Parlament

„Es war mir eine große Ehre“– Interview, 19.05.2025

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten beim „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ vom 19. Mai 2025

„Es war mir eine große Ehre“

Frau Högl, Sie sind seit fünf Jahren Wehrbeauftragte und scheiden jetzt aus dem Amt. Was hat sich seither verändert?

Die Bundeswehr ist eine ganz andere als vor fünf Jahren. Als ich im Mai 2020 anfing, bekamen die Soldatinnen und Soldaten nach langer Zeit wieder mehr Aufmerksamkeit und positive Rückmeldungen für die geleistete Amtshilfe während der Corona-Pandemie. Seitdem ist viel passiert. Die beiden großen Auslandseinsätze in Afghanistan und Mali wurden beendet. Und der 24. Februar 2022, der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine, war und ist eine Zäsur. Dadurch wurde wieder vielen in unserer Gesellschaft bewusst, wofür wir eine Bundeswehr brauchen und wie wichtig es ist, dass wir Soldatinnen und Soldaten haben, die bereit sind, mit ihrem Leben für Frieden und Freiheit einzustehen. Diese Aufmerksamkeit und Unterstützung tun der Truppe gut. Außerdem gibt es jetzt die Bereitschaft, viel Geld zu investieren. Und wir haben wieder eine Debatte über die Wehrpflicht und die Notwendigkeit, dass sich die ganze Gesellschaft für Frieden und Freiheit engagieren muss.

Das klingt nach viel Respekt für die Truppe.

Ja. Mein allergrößtes Dankeschön gebührt unseren Soldatinnen und Soldaten. Ich bin voller Bewunderung für alle Frauen und Männer, die in der Bundeswehr Dienst tun. Dafür verdienen sie die besten Rahmenbedingungen.

Als Wehrbeauftragte sind Sie vor allem mit den Mängeln konfrontiert. Wo sehen Sie die heute?

In den Bereichen Personal, Material und Infrastruktur gibt es enormen Handlungsbedarf, auch wenn beim Material im Zuge des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro viel investiert wurde. Als Beispiel: die persönliche Ausrüstung. Als Wehrbeauftragte treffe ich nunmehr zufriedene Soldatinnen und Soldaten, die nahezu alles am Mann und an der Frau haben, was sie für den Dienst brauchen. Aber viele Kasernen sind noch immer in einem desolaten Zustand und sehr renovierungsbedürftig. Doch das größte Problem der Bundeswehr sehe ich beim Personal. Die Truppe muss so aufgestellt sein, dass sie vollständig einsatzbereit ist. Da haben wir enorme Lücken. Wir haben zu wenig Soldatinnen und Soldaten – und viele, die sehr belastet, ja überlastet sind, weil sie immer wieder neue Aufgaben übernehmen müssen.

Der Verteidigungsminister hat am Mittwoch ebenso wie der Kanzler darauf hingewiesen, dass der neue Wehrdienst nur zunächst freiwillig sein soll. Was sagen Sie: Braucht der Dienst ein Pflichtelement, wenn die Freiwilligkeit nicht ausreicht, um genügend Soldaten zu rekrutieren?

Ich glaube nicht, dass wir beim neuen Wehrdienst ohne eine Form von Pflicht auskommen werden – auch wenn ich mir wünschen würde, dass es ohne geht. Es ist bekannt, dass ich diese Pflicht nicht beschränken möchte auf die Bundeswehr, sondern dass alle jungen Menschen etwas für die Gesellschaft tun sollten, ob bei der Bundeswehr, im Sozialen, beim Umweltschutz oder in der Denkmalpflege. Es ist gut, dass die Koalition nicht die alte und seit 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder einsetzen will. Das hätte unsere Bundeswehr überfordert. Einen ganzen Jahrgang junger Männer einzuziehen, könnte sie gegenwärtig nicht leisten. Es fehlt an Ausrüstung, Unterkünften und Ausbildern. Wenn der Aufwuchs mit Freiwilligkeit gelingt, das wäre gut. Wenn es nicht reicht, braucht es eine Pflicht - analog zum schwedischen Modell.

Wie viele Soldaten braucht denn die Bundeswehr Ihrer Ansicht nach? Jetzt ist ja immer von 5000 pro Jahr die Rede, die über den Wehrdienst gewonnen werden sollen.

Gegenwärtig kann nicht mit mehr als 5000 Soldatinnen und Soldaten begonnen werden, weil es dazu nicht genügend Ausbilder, Ausrüstung und Stuben gibt. Aber 5000 können nur ein erster Schritt sein. Die Zahl muss weiter aufgestockt werden.

Aufgestockt werden auf wie viele?

Die offizielle Zielmarke sind immer noch 203.000 aktive Soldatinnen und Soldaten bis 2031 – plus Reserve. Seit Jahren haben wir rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten, und der Aufwuchs gelingt bisher nicht. Personal zu gewinnen und Personal zu binden, ist derzeit die größte Aufgabe für die Bundeswehr.

Geld steht mittlerweile unbegrenzt zur Verfügung. Kann man das überhaupt sinnvoll ausgeben?

Das Geld muss sinnvoll ausgegeben werden. Gleichzeitig darf mit den Reformen nicht nachgelassen werden. Es wurde viel in Material investiert. Nun ist das Gebot der Stunde, Personal in den Fokus zu nehmen. Es braucht mehr Planstellen bei der Bundeswehr. Und es gibt einen großen Beförderungsstau. Bei Personalwerbung und Personalbindung sind weitere Maßnahmen notwendig, um den Dienst in der Bundeswehr attraktiver zu gestalten.

Wie sieht es mit der Lage von Frauen in der Bundeswehr aus?

Die Soldatinnen, die in der Bundeswehr dienen, leisten einen herausragenden Dienst und sind akzeptiert. Doch es gibt immer noch großen Handlungsbedarf. Es fehlt noch immer an passenden Uniformen für Soldatinnen und an ausreichend sanitären Einrichtungen. Und leider gibt es auch sexuelle Übergriffe in der Bundeswehr. Wir haben jetzt seit über 20 Jahren Frauen in allen Teilen der Bundeswehr. Doch die Bundeswehr verfehlt das im Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz festgelegte Ziel von 20 Prozent Frauen in den Streitkräften. Der Anteil liegt seit Jahren bei 13 Prozent – und auch das nur, wenn die rund 50 Prozent Frauenanteil im Sanitätsdienst mitgerechnet werden. Sonst sind es nur 9 Prozent. Und es gibt vor allem immer noch zu wenig Frauen in Führungspositionen. Der Frauenanteil muss dringend aufwachsen. Deswegen hoffe ich, dass Frauen bei der Personalwerbung gezielt angesprochen werden.

Noch einmal zurück zu Ihnen. Ich habe gesehen, dass der Verteidigungsminister am Mittwoch während der Bundestagsdebatte auf Sie zugekommen ist. Was hat er Ihnen denn gesagt?

Wir haben darüber gesprochen, dass mein letzter Jahresbericht nächste Woche im Bundestag diskutiert wird. Ich freue mich, dass das in meiner Amtszeit noch möglich ist. Und ich freue mich auch, dass der Minister bei dieser Debatte sprechen wird.

Hat er sonst noch etwas zu Ihnen gesagt?

Boris Pistorius und ich kennen uns schon lange und gut. Wir waren beide früher für Innenpolitik zuständig, er als niedersächsischer Innenminister, ich als stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Außerdem kommen wir beide aus Osnabrück. Und wir haben auch in der aktuellen Konstellation, er als Verteidigungsminister, ich als Wehrbeauftragte, sehr gut zusammengearbeitet.

Sie scheiden also zufrieden aus dem Amt?

Es war mir eine große Ehre. Und es war für mich vom ersten bis zum letzten Tag eine große Freude. Ich habe jeden Tag herausragende Frauen und Männer getroffen. Deswegen scheide ich sehr dankbar und zufrieden aus dem Amt.

Interview: Markus Decker