Menschenrechte

Renata Alt: Menschenrechte sind nicht verhandelbar

Gespräch des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe unter Leitung der Vorsitzenden Renata Alt (rechts)

Renata Alt, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (DBT / Kira Hofmann / photothek)

Verletzungen der Menschenrechte sind immer Vorboten einer Autokratie oder einer Diktatur, sagt Renata Alt (FDP), Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, anlässlich des Tages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember, der sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährt. Daher müsse eine Verbesserung der Menschenrechtslage weltweit, gemeinsam mit Partnerländern, die unsere Werte teilen, für uns höchste Priorität haben. Im Interview spricht Alt über den historischen Schritt der Menschenrechtserklärung nach dem Zweiten Weltkrieg, die weiterhin desaströse Menschenrechtslage in vielen Ländern, die Notwendigkeit einer wertegeleiteten Außenpolitik sowie darüber, was sie persönlich im zu Ende gehenden Jahr am meisten erschüttert hat. Das Interview im Wortlaut:

Frau Alt, am 10. Dezember wird der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gedacht, wie sie 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet worden ist. 2023 jährt sich dieses Datum zum 75. Mal. Was bedeutete dieser Schritt damals?

Der Schritt, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) zu verabschieden, war damals ein revolutionärer Schritt. Besonders vor dem Hintergrund des grausamen Zivilisationsbruchs des NS-Regimes war es wichtig, den Stellenwert der Menschenrechte zu betonen und eine Art Neuanfang einzuleiten. Zwar ist die AEMR nicht rechtlich bindend, jedoch ist es trotzdem eine Verpflichtung. Und viele Artikel der AEMR wurden in nationale Verfassungen sowie internationale Pakte übernommen - man könnte sagen, dass die AEMR eine Art Vorreiter für andere Menschenrechtskonventionen war.

Wie ist es heute um die Menschenrechte bestellt?

Die Menschenrechtslage ist in vielen Ländern in der Welt desaströs. Nie gab es so viele Menschen, die von Krisen und Konflikten betroffen waren. Leidtragende dieser Krisen und Konflikte sind immer die Zivilbevölkerung und die Menschenrechte, die häufig zuerst attackiert werden. Daher ist es umso wichtiger, dass Deutschland gemeinsam mit unseren Partnern eine wertegeleitete Außenpolitik verfolgt. Wir haben die Verantwortung, die Menschenrechtsstandards zu verteidigen, denen wir uns verpflichtet haben.

Welche Themen haben den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag 2023 vor allem beschäftigt?

Es stellt sich eher die Frage, was uns nicht beschäftigt hat. Die Krisenherde weltweit nehmen zu und damit auch die Themen, mit denen sich unser Ausschuss beschäftigt. Die Schwerpunktthemen des Ausschusses in diesem Jahr waren die Rechte der LGBTIQ+-Gemeinschaft und die Verschärfung der Nahrungsmittelunsicherheit und Wasserknappheit.

Was sind für Sie persönlich aktuell die wichtigsten politischen Baustellen beim Thema Menschenrechte?

Natürlich weiterhin die Situation in der Ukraine und die barbarischen Kriegsverbrechen Russlands. Die angespannte humanitäre Situation weltweit. Die Lage im Iran, wo die mutige Zivilbevölkerung brutal vom Mullah-Regime unterdrückt wird. Jüngst auch der grausame Hamas-Angriff auf Israel. Wir sehen diesbezüglich immer wieder, wie schwer es ist, Mehrheiten für eine menschenrechtsbasierte Politik zu finden. Das beste Beispiel ist die UN, besonders der UN-Sicherheitsrat. Daher ist es essenziell, dass wir gemeinsam mit unseren Wertepartnern die erforderlichen Mehrheiten erzielen, um jene Regime zur Verantwortung zu ziehen, die die Menschenrechte systematisch mit Füßen treten.

Was soll deutsche Menschenrechtspolitik in der Welt leisten?

Eine Verbesserung der Menschenrechtslage muss für uns höchste Priorität haben. Denn Verletzungen der Menschenrechte sind immer Vorboten einer Autokratie oder einer Diktatur. Menschenrechte sind nicht verhandelbar, daher sehe ich es als unsere Pflicht, uns für die Rechte der anderen, die sich nicht wehren können, weltweit einzusetzen. Deutschland muss unbequem sein und Menschenrechtsverletzungen auch in schwierigen Situationen klar benennen. Nur so können wir unserem Anspruch einer wertebasierten Außenpolitik gerecht werden.  

Auf welche Kompromisse darf sich Menschenrechtspolitik im Zusammenspiel mit Außen- und Wirtschaftspolitik einlassen?

Die Menschenrechte dürfen nie den wirtschaftlichen Interessen geopfert werden. Menschenrechte sind ein hohes Gut, für welches wir lange gekämpft haben. Wir müssen alles dafür tun, um diese auch weiterhin zu bewahren. Wir müssen eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik verfolgen, die Deutschland und Europa so stark macht, dass wir in Bezug auf die Menschenrechte nicht erpressbar sind. Es ist zum Beispiel höchste Zeit, dass Produkte, die durch Zwangsarbeit entstanden sind, in Europa verboten werden.

Die Menschenrechte geraten vor allem durch autoritäre Regierungen und in bewaffneten Konflikten unter Druck. Was bereitet Ihnen momentan die größten Sorgen?

Autoritäre Regime sind die Wurzel des Übels. Sie sind häufig die Verantwortlichen für bewaffnete Konflikte. Daher bereiten mir autoritäre Regime und besonders die Allianzen, die sie schmieden, besonders Kopfzerbrechen. Man muss nur schauen, wie China und Russland ihre Kontakte zum Iran intensiviert haben. Alle drei Regime sind bekannt für die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die sie verüben, ob an der eigenen Zivilbevölkerung oder in anderen Staaten. Umso wichtiger ist es, auch für die Menschenrechtslage weltweit, dass wir unsere Zusammenarbeit mit Wertepartnern als Gegenpol stärken, um im systemischen Wettbewerb zu bestehen.

Mit der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Europa ein eigenes regionales Menschenrechtsregime aufgebaut. Erodiert dieses System durch Menschenrechtsverstöße seitens einiger Mitglieder wie der Türkei?

Ja und nein. Besteht die Gefahr, dass schwarze Schafe das System von innen aushöhlen? Ja. Gleichzeitig glaube ich, dass uns dies die Fragilität der Menschenrechte vor Augen führt und damit auch, wie wichtig es ist, immer für die Menschenrechte einzutreten. Europa ist ein Verfechter der Freiheit und der Menschenrechte - wir müssen kontinuierlich dafür kämpfen, dass wir dieser Rolle und der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden.

Was passiert wenn Regierungen und Teile der Bevölkerung in Mitgliedstaaten den heute erreichten rechtlichen Standard nicht mehr wertschätzen?

Wir müssen deutlich machen, dass die europäischen Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht verhandelbar sind. Die EU muss entschlossen und mit allen Mitteln, die sie hat, gegen jene Regierungen vorgehen, die der Meinung sind, sie könnten diese Werte unterminieren oder sogar abschaffen. Deshalb ist es völlig richtig und sogar notwendig, dass beispielsweise EU-Gelder zurückgehalten werden, wenn Rechtsstaatlichkeitskriterien nicht erfüllt werden. Oder wenn die EU-Kommission gegen Gesetzesvorhaben klagt, die mit den Werten der EU nicht vereinbar sind, beispielsweise das Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität in Ungarn.  

Was würde ein Beitritt der Europäischen Union zur europäischen Menschenrechtskonvention des Europarates (EMRK) für die Menschenrechte in Europa bedeuten?

Meiner Ansicht nach wäre der Beitritt der EU zur EMRK entscheidend, um einen einheitlichen Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der EU zu garantieren. Gerade dadurch, dass einige Mitgliedsstaaten die Menschenrechtsstandards der EU systematisch unterminieren, wäre der Beitritt ein wichtiger Schritt.

Mit dem Programm Parlamentarier schützen Parlamentarier (PsP) kümmern sich Bundestagsabgeordnete um verfolgte Kolleginnen und Kollegen weltweit. Was für Hilfe leistet das Programm und mit welchem Erfolg?

Wir hören immer wieder, wie wichtig Aufmerksamkeit für die inhaftierten und verfolgten Kolleginnen und Kollegen sein kann. Teils überlebenswichtig. Daher bin ich sehr froh, dass dieses Programm im Menschenrechtsausschuss angesiedelt ist. Wir Bundestagsabgeordnete haben das Privileg, unser Mandat frei und ohne Repressalien oder Angst auszuüben. Umso wichtiger ist es, dass wir den Politikerinnen und Politikern helfen, die sich trotz hohen persönlichen Risiken und unter widrigsten Bedingungen für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzen.

Welche Menschenrechtsverletzung hat Sie persönlich im zu Ende gehenden Jahr am meisten erschüttert?

Es gibt viele Momente, in denen ich in Gesprächen mit Betroffenen sitze und fassungslos bin, wenn sie mir über das Leid berichten, welches ihnen angetan wurde, nur weil sie frei und in Würde leben wollten. Die von Russland verschleppten ukrainischen Kinder, die mutigen Iranerinnen und Iraner, die trotz der Grausamkeit der Mullah für Freiheit und Frauenrechte auf die Straße gehen. Die Uigurinnen und Uiguren, denen in den ,Umerziehungslagern' unvorstellbare Gewalt angetan wird. Und natürlich die israelischen Geiseln der Hamas, die unzähligen Frauen und Kinder, die bei dem Angriff umgebracht und schwer traumatisiert wurden. Und das politisch motivierte Urteil gegen Wladimir Kara-Mursa, meinen Paten im PsP-Programm, der wegen ,Hochverrats' zu 25 Jahren Haft in Russland verurteilt wurde, weil er sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hat. Jedes einzelne Schicksal, jede einzelne Menschenrechtsverletzung ist erschütternd und berührt mich emotional sehr. Deshalb, auch wenn es 75 Jahre nach Einführung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte schwer zu erreichen scheinen mag, ist es enorm wichtig, dass wir uns entschlossen für die Ziele dieser Erklärung, für Freiheit, Gerechtigkeit und die Rechte aller Menschen weltweit, einsetzen. (ll/06.12.2023)

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