05.07.2023 Recht — Ausschuss — hib 516/2023

Suizidhilfe (1): Entwurf der Gruppe Castellucci geändert

Berlin: (hib/SCR) Der Bundestag will am Donnerstag, 6. Juli 2023, über eine Neuregelung der Suizidhilfe entscheiden. Zur Abstimmung stehen nunmehr zwei Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Gruppen, die heute den Rechtsausschuss passierten. Zwei der ursprünglich drei Entwürfe - den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (20/2332) und den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Renate Künast (20/2293) - legte der Ausschuss auf Antrag der beiden Gruppen zusammen (siehe separate Meldung). Der dritte Entwurf einer Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (20/904) passierte das Gremium in geänderter Fassung.

Beide Entwürfe eint, dass mit ihnen Voraussetzungen geschaffen werden sollen, unter denen Suizidwillige Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten können. Dazu sind unter anderem Änderungen im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Beide Entwürfe sehen zudem eine Regulierung der Werbung für Hilfe zur Selbsttötung im Heilmittelwerbegesetz sowie jeweils eine Evaluierung vor.

Der Castellucci-Entwurf strebt eine Regelung im Strafgesetzbuch an, die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt - und Ausnahmen normiert, unter denen Förderungshandlungen nicht rechtswidrig sind.

Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast sieht im Kern ein neues Suizidhilfegesetz vor, dass das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und auf Unterstützung von suizidwilligen Personen normiert. Wesentliche Unterschiede der Entwürfe betreffen die Form der notwendigen Untersuchungen beziehungsweise Beratung als Voraussetzung für die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments sowie Warte- und Höchstfristen für Untersuchungs- und Beratungstermine sowie die Verschreibung des Medikaments. Beide Entwürfe sehen unter bestimmten Voraussetzungen Härtefallregelungen vor.

Hintergrund der avisierten Neuregelung ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15). Das Gericht hatte das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und betont, dass die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, - als Ausdruck des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben - auch die Freiheit umfasse, „hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“.

Entwurf der Gruppe Castellucci

Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf nahm der Ausschuss auf Antrag der Gruppe Castellucci einige Änderungen an dem Entwurf an. Unter anderem soll durch Ergänzungen im Elften Sozialgesetzbuch sowie im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz sichergestellt werden, dass „Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens grundsätzlich nicht verpflichtet sind, an einer Selbsttötung mitzuwirken oder die Durchführung von Förderungshandlungen zur Selbsttötung in ihren Räumlichkeiten zu dulden“, wie es in dem Änderungsantrag heißt. Entsprechende Forderungen hatten Vertreter aus der Hospizbewegung in der Sachverständigenanhörung geäußert. Gestrichen wurde das ursprünglich im Strafgesetzbuch vorgesehene Werbeverbot für die Hilfe zur Selbsttötung.

Grundsätzlich sieht der Entwurf einen neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch vor, nach dem die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Nicht rechtswidrig ist die Förderungshandlung demnach, wenn der volljährige und einsichtsfähige Suizidwillige mindestens zwei Untersuchungstermine sowie mindestens ein Beratungsgespräch absolviert hat.

Die Untersuchung hat demnach zum Ziel, festzustellen, dass „keine die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt und nach fachlicher Überzeugung das Sterbeverlangen freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur ist“. Dafür sollen in der Regel mindestens zwei Termine mit einem Mindestabstand von drei Monaten vorausgesetzt werden. Die Untersuchung soll von einer Fachärztin beziehungsweise einem Facharzt der Fachrichtungen Psychiatrie oder Psychotherapie oder einer Person mit psychotherapeutischer Qualifikation, die jeweils nicht an der Selbsttötung beteiligt sind, vorgenommen werden. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf wurde mit dem Änderungsantrag der Kreis um Psychotherapeuten beziehungsweise Psychotherapeutinnen erweitert.

Die untersuchende Person soll laut Entwurf auch Maßgaben für mindestens ein „individuell angepasstes, umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch“ entwickeln. Dieses Beratungsgespräch „mit einem multiprofessionellen und interdisziplinären Ansatz bei einem weiteren Arzt oder einer weiteren Ärztin, einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin, einer psychosozialen Beratungsstelle, einer Suchtberatung oder einer Schuldenberatung“ soll vor der abschließenden Untersuchung stattfinden. Das Gespräch soll laut Entwurf unter anderem eine „Aufklärung über den mentalen und physischen Zustand“, „Möglichkeiten der medizinischen Behandlung und Alternativen zur Selbsttötung“ sowie „mögliche psychologische und physische Auswirkungen eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuchs sowie soziale Folgen einer durchgeführten Selbsttötung“ umfassen.

Nach Abschluss der Untersuchung- und Beratungsphase soll laut Entwurf vor der Selbsttötung eine Wartefrist von zwei Wochen eingehalten werden. Die Selbsttötung muss laut Entwurf innerhalb von zwei Monaten „nach der letzten psychiatrischen oder psychotherapeutischen Untersuchung“ erfolgen. Die Möglichkeit zur Verschreibung tödlich wirkender Medikamente soll Ärztinnen und Ärzten über eine Änderung im Betäubungsmittelgesetz eingeräumt werden.

Der Entwurf sieht Ausnahmen von den mindestens zwei Untersuchungen für den Fall vor, dass die untersuchende Person zu dem Schluss kommt, dass dies für die suizidwillige Person „nicht zumutbar“ ist, „insbesondere bei Vorliegen einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, und von einer weiteren Untersuchung offensichtlich keine weitere Erkenntnis zur Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbeverlangens zu erwarten ist“. In diesem Fall soll ein Untersuchungstermin ausreichen.

Der Entwurf wird unter anderem von Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Pau (Die Linke) und Benjamin Strasser (FDP) unterstützt. Insgesamt haben laut Drucksache 111 Abgeordnete aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD den Entwurf mitgezeichnet.

Die Anhörung zu den ursprünglich drei Gesetzentwürfen im Video: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw48-pa-recht-917960

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