden Strukturmerkmale der internationalen Politik, die Gesetzmäßigkeiten und Logiken haben sich eigentlich nicht fundamental verändert. Würden Sie das teilen, oder würden Sie die Gegenhypothese vertreten?

Bartels: Ja, bestimmte Dinge bleiben so wie vorher. Wobei wir historisch eine Abfolge verschiedener Stadien in der internationalen Politik sehen: 1989/90 endete die Bipolarität, nach 1990 gab es erstmal eine Phase der US-Hegemonie, dann ab den ‚Nuller-Jahren‘ eine zunehmend multipolare, unübersichtlicher werdende Welt. Die Themen, die zu Oberthemen in der internationalen Politik geworden sind, haben sich laufend verändert: von Terror über Klima bis jetzt hin zu Gesundheitsfragen. Also: Vieles, was wir vorher gesehen haben, sehen wir nach der Krise wieder. Die Frage ist, welchen Stellenwert das dann hat, wenn es um das Wiederanwerfen der Konjunktur in Deutschland, in Europa und weltweit geht. Aber ich glaube, es wäre ein fataler Fehler, dann das Militär zum finanziellen Steinbruch für andere Zwecke zu machen. Vielmehr müssen wir unsere militärischen Fähigkeiten für die Herausforderungen, die wir weiter haben werden und vielleicht für einige zusätzliche, die wir jetzt sehen, entsprechend stärken. Wir brauchen ein leistungsfähiges Militär für die äußere Sicherheitsvorsorge, und wir sehen im Moment, dass es auch sehr gut ist, dass wir es haben für die Hilfe im Inneren.

Varwick: Ist diese Krise denn wirklich, wie manche sagen, nun auch sicherheitspolitisch die größte Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg, oder wäre das doch übertrieben und zu dick aufgetragen?

Bartels: Für die Sicherheitspolitik ist es nicht die größte Gefahr nach dem Zweiten Weltkrieg, für die Volkswirtschaft aber eine gigantische Herausforderung.

Varwick: Abschließend noch eine Frage zu Ihrer Rolle als Anwalt der Soldatinnen und Soldaten. Merken Sie jetzt schon in dieser Krise, dass die Art der Anfragen sich ändert? Die Stimmung in der Truppe, gibt es da jetzt besonders große Probleme bei den Soldatinnen und Soldaten, oder ist das noch nicht sichtbar?

Bartels: Viele Eingaben haben nun natürlich oft mit Corona zu tun, von der Frage, warum in der einen Dienststelle noch gearbeitet wird und in der anderen nicht, über konkrete Quarantäneregeln für die Einsatzkontingente bis hin zu Fragen, wie man sich bei den Inlandsaufgaben am besten schützen kann. Ein Soldat sagte mir, die Krise erinnere ihn an gelernte Prinzipien aus seiner Offiziersausbildung: erstens verzögern – das machen wir jetzt. Zweitens verteidigen – das heißt Vervielfachen der Behandlungskapazitäten und Verfügbarmachen eines wirksamen Medikaments. Und drittens, hoffentlich möglichst bald, angreifen – das heißt impfen. Dann wäre die Gefahr besiegt.

Varwick: Herr Dr. Bartels, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.

Interview: Prof. Dr. Johannes Varwick

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