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Paul Ziemiak: Neustart für die deutsch-polnischen Beziehungen

Gruppenfoto mit 15 Männern und vier Frauen im Paul-Löbe-Haus

Treffen der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe des Bundestages mit Abgeordneten der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe des Sejms: vordere Reihe von links Dariusz Pawłoś (polnischer Botschafter), Kinga Gajewska (Sejm), Paul Ziemiak (Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe), Dr. Ewa Schädler (Sejm), Marek Krząkała (Vorsitzender der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe), Kazimierz Gołojuch (Sejm), Krzysztof Bosak (stellvertretender Sejm-Marschall); zweite Reihe von links Dietmar Nietan, Nyke Slawik, Agnieszka Brugger, Lennard Oehl, Dr. Götz Frömming, Dr. Markus Reichel, Maximilian Mörseburg, Axel Schäfer (alle Bundestag); hintere Reihe von links Johannes Schraps, Max Straubinger, Joachim Wundrak, Knut Abraham (alle Bundestag). (© DBT/Inga Haar)

Die gemeinsame Unterstützung für die Ukraine und die Einrichtung einer deutsch-polnischen parlamentarischen Versammlung standen im Mittelpunkt der Gespräche zwischen deutschen und polnischen Abgeordneten während des Besuchs einer Delegation der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe aus dem polnischen Sejm Anfang des Monats, vom 2. bis 5. Juli 2024, auf Einladung der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag.

Breites Themenspektrum der bilateralen Beziehungen

Gruppenbild mit drei Männern und drei Frauen vor der deutschen und der EU-Fahne.­

Abgeordnete der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe des Sejms zu Gast im Bundestag: von links Krzysztof Bosak, Vizemarschall des Sejms, Kazimierz Gołojuch, Kinga Gajewska, Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas, Marek Krząkała, Vorsitzender der Parlamentariergruppe, Dr. Ewa Schädler. (© DBT/Photothek/Kira Hofmann)

Der Besuch zum jetzigen Zeitpunkt, nach den Wahlen in dem Nachbarland im Oktober, sei genau richtig, um dem nötigen Neustart der deutsch-polnischen Beziehungen einen Impuls zu geben, resümiert Paul Ziemiak (CDU/CSU), Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag, den Gedankenaustausch mit den polnischen Kolleginnen und Kollegen unter der Leitung des Abgeordneten Marek Krząkała (PO). Zeitgleich hatten am 2. Juli deutsch-polnische Regierungskonsultationen in Warschau stattgefunden, auf deren Wiederaufnahme Ziemiak schon länger gedrungen hatte.

Um über das breite Themenspektrum der bilateralen Beziehungen zu sprechen, trafen sich die polnischen Delegierten in Berlin auch mit Vertretern der Bundesministerien des Innern und für Heimat und des Auswärtigen Amtes und mit der Abteilungsleiterin „Erinnerungskultur“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Sie wurden zudem von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Yvonne Magwas (CDU/CSU), empfangen und statteten dem Bundesrat einen Besuch ab. 

Ein besonderer Höhepunkt war laut Ziemiak ein Treffen der polnischen Delegation mit Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier: „Dass unser Staatsoberhaupt sich Zeit für unsere polnischen Freunde genommen hat, unterstreicht die hohe Bedeutung der deutsch-polnischen Freundschaft.“

Breite Perspektive parlamentarischer Zusammenarbeit 

Die Zusammensetzung der polnischen Delegation gebe das Ergebnis der jüngsten Parlamentswahlen in Polen wider, die zu neuen Mehrheiten und einem Regierungswechsel geführt hatten, gibt Ziemiak zu bedenken. Der frühere Vorsitzende der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe, Kazimierz Gołojuch (PiS), sei jetzt Stellvertreter. 

Wie üblich in Demokratien und unter Demokraten arbeite man aber wie bisher zusammen mit Vertretern sowohl der Regierungs- als auch der Oppositionsfraktionen. Die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse spiegelten die Machtverhältnisse der Exekutive, eröffneten aber eine breitere Perspektive und wiesen so darüber hinaus. 

„Politisches Klima hat sich aufgehellt“

Das politische Klima in den deutsch-polnischen Beziehungen habe sich nach den Wahlen in Polen aufgehellt, berichtet Ziemiak. Die nationalkonservative Regierung war dabei durch eine neue Koalitionsregierung aus der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, bestehend aus der liberalkonservativen Bürgerplattform „PO“, der liberalen „Moderne“, der linksliberalen „Initiative Polen“ und den polnischen Grünen), dem konservativen Bündnis „Dritter Weg“ (Zusammenschluss aus der Polnischen Volkspartei „PSL“ und der neuen Partei „Polen 2050“) sowie der polnischen Linken abgelöst worden. 

Allerdings sei die „Zusammenarbeit zwischen den Parlamentariern beider Länder schon immer besser gewesen als die Regierungszusammenarbeit“, wo in den letzten Jahren die Misstöne überwogen hätten, so Ziemiak. Der Wert der parlamentarischen Dimension der zwischenstaatlichen Beziehungen könne kaum hoch genug eingeschätzt werden. Die Gesprächsatmosphäre auch während des Besuchs sei entsprechend gut und vertrauensvoll gewesen, berichtet Ziemiak. 

Idee einer parlamentarischen Versammlung nimmt Fahrt auf

Die Einrichtung einer parlamentarischen Versammlung nach deutsch-französischem Vorbild ist aus Sicht des CDU-Abgeordneten Ziemiak genau das Richtige, um die Vorteile der parlamentarischen Zusammenarbeit auf eine breitere Basis zu stellen. Für den von ihm initiierten Vorschlag gebe es nun sowohl im neu gewählten Sejm als auch im Bundestag fraktionsübergreifende Zustimmung.

Die deutsch-französische Aussöhnung und Kooperation mit ihrem dichten Netzwerk an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakten und ihrem institutionellen Fundament ist für den Europapolitiker Ziemiak beispielhaft. Elysée-Vertrag, Deutsch-Französisches Jugendwerk, Regierungskonsultationen und die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung stünden dafür, wie aus Kriegsgegnern Partner geworden sind, die miteinander die Herausforderungen der Zukunft angehen. 

„Die Zeichen stehen wieder auf Zusammenarbeit“

„Auch zwischen Deutschland und Polen gibt es erfolgreiche binationale Institutionen“ wie die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (SdpZ) oder das Deutsch-Polnische Jugendwerk. „Jedoch ist das Maß an Zusammenarbeit noch nicht auf dem gleichen Niveau wie mit Frankreich“, erklärt Paul Ziemiak: „Gemeinsam mit Polen, unserem wichtigsten östlichen Nachbarn in der EU, sollten wir ähnliche Ambitionen entwickeln.“ Es sei „an der Zeit, eine Deutsch-Polnische beziehungsweise eine Polnisch-Deutsche Parlamentarische Versammlung zu gründen, um den Austausch zwischen beiden Ländern zu intensivieren und die Zusammenarbeit zu vertiefen.“ 

Sein Vorschlag sei bereits während der Delegationsreise nach Warschau vor einem Jahr sowohl bei den Mitgliedern in der Parlamentariergruppe als auch den polnischen Partnern auf ein sehr positives Echo gestoßen, erzählt Ziemiak. Die jüngsten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen, die erstmals seit dem Jahr 2018 wieder stattfanden, stellen laut Ziemiak ein weiteres positives Zeichen dar, dass man auch auf dieser Ebene auf den Weg der Kooperation zurückgefunden habe. Auf allen Ebenen stünden also die Zeichen wieder auf Zusammenarbeit, so der Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe. 

Wirtschaftliche Verflechtung, gesellschaftliche Verbindungen

Während es in den vergangenen Jahren auf politischer Ebene zu einigen Provokationen und Verletzungen zwischen Polen und Deutschland gekommen sei, habe dennoch niemand ernsthaft die Brücken zwischen beiden Ländern abbrechen wollen, sei die große Bedeutung beider Länder füreinander nie ernsthaft infrage gestellt worden, betont der Abgeordnete aus dem nordrhein-westfälischen Iserlohn. Die Arbeit der Parlamentariergruppen habe dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet und der Austausch Anfang Juli die Wiederannäherung nun beflügelt. 

Die Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen finde ihren Ausdruck in der seit dem EU-Beitritt Polens 2004 zunehmenden Verflechtung beider Volkswirtschaften und in den historisch begründeten, unzähligen gesellschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Völkern. Daran werde man jetzt politisch verstärkt anknüpfen, versichert der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.

Immer noch Vorurteile statt Wissen und Verständnis

Die Potenziale der Zusammenarbeit beider Länder in Europa seien groß, die Notwendigkeit der Zusammenarbeit sei es auch. Für Paul Ziemiak ist angesichts der Geschichte klar: „Die Einheit der Europäischen Union gibt es nicht ohne die enge Beziehung zwischen Deutschland und Polen. Viele beschwören immer wieder die Bedeutung der Achse Berlin-Paris für die Stabilität Europas. Aber genauso wichtig ist die Achse Berlin-Warschau.“ 

Allerdings entspreche das geringe gegenseitige Wissen voneinander und Verständnis füreinander nicht diesen Aufgabenstellungen und Ambitionen. Dagegen herrschten weiterhin große Vorurteile. 

Deutsch-polnisches Haus als Erinnerungs- und Begegnungsstätte

Um das zu ändern, nehme das Projekt eines deutsch-polnischen Hauses als Erinnerungs- und Begegnungsstätte in Berlin mittlerweile Gestalt an. Als Parlamentariergruppe habe man dieses Thema auch gegenüber der Bundesregierung auf der Agenda gehalten und nun den polnischen Gästen über Fortschritte berichten können. Die Verzögerungen seien sehr bedauerlich, äußert sich Ziemiak zu dem Vorhaben. Seit dem Bundestagsbeschluss vom Oktober 2020 seien fast vier Jahre vergangen. 

Mit dem deutsch-polnischen Haus solle eine Dokumentations-, Bildungs- und Begegnungsstätte geschaffen werden, an der der deutschen Besatzungsherrschaft und der Opfer Polens im Zweiten Weltkrieg gedacht werde und wo sich Polen und Deutsche begegnen könnten. Für das auf eine zivilgesellschaftliche Initiative zurückgehende Projekt, das nun vom Deutschen Polen-Institut und der Stiftung Denkmal umgesetzt wird, laufe momentan die Suche nach einem Standort im Parlaments- und Regierungsviertel, der diesen Ansprüchen gerecht werde. 

Entschädigung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter

Als Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag habe man außerdem den polnischen Gästen versichert, mit dem Thema der Opferentschädigung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter eine letzte Lücke im Bereich der Entschädigung zu schließen, sagt Ziemiak. Es sei traurig, dass immer noch überlebende Opfer der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft leer ausgingen, ja in Armut lebten. Diese hätten eine würdige Entschädigung verdient. Hier bestehe akuter Handlungsbedarf.

Kein Gesprächsthema hingegen seien die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland gewesen, wie sie vor zwei Jahren von der ehemaligen polnischen Regierung formuliert und in einer Resolution des Sejms beschlossen worden waren, berichtet Ziemiak. Rechtlich könne man die Angelegenheit als bereits vor Jahrzehnten entschieden betrachten. Dennoch finde die Idee, erneut Reparationen zu fordern, in Polen gesellschaftlich einige Unterstützung, und es sei ein verständliches Anliegen, wenn die Polen darüber reden wollten. 

„Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte stärken“

Angesichts der historischen deutschen Verbrechen in und an Polen, Land wie Leuten, gelte es vor allem in Deutschland „das Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte, für das, was die Deutschen mit den Polen gemacht haben, sowie für die Befindlichkeiten und die Leistungen des Nachbarlandes zu stärken“, so der Bundestagsabgeordnete.

„In Deutschland wird unterschätzt, wie massiv es auf eine Gemeinschaft wirkt, wenn sie von der Nachbargesellschaft über Jahrhunderte geknechtet wird. Wir sollten den Polen daher mehr Anerkennung entgegenbringen und zeigen, dass wir sie sowie ihre historischen Erfahrungen und ihre heutigen Leistungen ernst nehmen und zu unserer Verantwortung stehen.“

„Ein neues Kapitel europäischer Geschichte aufschlagen“

So manches politische, diplomatische oder auch persönliche Missverständnis beruhe zudem auf Unkenntnis voneinander und mangelndem Verständnis füreinander. Daher sei es besonders wichtig, nun rasch den Bundestagsbeschluss von 2020 zur Schaffung eines Erinnerungs- und Begegnungsortes umzusetzen. 

Polen sei bereit zusammen mit Deutschland ein neues Kapitel europäischer Geschichte aufzuschlagen und die Zukunft gemeinsam zu gestalten, in einer Welt voller Herausforderungen, die niemand allein stemmen könne. Trotz mancher Meinungsverschiedenheit überwiegen die gemeinsamen Interessen beider Länder und die enge Zusammenarbeit mit Polen liegt im vitalen Interesse Deutschlands und sollte in unserer Außen- und Sicherheitspolitik eine herausragende Rolle einnehmen, sagt Paul Ziemiak.

„Mehr als nur ein Nachbarland“

„Polen ist für Deutschland mehr als nur ein Nachbarland“, sagt der CDU-Abgeordnete, der 1985 in der polnischen Stadt Szczecin an der Odermündung, dem früheren deutschen Stettin, geboren wurde. Die Partnerschaft, ja Freundschaft, sei nicht nur für beide Länder wichtig, sondern auch für ein stabiles, friedliches und prosperierendes Europa. 

Die Parlamentarier seien sich darüber längst einig und wollten nach den jüngsten Gesprächen alle Themen von bilateralem Interesse im europäischen Sinne weiter verfolgen. Die neuen Mehrheitsverhältnisse im Sejm erleichterten die Chance zu einem fälligen Neustart. Dazu sei mit dem Besuch der polnischen Delegation in Berlin der Aufschlag gelungen. (ll/19.07.2024)

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Parlament

Neugewähltes Europaparlament hat sich am 16. Juli konstituiert

Blick in den Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg

Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg (© EU 2022, Europäisches Parlament/Cugnot)

Das neu gewählte Europäische Parlament ist am Dienstag, 16. Juli 2024, in Straßburg zu seiner konstituierenden ersten Sitzung der zehnten Wahlperiode (2024 bis 2029) zusammengetreten. Dabei wurde unter anderem Amtsinhaberin Dr. Roberta Metsola (Europäische Volkspartei) aus Malta mit 562 von 720 Stimmen für zweieinhalb Jahre als Präsidentin des Parlaments wiedergewählt. Mit 401 von 707 abgegebenen Stimmen votierten die Abgeordneten am Donnerstag, 18. Juli, für eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen

Von den 720 Abgeordneten, die vom 6. bis 9. Juni gewählt wurden, kommen 96 aus Deutschland. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei 64,74 Prozent gegenüber 61,38 Prozent vor fünf Jahren. EU-weit lag die Wahlbeteiligung bei 51,05 Prozent (2019: 50,66 Prozent). Am höchsten war sie in Belgien mit 89,01 Prozent, gefolgt von Luxemburg mit 82,29 Prozent und Malta mit 73 Prozent. Die niedrigste Wahlbeteiligung hatte Kroatien mit 21,35 Prozent vor Litauen mit 28,35 Prozent und Bulgarien mit 33,78 Prozent.

CDU und CSU wie bisher mit zusammen 29 Mandaten

60 der 96 deutschen Abgeordneten wurden wiedergewählt, 36 wurden neu gewählt. Auf die CDU entfallen 23 Sitze, auf die CSU sechs Sitze, auf die Unionsparteien zusammen also 29 Sitze wie schon 2019. 

Für die CDU wurden neu gewählt Alexandra Mehnert aus Sachsen-Anhalt, Verena Mertens aus Nordrhein-Westfalen, Oliver Schenk aus Sachsen und Prof. Dr. Andrea Wechsler aus Baden-Württemberg. Neuer Abgeordneter der CSU ist Stefan Köhler. Marlene Mortler, CSU-Bundestagsabgeordnete von 2002 bis 2019 und Drogenbeauftragte der Bundesregierung von 2014 bis 2019, wurde nach 2019 zum zweiten Mal ins Europaparlament gewählt. Die Abgeordnete Sabine Verheyen aus Nordrhein-Westfalen wurde am 16. Juli zur Vizepräsidentin des Europaparlaments gewählt. 

Vier Mandate mehr für die AfD

Die AfD konnte die Zahl ihrer Mandate gegenüber 2019 von elf auf 15 steigern. Zuletzt hatte sie aufgrund der Parteiaustritte von Prof. Dr. Jörg Meuthen, Lars Patrick Berg und Dr. Sylvia Limmer nur noch acht Mandate inne. Zwölf der 15 künftigen AfD-Abgeordneten wurden neu ins Parlament gewählt, darunter die beiden bisherigen Bundestagsabgeordneten Petr Bystron aus Bayern und Dr. Marc Jongen aus Baden-Württemberg. 

Wiedergewählt wurden Dr. Maximilian Krah, Christine Anderson und Markus Buchheit. Der Spitzenkandidat Maximilian Krah soll der künftigen AfD-Delegation im Parlament einem Beschluss der Abgeordneten zufolge nicht angehören.

Zwei Mandate weniger für die SPD

Die Zahl der SPD-Mandate verringerte sich gegenüber 2019 von 16 auf 14. Neu dabei sind Vivien Costanzo aus Hessen, Tobias Cremer aus Nordrhein-Westfalen und Sabrina Repp aus Mecklenburg-Vorpommern. Zu den Wiedergewählten zählt die Spitzenkandidatin Dr. Katarina Barley aus Rheinland-Pfalz, die von 2013 bis 2019 dem Bundestag angehörte und 2017/2018 Bundesfamilienministerin sowie zeitweise geschäftsführende Arbeits- und Sozialministerin und zuletzt 2018/2019 Bundesjustizministerin war. Katarina Barley wurde am 16. Juli in ihrem Amt als Vizepräsidentin des Europaparlaments bestätigt. Sie ist damit neben Sabine Verheyen eine der beiden Vizepräsidentinnen aus Deutschland von insgesamt 14 Vizepräsidenten Roberta Metsolas.

Die Nachrücker der zu Ende gehenden Wahlperiode, René Repasi für Evelyne Gebhardt, beide aus Baden-Württemberg, und Matthias Ecke für Constanze Krehl, beide aus Sachsen, wurden wiedergewählt. Sein Mandat nicht verteidigen konnte der dritte Nachrücker, Thomas Rudner aus Bayern, der den im Juli 2023 ausgeschiedenen Ismail Ertug ersetzt hatte.

Zwölf wiedergewählte Abgeordnete bei den Grünen

Bündnis 90/Die Grünen verloren bei der Wahl neun ihrer bisherigen 21 Mandate. Alle zwölf Mandate entfallen auf wiedergewählte Abgeordnete, es gibt keinen Neuzugang. Von den 21 vor fünf Jahren gewählten Abgeordneten war Sven Giegold nach der Bundestagswahl 2021 ausgeschieden, um Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zu werden. Die Spitzenkandidatin von 2019, Franziska Maria „Ska“ Keller, war zur diesjährigen Wahl nicht mehr angetreten. Auch Reinhard Bütikofer, der dem Parlament seit 2009 angehörte, hatte nicht mehr kandidiert. Viola von Cramon-Taubadel, Bundestagsabgeordnete von 2009 bis 2013 und seit 2019 Europaabgeordnete, verfehlte den Wiedereinzug ins Europaparlament. 

Nicht mehr dabei sind neben den Genannten auch Anna Deparnay-Grunenberg, Romeo Franz, Henrike Hahn, Pierrette Herzberger-Fofana, Niklas Nienass und Jan Ovelgönne. Ovelgönne war im März 2024 für Malte Gallée nachgerückt, der seinerseits im Dezember 2021 für Sven Giegold nachgerückt war.

Sechs Mandate für Bündnis Sahra Wagenknecht

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) konnte bei der Wahl 2024 auf Anhieb sechs Mandate erringen. 

Gewählt sind der Fabio De Masi, der bereits von 2014 bis 2017 Europaabgeordneter und von 2017 bis 2021 Hamburger Bundestagsabgeordneter für die Partei Die Linke war, ferner Ruth Firmenich aus Berlin, Thomas Geisel aus Nordrhein-Westfalen, Dr. Friedrich Pürner aus Bayern, Dr. Jan-Peter Warnke aus Mecklenburg-Vorpommern und Michael von der Schulenburg.

Fünf Mandate für die FDP

Wie bereits nach der Wahl 2019 ist die FDP wieder mit fünf Abgeordneten vertreten. Neu ist die Spitzenkandidatin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die von 2017 bis 2024 dem Bundestag angehörte und dort zuletzt Vorsitzende des Verteidigungsausschusses war. 

Nicht mehr dabei ist Nicola Beer, die zum 1. Januar 2024 Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg wurde. Beer war von 2017 bis 2019 Bundestagsabgeordnete, wechselte 2019 ins Europaparlament und war dort bis 2023 dessen Vizepräsidentin. Ihr Nachrücker in Straßburg war Michael Kauch, Bundestagsabgeordneter von 2003 bis 2013. Für die Europawahl 2024 hatte Kauch nicht mehr kandidiert.

Drei Parteien mit je drei Mandaten

Drei Parteien errangen jeweils drei Mandate: Die Linke, die Freien Wähler und Volt Deutschland. Neugewählt wurde bei der Linken die Parteilose Carola Rackete aus Berlin, wiedergewählt wurden der Spitzenkandidat und Parteivorsitzende Dr. Martin Schirdewan aus Berlin sowie Özlem Demirel-Böhlke aus Nordrhein-Westfalen. Nicht mehr dabei sind Cornelia Ernst, Martina Michels und Helmut Scholz, die nicht mehr angetreten waren. 2019 hatte Die Linke noch fünf Mandate errungen.

Die Freien Wähler konnten gegenüber 2019 ein Mandat dazugewinnen. Neu dabei sind Christine Singer aus Bayern und Dr. Joachim Streit aus Rheinland-Pfalz. Wiedergewählt wurde Engin Eroglu aus Hessen. Ausgeschieden ist Ulrike Müller aus Bayern.

Die Partei Volt Deutschland hatte 2019 ein Mandat errungen, das von Damian Freiherr von Boeselager aus Berlin wahrgenommen wurde. Während er in seine zweite Wahlperiode geht, beginnt für zwei Abgeordnete die erste Wahlperiode. Neu dabei sind Nela Riehl aus Hamburg und Kai Tegethoff aus Niedersachsen.

Die Partei mit zwei Mandaten

Nach wie vor mit zwei Mandaten ist die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz Die Partei, im Europaparlament vertreten. 

Wiedergewählt wurde Spitzenkandidat Martin Sonneborn, neugewählt die Schriftstellerin Sibylle Berg. Der bisherige zweite Abgeordnete Nico Semsrott war im Januar 2021 aus der Partei ausgetreten und hatte zur Europawahl 2024 nicht mehr kandidiert.

Vier Parteien mit je einem Mandat

Vier Parteien aus Deutschland errangen jeweils ein Mandat. Für die Familien-Partei Deutschlands konnte Helmut Geuking aus Nordrhein-Westfalen sein Mandat verteidigen. Er verzichtete jedoch zugunsten seines Sohnes Niels Geuking, der bereits im Februar 2024 für seinen Vater nachgerückt war und auf dem zweiten Listenplatz kandidiert hatte.

Erstmals im Europaparlament vertreten ist die Partei des Fortschritts (PdF), die mit Lukas Sieper aus Nordrhein-Westfalen vertreten sein wird. Ihr Mandat verteidigen konnte die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Sie ist wie bisher mit Manuela Ripa vertreten, die im Juli 2020 für Prof. Dr. Klaus Buchner nachgerückt war. Auch die Partei Mensch Umwelt Tierschutz, kurz Tierschutzpartei, konnte sich erneut ein Mandat sichern, das von Sebastian Everding aus Nordrhein-Westfalen wahrgenommen wird. Bisheriger Abgeordneter war Martin Buschmann, der im Februar 2020 aus der Tierschutzpartei ausgetreten war.

Nordrhein-Westfalen stellt die meisten Abgeordneten

Die meisten deutschen Europaabgeordneten, nämlich 20, kommen aus Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Berlin mit 14, Bayern mit elf, Baden-Württemberg und Niedersachsen mit jeweils neun, Rheinland-Pfalz und Hessen mit jeweils sechs, Sachsen mit vier, Hamburg und Schleswig-Holstein mit jeweils drei, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen mit jeweils zwei Abgeordneten und dem Saarland mit einer Abgeordneten. Bremen entsendet keinen Abgeordneten nach Straßburg.

Zwei deutsche Abgeordnete haben ihren Wohnsitz nicht in Deutschland: Sibylle Berg (Die Partei) aus Zürich und Michael von der Schulenburg (BSW) aus Bisamberg in Niederösterreich.

Mitwirkungsrecht im Europaausschuss des Bundestages

Deutsche Europaabgeordnete können im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages mitwirkungsberechtigt sein. Paragraf 93 b Absatz 8 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages besagt, dass deutsche Mitglieder des Europaparlaments Zutritt zu den Sitzungen des Ausschusses erhalten. Weitere deutsche Europaabgeordneten sind als Vertreter zur Teilnahme berechtigt. Die mitwirkungsberechtigten Mitglieder des Europaparlaments werden von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas berufen. Vorgeschlagen werden sie von den Bundestagsfraktionen, aus deren Parteien die deutschen Europaabgeordneten gewählt worden sind.

„Die berufenen Mitglieder sind befugt, die Beratung von Verhandlungsgegenständen anzuregen sowie während der Beratungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auskünfte zu erteilen und Stellung zu nehmen“, heißt es in der Geschäftsordnung. (vom/18.07.2024)

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Sommer 1999: Der Bundestag verlegt seinen Dienstsitz nach Berlin

Mit einem Hammer in der Hand steht Peter Struck an einer Glastür hinter einer großen Umzugskiste mit der Aufschrift Bonn-Berlin, die von fünf Personen in das Berliner Reichstagsgebäude geschoben wird.

Der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck (im Hintergrund rechts) begleitet am 28. Juli 1999 den Einzug im Berliner Reichstagsgebäude. (© picture-alliance / dpa | Andreas Altwein)

Seit 25 Jahren wird Deutschland von Berlin aus regiert. Vorausgegangen war die größte Umzugsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. In der parlamentarischen Sommerpause 1999 zog der Deutsche Bundestag bis zum 31. Juli mit großem logistischem Aufwand von Bonn nach Berlin. Das gesamte Parlament mit damals 5.299 Arbeitsplätzen, rund 150.000 Möbelstücken, 38 Kilometern Büchern und elf Kilometern Akten zog innerhalb von vier Wochen vom Rhein an die Spree. Dabei sollte die Funktionsfähigkeit des höchsten Verfassungsorgans erhalten bleiben.

Im Juli 1999 rollten die Züge

Das geschah mit einigem Vorlauf, denn bereits am 14. Januar 1994 war unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) der zeitliche Rahmen für den Umzug abgesteckt worden, im April 1998 begannen die Planungen für den Umzug. Dann war es soweit: Zwischen dem 5. und 31. Juli 1999 rollten 24 Züge mit Umzugsgut in die Hauptstadt.

Aus 81 verstreuten Liegenschaften in Bonn wurden 50.000 Kubikmeter Mobiliar nach Berlin gebracht und dort auf 18 Gebäude verteilt. Zu transportieren waren 50.200 Bücherkartons, 1.184 Fernsehgeräte, 837 Kühlschränke, 13.835 Stühle und 584 Tresore mit sicherheitsrelevantem Inhalt. Vom Umzug betroffen waren 669 Abgeordnete, 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten, 854 Fraktionsmitarbeiter und 2.276 Verwaltungsangehörige. Eine besondere Herausforderung war, dass alle Büros wieder so eingerichtet werden mussten, wie sie abgebaut worden waren.

Jedes Möbelstück registriert

Erschwert wurde der Umzug dadurch, dass an vielen Liegenschaften in Berlin noch gebaut wurde und dadurch häufig improvisiert werden musste. Damit das gelang wurde das gesamte Umzugsgut zuvor akribisch inventarisiert. Jedes Möbelstück, vom Drehstuhl bis zum Wandregal, erhielt einen Aufkleber mit Pin-Code. Über eine Umzugsdatenbank wurde registriert, welches Möbelstück in welchem Raum auf welcher Etage nach Berlin gehörte oder in Bonn bleiben sollte.

Die Vorarbeiten und eine auf Tage und Stunden abgestimmte Terminplanung waren Voraussetzung für das Gelingen des Umzugs, der per Lkw zum Kölner Güterbahnhof Eifeltor und nachts auf dem Schienenweg zum Lehrter Bahnhof in Berlin ging, als auch für die Verteilung im neuen Parlamentsviertel. Schäden und Verluste hielten sich in dabei Grenzen. Selbst ein als verloren gemeldeter Umzugskarton mit wichtigen Akten fand sich nach Zweckentfremdung als Türstopper wieder. Als am Morgen des 10. Mai 2004 in der Bibliotheksrotunde im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin der Betrieb aufgenommen wurde, fand der Umzug des Bundestages von Bonn an die Spree seinen endgültigen Abschluss. (sp/bs/eis/10.07.2024)

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Schwabe: Europarat doku­mentiert Verbrechen und Schäden in der Ukraine

Porträtaufnahme: Frank Schwabe sitzt vor einem blauen Hintergund uns spricht

Frank Schwabe, Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats (Europarat PV) (© picture alliance / Metodi Popow)

„Der Europarat ist führend bei der Unterstützung seines Mitgliedslandes Ukraine“, sagt Frank Schwabe, Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats (Europarat PV), die vom 24. bis 28. Juni 2024 zu ihrer dritten Sitzungswoche des Jahres in Straßburg zusammengekommen war. Grundbedingung für eine Entschädigung der Opfer des russischen Angriffskrieges sei die Dokumentation der Verbrechen und Kriegsschäden. Das vor einem Jahr eingeführte Schadensregister werde bereits mit Informationen gefüllt. Im Interview spricht Schwabe über die Aufarbeitung der Kriegsschäden in der Ukraine, die Verteidigung der Werte des Europarats und die Erwartungen an den neu gewählten Generalsekretär der Organisation. Das Interview im Wortlaut:

Herr Schwabe, die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat den schweizerischen Politiker Alain Berset zum neuen Generalsekretär des Europarats gewählt. Was für Erwartungen haben Sie an ihn? 

Herr Berset muss vor allem die Werte und Regeln des Europarats verteidigen. Dazu gehört zunächst die kompromisslose Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er muss klug agieren und zusammenarbeiten mit den verschiedenen Teilen der Organisation. Das sind auf der einen Seite 46 Regierungen und auf der anderen Seite die Parlamentarier der 46 Länder, die meist deutlich härter gegenüber einem die Regeln verletzenden Mitgliedstaat auftreten. 

Der Europarat ist eine Werte- und Rechtsgemeinschaft. Was für Ideen sind auf dem Tisch, um Mitgliedstaaten, von deren Regierungen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte missachtet werden, stärker auf die Einhaltung der gemeinsamen Prinzipien zu verpflichten?

Es gibt diese Regeln bereits. Wir müssen sie nur anwenden. Aserbaidschan hat die Parlamentarische Versammlung nicht zur Wahlbeobachtung zugelassen und Berichterstatter entweder nicht ins Land gelassen oder ihr Mandat eingeschränkt. Die klare und unmissverständliche Reaktion war der Ausschluss der aserbaidschanischen Abgeordneten für ein Jahr. Bei der Nichtumsetzung von Gerichtsurteilen gibt es die Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens, das letztlich zum Ausschluss aus dem Europarat führen kann. Der Europarat hat also mehr Instrumente, als manche denken. 

Als nicht vereinbar mit der Menschenrechtskonvention hat der Europarat das jüngst von der georgischen Regierung verabschiedete Gesetz zu „ausländischer Einflussnahme“ bezeichnet, da es die Meinungsfreiheit beschränke. Lässt sich ein Abgleiten des Landes, das auch in die EU strebt, ins Autoritäre verhindern? 

Der Europarat kann die Fehlentwicklungen einer Regierung nicht durch Beschluss aufheben. Aber er kann klar darüber reden und muss das auch. Wir haben jetzt Georgien mehrfach auf die Tagesordnung gesetzt und bereiten uns gerade auf die Beobachtung der ganz wichtigen Wahlen am 26. Oktober vor. Wenn weiter alles falsch läuft, gibt es die Möglichkeit eines sogenannten „zusätzlichen gemeinsamen Verfahrens“. Das hört sich etwas kompliziert an, meint aber, dass die Regierungen und die Parlamentarische Versammlung Georgien gemeinsam einem strengen Beobachtungsmechanismus unterziehen. 

Die Versammlung hat sich auch mit den rechtlichen Aspekten befasst, die der russische Krieg in der Ukraine aufwirft. Bei der Einrichtung eines Schadensregisters hat der Europarat die führende Rolle inne. Einzelpersonen können dort ihre Kriegsschäden dokumentieren. Wie weit ist die Staatengemeinschaft jetzt mit diesem Projekt?

Der Europarat ist führend bei der Unterstützung seines Mitgliedslandes Ukraine. Das Schadensregister wurde vor etwa einem Jahr eingeführt, und es funktioniert bereits und wird mit Informationen gefüllt. Das ist die Grundbedingung für eine Entschädigung durch Russland. Der verbrecherische russische Angriffskrieg ist schrecklich. Aber noch nie zuvor wurden Verbrechen und Schäden bereits während des Krieges so konkret dokumentiert.

Eine andere Sache ist das vielfach diskutierte Sondertribunal, mit dem die Täter zur Verantwortung gezogen werden sollen. Welche Haltung hat dazu die deutsche Delegation in der Versammlung?

Eine deutliche Mehrheit der deutschen Delegation unterstützt die Einrichtung eines solchen Sondertribunals. Es soll am Ende auch Putin persönlich zur Verantwortung ziehen können. Wir achten aber auch gleichzeitig darauf, dass das internationale Rechtssystem des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag nicht geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt wird. 

Welche Möglichkeiten hat man, im Zuge der Kriegshandlungen verschleppte Kinder zurückzuholen? Können Sie einmal die Dimension des Verbrechens skizzieren?

Niemand kennt die Zahlen ganz genau. Aber wir gehen von mehr als 19.000 durch Russland verschleppte Kinder aus. Ein ganz schreckliches Verbrechen, bei dem Kinder missbraucht und indoktriniert werden. Ohne ihre Familie, eine schlimme Form der Folter. Durch internationale Vermittlung konnten bereits einige Kinder zurückgeholt werden. Aber auch in diesem Fall gilt, dass der Europarat Russland zu nichts zwingen kann. Aber wir haben das Thema durch ein in der letzten Sitzungswoche installiertes Netzwerk nach ganz oben auf die Tagesordnung gestellt. 

Debattiert wurde zudem, wie sich die Effektivität der Sanktionen gegen die russische Regierung verbessern lässt. Was kann der Europarat dazu beitragen?

Auch hier kann und sollte der Europarat vor allem aufklären. Darüber, wie Sanktionen umgangen werden und wie sie effektiver wirken können. Das machen wir mit besonderen Berichten, auch unter Einbezug oppositioneller russischer Akteure, die einen guten Überblick über die ökonomische Lage in Russland haben. 

Im November richtet die deutsche Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum dritten Mal eine Jugendkonferenz im Bundestag aus. Damit wollen Sie die Jugendbeteiligung stärken. Hat das Ereignis genug Breitenwirkung, um der Demokratieverdrossenheit zu begegnen, und was für „junge Spuren“ hinterlassen die Konferenzen in der Politik der Versammlung?

Deutschland unterstützt den Europarat in starkem Maße, auch finanziell. Eine besondere Unterstützung gibt es für die Jugendarbeit. Die Durchführung der Jugendkonferenz ist dabei nur ein kleiner, aber wichtiger Baustein. Aus über 20 Mitgliedstaaten kommen dazu Jugendliche und junge Erwachsene nach Berlin. Das soll sie motivieren, sich noch offensiver in den Europarat einzubringen, und uns immer wieder mit ihren Ideen konfrontieren. Und das funktioniert gut.

(ll/08.07.2024)

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Aktuelle Stunde

Diskussion über Re­zepte gegen die Pro­bleme bei der Bahn

Gerüchte über eine von der Deutschen Bahn AG (DB AG) angeblich geplante Streichung von Intercity-Verbindung in Ostdeutschland bildeten den Hintergrund einer von der Gruppe Die Linke am Freitag, 5. Juli 2024, auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzten Aktuellen Stunde mit dem Titel „Vertrauen in die Bahn stärken – Investitionen statt Kappung von Verbindungen“. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte geschrieben, wegen gestiegener Trassenpreise seien einige Strecken unrentabel und sollten eingestellt werden. Die DB AG hat das inzwischen dementiert.

Ramelow: Alles Geld in die Schiene reinvestieren

Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, sprach dennoch von einer gefährlichen Schieflage, die dadurch entstehe, dass die neu gebildete gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft der Bahn, die InfraGo, als Aktiengesellschaft gegründet worden sei, die Gewinne an den Bundeshaushalt abzuführen habe. 

„Das ist das Gegenteil einer klugen Entscheidung“, urteilte er. Richtig, so der Ministerpräsident, wäre es, alles Geld, was auf der Schiene verdient wird, „auch in die Schiene zu reinvestieren“. 

SPD: Die Bahn braucht einen Infrastrukturfonds

Isabel Cademartori (SPD) verwies darauf, dass die inzwischen dementierten Pläne mit dem Anstieg der Trassenpreise zu tun hätten. Diese „Schienen-Maut“ müsse komplett vom Fernverkehr und vom Güterverkehr getragen werden, „denn die Länder haben ihren Anteil beim Regionalverkehr gedeckelt“. 

Die SPD-Abgeordnete stimmte Ramelow gleichwohl in der Forderung zu, dass es für die Bahn ein langfristiges Finanzierungsinstrument brauche – „zum Beispiel einen Infrastrukturfonds, der es uns ermöglicht, langfristig Neu- und Ausbau zu planen“.

CDU/CSU: Problem liegt bei der Eigenkapitalerhöhung 

Für Michael Donth (CDU/CSU) liegt das Problem bei der Eigenkapitalerhöhung der DB AG. Das Eigenkapital werde mit 5,9 Prozent verzinst. Erhalte also die Bahn eine Eigenkapitalerhöhung für die Sanierung ihrer Strecken, „steigen nachgehend ganz automatisch die Trassenpreise“, sagte er. 

Abmildern könne man diese Effekt „schon heute, wenn die Ampel das Geld für die benötigten Baumaßnahmen der DB AG als Projektzuschüsse geben würde“. Die Ampel habe hingegen noch zusätzlich entschieden, die bisherigen Trassenpreisförderungen zur Entlastung der Unternehmen in 2024 drastisch zu kürzen. 

Grüne wollen Reform des Trassenpreissystems

Die Koalition habe einen riesigen Berg an Versäumnissen der Vorgängerregierung abzutragen, sagte Dr. Julia Verlinden (Bündnis 90/Die Grünen). Mit Blick auf die CSU-Verkehrsminister der letzten Jahre fügte sie hinzu: „Eigentlich müsste die Beschwerdestelle für die Fahrgäste die CSU-Parteizentrale sein und nicht die DB AG.“ 

Schritt für Schritt arbeite man die Probleme nun ab, um die Bahn zu einer Bahn zu machen, „die wieder funktioniert“. Ein Beitrag sei die Schaffung der InfraGo, damit bei Investitionen in die Infrastruktur nicht mehr der Profit, sondern das Gemeinwohl im Fokus steht. Verlinden forderte zugleich eine Reform des Trassenpreissystems. 

AfD kritisiert Folgen des „49-Euro Billigtickets“

Aus Sicht von Wolfgang Wiehle (AfD) ist die Politik schuld am Vertrauensverlust in die Bahn. Wenn auf der einen Seite die Lkw-Maut verdoppelt wird, und dann „Milliarden in das 49-Euro Billigticket“ gesteckt werden, statt in Bahnstrecken und Züge, dürfe man sich nicht wundern, „wenn die Bahn hinten und vorne nicht funktioniert“.

Ein staatlich verordneter Preis, wie im Sozialismus, führe zu schlechten Produkten und tiefen Löchern in den Kassen, sagte der AfD-Abgeordnete.

Regierung moniert viel Lärm um nichts

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), Michael Theurer (FDP), kritisierte „die reißerische Berichterstattung des Spiegels“.

Schon im April sei mit der Vorstellung des Fahrplans für 2025 deutlich geworden, dass es zu keinen Streichungen kommt. „Also viel Lärm um nichts“, resümierte Theurer. 

FDP: Ampel hat die Unterfinanzierung durchbrochen

Die Ampel habe ein ganz klares Bekenntnis zur Bahninfrastruktur gemacht, sagte Valentin Abel (FDP). „Wir haben die Unterfinanzierung durchbrochen, die es seit Jahrzehnten systematisch gibt.“ Gelungen sei das unter Einhaltung der Schuldenbremse. „Das ist kein Widerspruch“, sagte Abel. 

„Wir haben kein Einnahme-, wir haben ein Ausgabeproblem.“ Alles sei eine Frage der Priorisierung. „Diese Priorisierung haben wir bei der Infrastruktur insbesondere im Verkehrssektor deutlich besser gemacht als die Regierung davor“, befand der FDP-Abgeordnete. (hau/05.07.2024)

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Finanzen

Steuerliche Förderung energetischer Sanierungs­maßnahmen geändert

Der Bundestag hat am Donnerstag, 4. Juli 2024, Änderungen bei der steuerlichen Förderung energetischer Sanierungsmaßnahmen beschlossen. Die entsprechende Verordnung der Bundesregierung (20/11646, 20/11839 Nr. 2) wurde mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der AfD-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und der Gruppe Die Linke angenommen. Den Abgeordneten lag dazu eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vor (20/12055). 

Verordnung der Bundesregierung

Durch Änderung der betroffenen Anlagen der Verordnung werden laut Bundesregierung die Änderungen der Bundesförderung für effiziente Gebäude-Einzelmaßnahmen in das Steuerrecht übertragen, um den angestrebten technischen Gleichlauf der zuwendungsrechtlichen und der ertragsteuerrechtlichen Förderungen wiederherzustellen. 

Dabei geht es unter anderem um den sommerlichen Wärmeschutz, die Erneuerung der Heizungsanlage, den Einbau von digitalen Systemen zur energetischen Betriebs- und Verbrauchsoptimierung sowie die Optimierung bestehender Heizungsanlagen. (hau/bal/04.07.2024)

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