12.06.2024 Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz — Ausschuss — hib 415/2024

Betrugsvorwürfe gegen Klimaschutzprojekte in der Ölbranche

Berlin: (hib/SAS) Mit den Vorwürfen, das Umweltbundesamt (UBA) habe gefälschte Projekte zur CO2-Minderung, sogenannte Upstream-Emissions-Reduktions-Projekte (UER) von Unternehmen der Mineralölbranche in China zertifiziert, hat sich der Umweltausschuss am Mittwoch auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion befasst.

Diese hält dem Bundesumweltministerium (BMUV) sowie dem für die Genehmigung und Prüfung der Projekte zuständigen UBA vor, trotz Hinweisen auf mögliche Betrugsfälle zunächst nicht reagiert zu haben. Der Mineralölbranche sei möglicherweise ein Schaden in Höhe von 4,5 Milliarden Euro entstanden, monierte ein Mitglied der Unionsfraktion. Die AfD-Fraktion zeigte sich zudem irritiert, dass ein so offensichtlicher Betrug, dem relativ einfach etwa durch die Auswertung von Google-Earth-Satellitenbildern auf die Spur zu kommen sei, vom UBA nicht bemerkt wurde.

Laut Informationen von Hinweisgebern und Medienrecherchen, die sich auch auf Auswertung von Satellitenbildern diverser Anbieter stützen, sollen mehrere UER-Projekte gefälscht worden sein - etwa indem bereits bestehende Anlagen als neue Projekte ausgewiesen wurden. Manches Projekt soll den Berichten zufolge auch gar nicht existieren. Eine Vermutung, die UBA-Chef Dirk Messner gegenüber den Abgeordneten im Ausschuss bestätigte.

Mit Upstream-Emissions-Reduktions-Projekten haben Ölkonzerne laut einem Bericht des BMUV seit 2018 die Möglichkeit, die gesetzlichen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen. Die meisten dieser Projekte zielen darauf, den CO2-Ausstoß bei der Ölförderung zu reduzieren, indem dabei anfallende Begleitgase nicht mehr abgefackelt, sondern durch Umbau der Anlage anderweitig genutzt werden. Für die so eingesparten Emissionen erhalten die Unternehmen UER-Zertifikate, die sie einsetzen können, um die im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) festgeschriebene Treibhausminderungsquote (THG-Quote) zu erfüllen.

Mitglieder der Koalition zeigten sich angesichts der Vorwürfe alarmiert: Bei den UER-Projekten handele es sich um ein wichtiges Instrument des Klimaschutzes. Deren Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel, so ein Mitglied der SPD. Eine Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen wies daraufhin, dass UER-Projekte nicht der einzige Weg seien, die THG-Quote zu erfüllen. Das BImSchG sehe weitere Erfüllungsoptionen vor: Projekte zur Förderung von E-Mobilität oder fortschrittlichen Biokraftstoffen etwa. Die FDP drängte auf bessere Prüf- und Kontrollmechanismen: Die Gefahr von Fälschungen bestehe nicht nur bei der Zertifizierung von UER-Projekten, sondern auch in anderen Bereichen.

Den Ernst der Lage betonte auch der Parlamentarische Staatssekretär im BMUV, Jan-Niclas Gesenhues (Bündnis 90/ Die Grünen), im Ausschuss: Man nehme die Berichte über mögliche Betrugsfälle keineswegs auf die leichte Schulter und habe unmittelbar reagiert, bekräftigte er. Direkt nach Eingang der Hinweise durch chinesische Informanten auf Unregelmäßigkeiten bei mehreren UER-Projekten habe das UBA Ende August 2023 begonnen, den Vorwürfen nachzugehen. Vorwürfen gegen das BMUV und das UBA stellte sich Gesenhues damit entgegen. Er erinnerte zudem daran, dass das System der Anrechenbarkeit von UER-Projekten auf die THG-Quote ein von der Vorgängerregierung geschaffenes Instrument sei. Da es sich nun offenbar als fehleranfällig und undurchsichtig erwiesen habe, habe die Bundesregierung es vorzeitig gestoppt. Die Änderung der entsprechenden 37. Verordnung zum BImSchG sei bereits in Kraft. Die Anrechnung ende mit Ablauf dieses Jahres, also zwei Jahre früher als ursprünglich vom BImSchG vorgesehen, berichtete der Staatssekretär. Ende Mai habe das UBA zudem eine Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht.

Dass es sich bei den Betrugsfällen nicht um Einzelfälle, sondern möglicherweise um ein Betrugssystem handeln könnte, räumte UBA-Chef Dirk Messner im Ausschuss erneut ein. Seine Behörde stehe vor der Herausforderung, aus den vielen Verdachtsfällen gerichtsfeste Betrugsbeweise zu entwickeln. Seit Beginn der Untersuchungen im September habe man von den 60 existierenden UER-Projekten zwei rückabgewickelt und zwei, die sich noch in der Antragsphase befanden, gestoppt. Weitere 36 Projekte halte das UBA für verdächtig, führte Messner aus. Die Indizien sprächen dafür, dass man es mit einem Betrugssystem zu tun habe. Eine entscheidende Rolle spielten darin offenbar die unabhängigen Zertifizierer und Validierer vor Ort: Weil das UBA auf Basis ihrer Unterlagen über die Anrechnung der Projekte entscheide, sei man darauf angewiesen, dass diese seriös arbeiten. Die Untersuchungen hätten nun den Verdacht gegen zwei Mitarbeiter von zwei Validiererungsunternehmen erhärtet, die bei den insgesamt 40 kritischen Projekten involviert gewesen seien.

In zehn von den genannten 40 Fällen habe man nach der Überprüfung mithilfe von Satellitenbildern große Zweifel, ob die Anlagen überhaupt existierten, sagte Messner. In zehn weiteren Fällen seien die Angaben zu den Projekten wahrscheinlich fehlerhaft gewesen.

Vor dem Hintergrund dieser Indizien werde das UBA nun, wie von Experten bereits gefordert, jedes einzelne Projekt prüfen, dazu habe das UBA verwaltungsrechtlich auch die Pflicht. Dazu brauche es aber die Mitarbeit der chinesischen Behörden. Ein Ersuchen auf Amtshilfe sei gestellt. Gemeinsam mit dem BMUV und dem Auswärtigen Amt setze sich das UBA für Genehmigung einer Untersuchungsmission vor Ort sein. Ohne die Anlagen in China zu besuchen, werde eine wirkliche Aufklärung kaum möglich sein, betonte der UBA-Chef. Doch auf die Mission werde man vermutlich warten müssen. Den chinesischen Behörden sei die politische Brisanz der Fälle bewusst.

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