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„Soldat oder Soldatin zu sein, ist kein normaler Job“– Interview, 24.06.2022

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten vom 24. Juni 2022 auf Web.de

„Soldat oder Soldatin zu sein, ist kein normaler Job“

Frau Högl, bekommt die Bundeswehr gerade die Aufmerksamkeit, die sie sich immer gewünscht hat?

Eva Högl: Die Truppe hat schon in der Corona-Pandemie Großartiges geleistet und viel Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern gehabt: bei der Kontaktnachverfolgung, in den Altenheimen, in den Impfzentren. Sie braucht das Interesse, den Respekt, den Dank und die Anerkennung für ihren Kernauftrag. Durch den Krieg in der Ukraine ist jetzt vielen noch einmal klar geworden, wofür wir die Bundeswehr brauchen. Sie verteidigt Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat. Sie bekommt endlich die Unterstützung der Gesellschaft, die sie braucht. Ich hoffe, dass das kein Strohfeuer ist.

Lässt sich das gestiegene Interesse schon an Zahlen festmachen?

Das Verteidigungsministerium hat noch keine Zahlen herausgegeben. Wir wissen aber, dass mehr Menschen überlegen, ob sie sich in der Bundeswehr engagieren. Das betrifft junge Leute. Das betrifft aber auch Ältere, die sich fragen, wie sie sich mit ihrer Erfahrung und Kompetenz bei der Bundeswehr einbringen und helfen können, unsere Werte zu verteidigen. Das ist eine gute Entwicklung in schweren Zeiten. Mir ist wichtig, dass man deutlich macht: Soldat oder Soldatin zu sein, ist kein normaler Job. Es geht um ganz viel – im Zweifel auch darum, mit seinem Leben oder der körperlichen Unversehrtheit für den Auftrag einzustehen. Das ist nicht allen Interessenten klar und da muss man gegebenenfalls nachsteuern.

Auch wenn es zynisch klingt: Besteht die Gefahr, dass sich Menschen jetzt aus einer gewissen Mode heraus für die Bundeswehr interessieren? Auch Menschen, die in einer Armee eigentlich am falschen Platz sind.

Die Karriere-Center der Bundeswehr haben jedenfalls eine große Aufgabe. Sie müssen darüber aufklären, was Interessenten bei der Bundeswehr erwartet. Von Anfang an muss klar sein, was die Rahmenbedingungen sind: Welches Material, welche persönliche Ausstattung bekommen die Soldatinnen und Soldaten? In welchem Zustand sind die Kasernen? Das gehört alles zum Gesamtbild. Ich erlebe, dass manche erst sehr begeistert und hoch motiviert und irgendwann doch sehr ernüchtert sind.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gerade eine Debatte über einen sozialen Pflichtdienst für junge Menschen angestoßen. Was halten Sie davon?

Es ist richtig, diese Debatte zu führen. Ich habe das vor zwei Jahren auch schon angeregt. Die Wehrpflicht ist ausgesetzt, man kann sie so nicht wieder in Kraft setzen. Aber der Krieg in der Ukraine zeigt auch, dass wir über die Frage reden müssen: Wer engagiert sich wie in der Gesellschaft? Das betrifft ja nicht nur die Bundeswehr, auch den sozialen Bereich, die Kultur, Denkmalpflege, den Umweltschutz. Ich stelle fest, dass viele junge Menschen sich gerne in der Gesellschaft engagieren. Das tut ihnen individuell gut, aber das tut eben auch der Gesellschaft gut. Dabei bin ich für so viel Freiwilligkeit wie möglich. Der Staat sollte jungen Leuten erst einmal Angebote machen, bevor wir über eine Verpflichtung sprechen.

Die Bundeswehr bekommt für die kommenden Jahre ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Wird die Truppe damit endlich gut ausgestattet sein?

Das ist viel Geld und das ist gut investiert. Zusätzlich gibt es ja noch 50,4 Milliarden Euro im Bundeshaushalt. Die Bundeswehr braucht dieses Geld dringend. Es wird aber auch schnell verbraucht sein. Davon wird jetzt großes, teures Gerät angeschafft, was gut und richtig ist. Es muss aber in der nächsten Zeit erstens darum gehen, dass das Geld schnell bei der Truppe ankommt. Es muss spürbar zu Verbesserungen führen. Nicht erst 2045, sondern zügig. Zweitens gilt auch hier: Es darf kein Strohfeuer sein. Die Stärkung der Bundeswehr muss kontinuierlich weitergehen, damit sie nicht wieder so chronisch unterfinanziert ist wie in der Vergangenheit.

Wird jetzt die Politik entscheiden, was für die Truppe gut ist – und nicht die Truppe selbst?

In der Vergangenheit war das einer der Gründe, warum das Geld des Bundeshaushaltes nicht dazu beigetragen hat, dass die Bundeswehr voll einsatzbereit war. Für mich als Wehrbeauftragte ist deswegen das A und O: Was braucht die Truppe? Das muss leitend sein dafür, wie das Geld investiert wird. An der einen oder anderen Stelle muss die Truppe vielleicht auch ihre Ansprüche etwas reduzieren. Wir brauchen weniger Goldrand-Lösungen, weniger Hundertprozent-Lösungen. Wir müssen jetzt schnell Lücken schließen.

Wie stellt man fest, was die Bundeswehr und ihre mehr als 180.000 Soldatinnen und Soldaten wirklich wollen? Man kann ja nicht jeden einzeln befragen.

Die Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche müssen das für sich festlegen. Die Bundeswehr ist eine Organisation, die von oben geführt wird. So muss das auch sein. Es ist aber auch meine Aufgabe, in die Truppe reinzuhören und das nach oben weiterzugeben: Was ist der ganz konkrete Bedarf vor Ort? Ich diskutiere tatsächlich mit den Soldatinnen und Soldaten über Stiefel, Westen, Helme, Nachtsichtgeräte, Funkgeräte. Man macht es nicht immer allen recht. Aber was die Truppe braucht, muss das A und O sein. Ich werde sehr darauf achten, dass die 100 Milliarden in diesem Sinne investiert werden.

In der Vergangenheit sind schnelle Anschaffungen am schwerfälligen Beschaffungswesen gescheitert. Das Problem ist lange bekannt, wurde bisher aber nicht gelöst. Was macht Sie optimistisch, dass es jetzt klappt?

Man kann diese 100 Milliarden nicht so ausgeben, wie man das in den vergangenen Jahren gemacht hat. Am Verfahren muss sich etwas ändern. Das ist allen Beteiligten klar. Am Donnerstag wurde im Deutschen Bundestag in erster Lesung ein Gesetz beraten, das die Beschaffung beschleunigen soll. Es gibt auch schon Entscheidungen der Ministerin, das europäische Vergaberecht besser zu nutzen und mehr freihändige Vergaben zu ermöglichen. Sie hat die Schwellen dafür von 1.000 auf 5.000 Euro hochgesetzt. Es gibt auch eine Task Force Beschaffungsweisen. Das Problem ist also erkannt. Jetzt muss es nur zügig gute Lösungen geben.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht stand in den vergangenen Monaten immer wieder in der Kritik. Ist sie die richtige Person für das Amt?

Christine Lambrecht ist eine durchsetzungsstarke, engagierte, kluge Frau, die als Ministerin schon wichtige Entscheidungen getroffen hat: Bewaffnung von Drohnen, Beschaffung der Flugzeuglinie F-35, Beschaffung der Transporthubschrauber, 2,4 Milliarden Euro für die persönliche Ausstattung, Reform des Beschaffungswesens. Ihre Bilanz schon in den ersten Monaten kann sich mehr als sehen lassen. Als Wehrbeauftragte werde ich sie daran messen, was sie für die Bundeswehr erreicht.

Müssen sich Frauen in diesem Bereich vielleicht auch stärker beweisen als Männer?

Natürlich ist die Verteidigungspolitik immer noch sehr männlich geprägt, aber wir haben seit 20 Jahren Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr. Ich bin die zweite weibliche Wehrbeauftragte. Frau Lambrecht ist die dritte Verteidigungsministerin. Frauen sind also keine unbekannte Größe im Bereich der Verteidigungspolitik. Das Geschlecht darf kein Argument mehr sein.

Sie selbst haben früher an Ostermärschen teilgenommen. Inzwischen diskutieren auch SPD und Grüne über Aus- und Aufrüstung. Gleichzeitig gibt es in der Bevölkerung ein großes Unbehagen: Viele Menschen wollen nicht, dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen wird. Nimmt die Politik diese Sorgen zu wenig ernst?

Wir sehen in Meinungsumfragen viel Zustimmung zu Waffenlieferungen, zur Unterstützung der Ukraine, zum Sondervermögen. Trotzdem ist es doch gut, wenn jetzt viele darüber nachdenken, was der richtige Weg ist: Wie geht es weiter mit dem Krieg? Was bedeutet das für uns in Europa? Was sind die Aufgaben der Europäischen Union, der Nato? Den Bundestagswahlkampf im vergangenen Herbst haben wir weitgehend ohne eine Debatte über die Verteidigungs- und Außenpolitik geführt. Jetzt sind das die Top-Themen angesichts der Weltlage. Ängste müssen selbstverständlich formuliert werden. Das gehört zu einer demokratischen Diskussion. Ich habe mich immer für den Frieden engagiert – und das mache ich auch heute. Trotzdem habe ich immer gesehen, dass es auch das Militär braucht, um Konflikte zu befrieden oder um Freiheitsrechte zu verteidigen wie jetzt in der Ukraine. Wie soll die Ukraine sich verteidigen, wenn nicht mit ihrem Militär?

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat in dieser Woche gesagt, Deutschland müsse auf internationaler Ebene eine „Führungsmacht“ werden. Was halten Sie davon?

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt in der Mitte Europas mit einer gefestigten Demokratie. Natürlich ist es dann gut und richtig, wenn Deutschland auch Führungsmacht ist und sich einbringt. Das erwarten auch unsere Nato-Partner und die EU. Deutschland zeichnet sich als Führungsmacht dadurch aus, dass wir den Begriff immer multinational definieren und in Bündnissen verankert sind: in der EU, der Nato, den Vereinten Nationen. Das muss das Leitbild sein.


Interview: Fabian Busch

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