Künftige Modelle zur Finanzierung und Organisation des ÖPNV
Berlin: (hib/HAU) Über Modelle zur Finanzierung und Organisation des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wurde während einer Expertenanhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur am Mittwoch beraten. Dabei wurde die Erhöhung der Regionalisierungsmittel, mit denen der Bund den Nahverkehr der Länder unterstützt, begrüßt, eine Nutznießerfinanzierung diskutiert und der Aufbau geschlossener Zugangssysteme zur Verminderung des Schwarzfahrens eher kritisch bewertet. Einig waren sich die Sachverständigen, dass der ÖPNV-Anteil im ländlichen Raum zu gering sei.
Timm Fuchs vom Deutschen Städte- und Gemeindebund verwies auf Verluste im ÖPNV in Höhe von jährlich 250 Millionen Euro durch Schwarzfahrer. Dem gegenüber stünden aber Investitionskosten von etwa zwei Milliarden Euro für Zugangssicherungssysteme, zu denen noch Wartungs- und Betriebskosten kämen. Problematisch sei auch, dass damit sowohl die Zugänge für Menschen mit Behinderungen als auch die Mitnahme von Fahrrädern, die ja gewünscht sei, erschwert werde. „Aus unserer Sicht funktioniert der Zugang zum ÖPNV und das Ticketing derzeit sehr gut“, sagte der Kommunalvertreter. Besser sei es, in den Auf- und Ausbau digitaler Angebote zu setzen, wie etwa die Registrierung per Handy.
Dem stimmte Jan Schilling, Geschäftsführer ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, zu. Es gelte Barrieren abzubauen, statt neue zu errichten. Schilling begrüßte den Paradigmenwechsel hin zu einer stärkeren staatlichen Finanzierung der ÖPNV. Er halte die Subsidiarität, die auch im Verkehr stattfinde, „für das richtige strukturierende Element“. Die Verantwortung der Kommunen und Länder müsse gestärkt werden, sagte er. Die Länder müssten dem aber auch gerecht werden, fügte Schilling hinzu und sprach von einigen Ländern, „in denen noch eine große Zurückhaltung herrscht“.
Dass die Bundesmittel in einigen Ländern nicht sofort umgesetzt werden, hat aus Sicht von Matthias Stoffregen, Geschäftsführer des Verbandes der Wettbewerbsbahnen im Schienenpersonenverkehr (Mofair), teils gute Gründe. Einige ostdeutsche Flächenländer etwa sähen sich gezwungen, Rücklagen zu bilden, um auch in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre ihre Verkehrsverträge noch bedienen zu können. In einigen westdeutschen Ländern seien es große Infrastrukturvorhaben, für die Geld angespart werde. Ein Rückzug der Länder aus der Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) sei gleichwohl nicht zu verzeichnen, sagte Stoffregen.
Besonders prekär sei die Lage des ÖPNV im ländlichen Raum, befand Robert Hänsch von der Verkehrsberatungsagentur Interlink. Wichtig sei es, ein verlässliches aber auch sichtbares Angebot zu schaffen. „Wir brauchen einen Taktverkehr auf den relevanten starken Achsen“, sagte der Verkehrsplaner. Mit Blick auf die Finanzierung sei klar, dass die Erlöse niemals die Kosten ausgleichen könnten. Geprüft werden sollte das Thema Nutznießer, also die Beteiligung von Dritten. Aktuell sei es so, dass etwa bei der Errichtung eines Einkaufszentrums entsprechende Pkw-Parkplätze verlangt werden, eine ÖPNV-Anbindung aber nicht gefordert werde.
Würde das Parkrecht von Pkw auf öffentlichen Straßen aufgehoben, „hätten wir ganz schnell eine andere Situation“, befand Professor Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das private Auto straßenverkehrsrechtlich ein Gemeinwohl darstelle, während Sharingangebote Sondernutzungen seien. Knie kritisierte zudem, dass der Staat die Bereitstellung von Bus- und Zugkilometer finanziere, es aber auf kommunaler Ebene keine finanzielle Kopplung an die tatsächlich transportierten Personenmengen gebe. Damit fehle der unternehmerische Anreiz, das Angebot kundenfreundlich zu gestalten.
Lediglich das Angebot auszudehnen bringt aus Sicht von Professor Kay Mitusch vom Karlsruher Institut für Technologie auch klimapolitisch nicht viel. „Wenn leere Busse herumfahren, spart das kein CO2 ein“, sagte er. Eine Grundversorgung als Daseinsvorsorge sollte beibehalten werden, befand er. Darüber hinausgehende Schritte, abseits des vom Bund durchfinanzierten SPNV, sollten durch die Länder finanziert werden, regte er an. Eine maßvolle ÖPNV-Erschließungs- oder Nahverkehrsabgabe für Bewohner und Gewerbe, ähnlich dem „Versement Transport“ in Frankreich, als Element einer Nutznießerfinanzierung, sei ebenfalls denkbar.
Mira Ball von der Dienstleistungsgewerkschaft verdi bezifferte die Kosten für den benötigten Ausbau des ÖPNV-Angebots und das entsprechende Personal dazu auf zehn bis zwölf Milliarden Euro jährlich bis 2030. Gelingen könne dies nur mit einer Investitionsoffensive, an der sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam beteiligen. Ball verwies auf Personalprobleme beim ÖPNV. Der sehr hohe Altersdurchschnitt der Beschäftigten und die Tatsache, dass es derzeit im Vergleich zum Jahr 2000 15 Prozent weniger Vollzeitbeschäftigte gebe, erforderten 100.000 Neueinstellungen bis zum Jahr 2030. Um die Beschäftigten zu gewinnen, müssten die Arbeitsbedingungen attraktiver werden, forderte die Gewerkschaftsvertreterin.
Der Rechtswissenschaftler Professor Matthias Knauff von der Friedrich Schiller Universität Jena hält die Zurverfügungstellung von Bundesmitteln für den ÖPNV der Länder für rechtlich zulässig, da die zulässige Mittelverwendung jeweils hinreichend deutlich festgelegt werde. Die Schaffung neuer Finanzierungsquellen für den ÖPNV, wie etwa durch eine City-Maut, sei nicht per se ausgeschlossen, sagte Knauff. Sie bedürfe aber einer Einpassung in den finanzverfassungsrechtlichen Rahmen, die nicht „nebenbei“ im Rahmen der anstehenden Novelle des Personenbeförderungsgesetzes erfolgen könne.