Vereinfachte Genehmigungsverfahren, schnellerer Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlagen wie etwa Windkraftanlagen oder Elektrolyseure zur Herstellung von Wasserstoff – darauf zielt der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Verbesserung des Klimaschutzes beim Immissionsschutz“ (20/7502). Experten jedoch sehen bei dem Vorhaben teils noch erheblichen Nachbesserungsbedarf, wie eine öffentliche Anhörung am Mittwoch, 20. September 2023, im Umweltausschuss gezeigt hat. Dabei begrüßten die Sachverständigen grundsätzlich die Intention des Entwurfs, immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Die Umsetzung wurde jedoch kritisiert – aus unterschiedlichen Gründen.
Kritik an geplanten „neuen Pflichten“
So wandte sich Nadine Schartz vom Deutschen Landkreistag vehement gegen einen Großteil der geplanten Verfahrensänderungen: Sie würde nicht für schnellere Verfahren sorgen, sondern „genau das Gegenteil bewirken“. Die geplanten „neue Pflichten“ etwa zur Rechenschaft, Information und Weiterleitung würden Behörden hindern, ihrer eigentlichen Tätigkeit, der Genehmigung, nachzugehen, warnte Schartz. Ohnehin nehme die Komplexität der Verfahren durch ständige neue Rechtsänderungen zu und drohe die Kapazitäten von Behörden und Antragstellern zu sprengen.
Die Expertin riet, von einem Großteil der Regelungen „Abstand zu nehmen“ und statt neuer Vorschriften lieber „Ruhe in den Prozess zu bringen“. Verantwortlich für zu langsame Verfahren seien im Übrigen nicht nur die Behörden, sondern oft auch unvollständig eingereichte Antragsunterlagen.
Typenänderungen und Vorbescheide nach Paragraf 9
Katharina Graf vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (bdev) betonte die Notwendigkeit, die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen zu beschleunigen, sonst verfehle Deutschland seine Ausbau- und Klimaschutzziele. Großes Potenzial böte etwa ein „einfaches Verfahren für Typenänderungen“. Wenn der ursprünglich beantragte Typ einer Windkraftanlage technisch überholt sei, müsse es schneller möglich sein, einen Wechsel zu genehmigen.
Auch empfahl die Expertin unter anderem, Vorbescheide nach Paragraf 9 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) mehr zu nutzen und die Anforderungen an die Vollständigkeit von Antragsunterlagen zu konkretisieren. Hier und an anderer Stelle müsse der Entwurf ergänzt werden, sonst erziele er nicht die bezweckte Beschleunigungswirkung.
Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutzverkürzungen
Man unterstütze zwar die geplanten Regelungen zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien oder auch für mehr Digitalisierung der Verfahren, erklärte Dr. Cornelia Nicklas für die Deutsche Umwelthilfe. Doch Vorschläge der Regierung zur Öffentlichkeitsbeteiligung sowie geplante Rechtsschutzverkürzungen widersprächen elementaren Maßstäben, vor allem dem Schutzzweck des BImSchG und materieller Standards. Ein Erörterungstermin beispielsweise lasse sich nicht durch eine Online-Konsultation ersetzen, so Nicklas in ihrer Stellungnahme.
Zudem warnte sie davor, sämtliche immissionsschutzrechtliche Verfahren gleichzeitig zu beschleunigen, wie dies bereits diskutiert werde. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine flächendeckende Verfahrensbeschleunigung ohne massive Absenkung etablierter Standards möglich ist.“
Beschleunigung für alle Industrieanlagen gefordert
Demgegenüber forderten mehrere Sachverständige, insbesondere die Vertreter von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, genau das: eine generelle Verkürzung der Genehmigungsverfahren für alle industriellen Anlagen. Ihr klimafreundlicher Umbau sei von großer Bedeutung für das Erreichen der Klimaneutralität, argumentierte etwa Catrin Schiffer vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verpasse die Bundesregierung die Chance, die Transformation voranzutreiben. Um den erwarteten Aufwuchs der Genehmigungsverfahren für verfahrenstechnische und bauliche Umrüstungen der Anlagen bis 2030 Herr zu werden, brauche es Änderungen im Umweltverfahrensrecht, forderte Schiffer.
Auch Dr. Karin Hinrichs-Petersen, die für den Kupferkonzern Arubis sprach, plädierte für eine Erweiterung der im Gesetzentwurf vorgesehenen immissionsschutzrechtlichen Änderungen: Sie müssten für alle Industrieanlagen gelten. Ohne die Beschleunigungsmöglichkeiten könnten Unternehmen nicht zum Erreichen der Klima- und Umweltschutzziele beitragen, gab die Sachverständige zu bedenken. Die enge Eingrenzung auf die Erzeugung von erneuerbaren Energien sehe ihr Verband aus „Gleichheitsgründen“ kritisch, betonte auch Verena Wolf vom Verband der Chemischen Industrie. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung und des hohen Transformationsdrucks greife sie auch „viel zu kurz“, so Wolf in ihrer Stellungnahme.
Hauke Dierks von der Deutschen Industrie- und Handelskammer unterstützte diese Forderung und warb dafür, die Verfahrensbeschleunigungen aus dem LNG-Beschleunigungsgesetz und dem Gesetz zur Erleichterung der Brennstoffumstellung zum Vorbild zu nehmen: Erstmalig seien etwa Genehmigungsfiktionen eingeführt, Umweltprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung gebündelt, Doppelprüfungen reduziert und der vorzeitige Baubeginn erleichtert worden. Diese Änderungen hätten die Verfahren erfolgreich beschleunigt und sollten auch im vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen werden, empfahl Dierks.
Pro und Contra zu Klima als Schutzgut
Auch der Rechtsanwalt Dr. Frank Fellenberg sah im Abbau von Redundanzen die Chance zur Prozessbeschleunigung. Einen wesentlichen Grund für Verzögerungen machte der Experte für Umwelt- und Planungsrecht aber nicht im Verfahrensrecht selbst aus, sondern im materiellen Recht – konkret in den zu prüfenden Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von Anlagen. Kritisch äußerte sich Fellenberg auch zur geplanten Ergänzung des „Klimas“ als Schutzgut im Bundes-Immissionsschutzgesetz. Der Klarstellung bedürfe es im Grunde nicht, stattdessen könne sie sogar „falsche Hoffnungen wecken“. Auf das Genehmigungsverfahren wirke sie sich jedenfalls nicht aus. Hierfür brauche es „untergesetzliche Bestimmungen“, die aber fehlten.
Dem stimmte der Jurist Dirk Teßmer zwar zu, beurteilte die Aufnahme des Schutzgutes Klima ins Immissionsschutzrecht dennoch grundsätzlich positiv: Er halte es für „gut und richtig“ den Klimaschutz prominent im BImSchG zu verankern. Der auf Umweltrecht spezialisierte Anwalt warnte davor, im Zuge der Verfahrensbeschleunigung an Zeit und Regelungen zu sparen: Wenn etwa Erörterungstermine zur Beilegung von Konflikten wegfielen, gehe das zulasten der Rechts- und der Investitionssicherheit. Das sei „kontraproduktiv“. Stattdessen plädierte er dafür, Genehmigungsverfahren über eine bessere personelle Ausstattung der Behörden zu beschleunigen.
„Hält klimapolitisch nicht ein, was er verspricht“
Deutliche Kritik an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung übte schließlich Francesca Mascha Klein von der Umweltrechtsorganisation ClientEarth: „Er hält aus meiner Sicht klimapolitisch nicht ein, was er verspricht“, sagte sie in der Anhörung. In ihm finde sich keine einzige Vorschrift zur zusätzlichen Reduktion von Emissionen. Der Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlage reiche nicht aus.
Wenn es nicht nur bei „schönen Worten“ bleiben solle, müsse nachgebessert werden, riet die Sachverständige. Bislang seien Klimaschutzgesetz und Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Praxis nicht verknüpft: Bei einem Verfehlen der Klimaziele würden Genehmigungen für treibhausgasintensive Vorhaben weiterhin erteilt – für fossile Anlagen sogar noch immer für unbestimmte Zeit, obwohl Deutschland bis spätestens bis 2045 aus der Nutzung dieser Energieträger aussteigen müsse, monierte Klein.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Ziel sei es, die Potenziale des Bundesimmissionsschutzgesetzes effektiver zu nutzen, um die Klimaziele zu erreichen, schreibt die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf. Bis 2030 erforderten diese „nahezu eine Verdreifachung der bisherigen Geschwindigkeit der Emissionsminderung“. Konkret ist zum einen vorgesehen, „Klima“ als Schutzgut in das Bundesimmissionsschutzgesetz aufzunehmen. Hierdurch könnten die auf Grundlage dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen auch Regelungen zum Schutz des Klimas enthalten, erklärt die Bundesregierung.
Zum anderen ist geplant, die Genehmigungsverfahren für Anlagen wie etwa Windenergieanlagen an Land und Elektrolyseuren für grünen Wasserstoff zu beschleunigen. So soll künftig unter anderem eine Verlängerung der Genehmigungsfristen durch die Behörde nicht mehr unbeschränkt möglich sein. Auch ist vorgesehen, Anlagenbetreibern das Nachreichen von Unterlagen im Genehmigungsverfahren zu erleichtern. Ebenfalls vereinfacht werden sollen Genehmigungsverfahren für Repowering.
Darüber hinaus dient das Vorhaben der Umsetzung einzelner EU-rechtlicher Vorgaben: So soll zum einen künftig die Öffentlichkeit an Genehmigungsverfahren beteiligt werden, wenn eine Industrieanlage so geändert oder erweitert wird, dass die Schwellenwerte nach der Industrieemissionsrichtlinie überschritten werden. Zum anderen ist geplant, Überprüfungen und Überarbeitungen der Lärmaktionspläne, die nach bisher geltendem EU-Recht in diesem Jahr stattfinden sollen, zu verschieben. Sie soll laut Gesetzentwurf nun spätestens bis zum 18. Juli 2024 stattfinden.
Stellungnahme des Bundesrats
Der Bundesrat sieht einzelne geplante Regelungen kritisch und schlägt Änderungen vor. Dies gilt etwa für die Aufnahme des Klimas als Schutzgut: In seiner Stellungnahme, die dem Gesetzentwurf anhängt, merkt, die Länderkammer an, dass die Anforderungen, welche im immissionsschutzrechtlichen Verfahren hinsichtlich des neuen Schutzgutes an die Anlage gestellt werden, nicht klar seien und konkretisiert werden müssten.
Einer Forderung, der die Bundesregierung jedoch nicht nachkommen will: In ihrer Gegenäußerung erwidert sie, dass die Aufnahme des Klimaschutzes in die Zweckbestimmung des Gesetzes der Klarstellung diene. Damit werde die Rechtsgrundlage für künftige konkretisierende Rechtsverordnungen nach Paragraf 7 Bundes-Immissionsschutzgesetz geschaffen, „die gemeinsam mit den Ländern zu erarbeiten und mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen sein werden“.
Zustimmend äußert sich die Bundesregierung etwa zu einem Änderungsvorschlag des Bundesrats zur Digitalisierung der Genehmigungsverfahren: Dieser hatte in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass es der vollständigen Digitalisierung bedürfe, um die Verfahren insgesamt wirksam zu beschleunigen. Derzeit würden bundesweit für die elektronische Antragstellung die entsprechenden Fachverfahren und Onlinezugänge geschaffen. Für die Nutzung dieser Möglichkeiten müssten Genehmigungsbehörden aber auch berechtigt sein, eine elektronische Antragstellung zu fordern und dafür technische Vorgaben zu machen, mahnt der Bundesrat.
Insgesamt betont die Länderkammer, dass es für das Erreichen der Klimaschutzziele und für die Sicherung der Energieversorgung nicht nur beschleunigter Zulassungsverfahren für Erneuerbare-Energien-Anlagen brauche, sondern auch für „die Gesamtheit industrieller Anlagen, die an eine klimaneutrale Produktionsweise angepasst werden müssen“. (sas/20.09.2023)
Zeit:
Mittwoch, 20. September 2023,
11 Uhr
bis
13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700