Forderung nach Rettungsschirm für die Wissenschaft beraten
Nach dem Willen der CDU/CSU-Fraktion soll die Bundesregierung die Bundesnetzagentur umgehend anweisen, Wissenschaftseinrichtungen entsprechend ihres jeweiligen Bedarfs im Notfall als geschützte Kunden prioritär mit Energie zu versorgen. Es sei umgehend ein Gipfel mit der Wissenschaft zum Thema „Sichere und bezahlbare Energieversorgung“ einzuberufen, um eine umfassende Bedarfsanalyse zu erstellen, auf deren Grundlage gemeinsam mit den Bundesländern ein Entlastungspaket Wissenschaft erarbeitet wird. Zusätzlich soll ein Notfallfonds für die Wissenschaft eingerichtet werden, um kurzfristig zielgerichtete Hilfen zur Verfügung stellen zu können. Über den entsprechenden Antrag der Union (20/4047) debattierte der Bundestag am Donnerstag, 20. Oktober 2022, und überwies ihn zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Union warnt vor Verlust von Forschungsergebnissen
Die explodierenden Energiepreise bedrohten Deutschlands Wissenschaftseinrichtungen in ihrer Existenz, führte Thomas Jarzombek (CDU/CSU) aus. Sollte die Energieversorgung nicht gewährleistet oder schlicht nicht bezahlt werden können, drohe „ein unwiederbringlicher Verlust von Forschungsergebnissen“ in Biodatenbanken, Großforschungsanlagen, Hoch- und Höchstleistungsrechnern oder Tierhäusern der Forschungsinstitute. Diese Wissenschaftseinrichtungen könnten eben nicht 20 Prozent ihres Strombedarfs einsparen, die Anlagen müssten durchgehend auf dem normalen Niveau betrieben werden.
Der Bundesregierung warf Jarzombek vor, die Wissenschaft schlicht vergessen zu haben bei ihrer Rettungsschirmpolitik. Es reiche eben nicht aus, wenn sich Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der aktuellen Ausgabe des „Handelsblatts“ am Tag der Debatte im Bundestag für einen Rettungsschirm für die Wissenschaft ausspreche. Die Ministerin müsse ihre Rolle einer „Schutzpatronin“ endlich ausfüllen, forderte der Unionsabgeordnete.
SPD wirft Union Panikmache vor
Parlamentarier der Ampelkoalition teilten zwar die Einschätzung der Union, dass die Wissenschaft eines besonderen Schutzes in der aktuellen Energiekrise bedürfe, wiesen aber den Vorwurf der Untätigkeit gegenüber der Bundesregierung zurück. Der SPD-Abgeordnete Holger Mann (SPD) warf der Union „Panikmache“ vor.
Der Wissenschaftsbereich werde wie die Wirtschaft und die Bürger in den Genuss der Gas- und der Strompreisbremse kommen, sagte er zu. Die Koalition arbeite an deren Ausgestaltung. Spezielle Einzellösungen für den Wissenschaftssektor würden viel zu lange dauern und machten deshalb keinen Sinn, sagte Mann.
Grüne: Schlüssel zur Lösung der Energiekrise
Auch Laura Kraft (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, die Koalition arbeite „mit Hochdruck“ an einer Lösung der steigenden Energiekosten. Die Wissenschaft sei der Schlüssel zur Lösung der Energiekrise und müsse geschützt werden.
Allerdings müssten nicht nur Wissenschaftseinrichtungen, sondern auch die Studierenden unterstützt werden, beispielsweise bei den Miet- und Heizungskosten. Nach der Strompreisebremse müsse eine Mensapreisbremse kommen. Es könne nicht sein, dass Studierende die Wahl hätten zwischen einem warmen Mittagsessen und einer warmen Wohnung.
FDP sieht auch die Länder in der Pflicht
Prof. Dr. Stephan Seiter (FDP) verwies darauf, dass die Wissenschaft bereits während der Corona-Pandemie extremen Belastungen ausgesetzt gewesen sei. Deshalb dürfe sie jetzt nicht allein gelassen werden. Allerdings müssten sich daran auch die für die Hochschulen zuständigen Bundesländer beteiligen. Diese dürften in einer solchen Krise nicht allein nach Hilfen des Bundes rufen.
Ausdrücklich nahm Seiter Forschungsministerin Stark-Watzinger in Schutz. Sie habe sich dafür eingesetzt, dass die Wissenschaft unter den Rettungsschirm komme und auch auf der Liste der zu priorisierenden Bereiche bei der Energieversorgung komme. Dies werde auch gewährleistet.
Linke: Antrag greift zu kurz
Dr. Petra Sitte (Die Linke) bescheinigte der Union, dass ihr Antrag durchaus vernünftige Forderungen beinhalte. Allerdings greife er viel zu kurz. Die kritische Situation im Wissenschaftsbereich sei nicht nur eine Folge der aktuellen Energiekrise.
Die Hochschulen seien seit Jahren unterfinanziert. Jetzt räche sich der seit Jahren ignorierte Sanierungsstau. Bundesweit fehlten bis zu 60 Milliarden Euro, um diesen Stau aufzulösen. Der Hochschulbau müsse endlich wieder eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern werden. Es sei riesiger Fehler gewesen, diese abzuschaffen, befand Sitte.
AfD für Wiedereinstieg in die Kernenergie
Der AfD-Abgeordnete Dr. Marc Jongen unterstützte zwar prinzipiell das Anliegen der Union, bezichtigte sie jedoch zugleich, selbst für die Situation verantwortlich zu sein. Es sei Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) gewesen, die den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und Deutschland in eine einseitige Abhängigkeit von russischem Gas geführt zu haben. „Hier ruft der Brandstifter nach der Feuerwehr“, sagte Jongen.
Deutschland betreibe die „dümmste Energiepolitik der Welt“, wie das „Wall Street Journal“ festgestellt habe. Die Lösung der Energiekrise könne nur in einem Wiedereinstieg in die Kernenergie und einer Beendigung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland liegen, argumentierte Jongen.
Antrag der Union
Die CDU/CSU-Fraktion fordert in ihrem Antrag ein Entlastungspaket und die Einrichtung eines Notfallfonds, um Schaden vom deutschen Wissenschaftssystem abzuwenden. „Unsere Wissenschaft ist in akuter Gefahr. Durch explodierende Preise, insbesondere bei den Energiekosten, sind Wissenschaftseinrichtungen in ihrer Existenz bedroht. Dabei droht Schaden insbesondere für die Kühlung unwiederbringlicher Biodatenbanken, für Großforschungsanlagen, für Hoch- sowie Höchstleistungsrechner und IT-Infrastrukturen mit hohem Strombedarf, für Tierhäuser der Forschungsinstitute und für die Lehre sowie für Promotionsstellen. Die Schäden eines Winters können schwerwiegende Folgen über Jahre und Jahrzehnte hinweg verursachen“, heißt es in dem Antrag.
Die Abgeordneten verlangen unter anderem von der Bundesregierung, die Bundesnetzagentur umgehend anzuweisen, Wissenschaftseinrichtungen entsprechend den jeweiligen Bedarfen im Notfall als geschützte Kunden prioritär mit Energie zu versorgen. Es soll zudem umgehend ein Energiegipfel für die Wissenschaft zum Thema „Sichere und bezahlbare Energieversorgung“ einberufen werden, um eine umfassende Bedarfsanalyse vorzunehmen. Auf Grundlage dessen soll gemeinsam mit den Ländern ein Entlastungspaket Wissenschaft erarbeitet werden. Zusätzlich soll ein Notfallfonds für die Wissenschaft eingerichtet werden, in dessen Rahmen zielgerichtete Hilfen für die Wissenschaft geschaffen und kurzfristig zur Verfügung gestellt werden. (aw/che/vom/20.10.2022)