Regieren ohne Mehrheit im Parlament
Mit dem Ausscheiden der FDP aus der Koalition hat die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die absolute Mehrheit im Parlament verloren. Um trotzdem Gesetze beschließen zu können, ist eine Minderheitsregierung auf Unterstützung aus dem Oppositionslager angewiesen. Wie funktioniert eine Regierung ohne parlamentarische Mehrheit? Und welche Folgen hat das für den Bundestag?
Unter einer „Minderheitsregierung“ versteht man allgemein eine Regierung, die von einer oder mehreren Fraktionen getragen wird, die im Parlament nicht über eine absolute Mehrheit verfügt beziehungsweise verfügen. Der Regierung fehlt dann die für Beschlüsse grundsätzlich nötige Mehrheit im Parlament. Sie ist auf die Kooperation mit oppositionellen Fraktionen oder einzelnen Abgeordneten angewiesen.
Entstehung einer Minderheitsregierung
Zu einer Minderheitsregierung kann es sowohl innerhalb der Legislatur kommen – etwa, weil im Verlauf der Wahlperiode ein Koalitionspartner aus der Regierung ausscheidet. Oder zu Beginn eines neuen Bundestages, nämlich dann, wenn der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin eine ausreichende Zahl von Unterstützern aus anderen Fraktionen für seine beziehungsweise ihre Wahl mobilisieren konnte.
Ist dies im ersten und zweiten Wahlgang nicht gegeben, kann im dritten bereits die sogenannte einfache Mehrheit ausreichen. Der Bundespräsident kann einen Kandidaten auch dann zum Kanzler ernennen, wenn dieser im dritten Wahlgang lediglich die meisten der abgegebenen gültigen Stimmen (einfache Mehrheit) erhalten hat, nicht aber die der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages (absolute Mehrheit).
Suche nach Mehrheiten im Parlament
Ein Kanzler oder eine Kanzlerin in einer Minderheitsregierung besitzt nach dem Grundgesetz dieselben Rechte und Pflichten, als wäre er oder sie mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gewählt worden. Dazu zählt etwa die sogenannte Richtlinienkompetenz, also das Recht, die Richtlinien der Politik zu bestimmen – auch wenn die Durchsetzung des politischen Programms ohne absolute Mehrheit im Parlament ungleich schwerer ist. Gleiches gilt für das Ressortprinzip der Minister.
Gesetzesinitiativen erfolgreich durch das Parlament zu bringen, stellt eine Minderheitsregierung vor größere Herausforderungen, schließlich muss sie für ihre Vorhaben politische Mehrheiten organisieren. Für Beschlüsse im Bundestag ist grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen nötig. Bei Abstimmungen ist eine Minderheitsregierung also auf die Unterstützung der Opposition angewiesen. Das heißt, sie muss sich entweder Stimmen aus dem Oppositionslager verschaffen oder zumindest Teile von diesem zur Enthaltung bewegen.
So kann eine Regierung ohne eigene Mehrheit zum Beispiel eine Tolerierungsabsprache mit einer oder mehreren weiteren Fraktionen vereinbaren. Denkbar ist auch die Absprache mit einer Fraktion, sich bei bestimmten Regierungsvorlagen zu enthalten, um auf diesem Weg die einfache Mehrheit einer Minderheitsregierung zu ermöglichen. Gerade bei zentralen Gesetzgebungsvorhaben – wie zum Beispiel dem Haushaltsgesetz – ist dies aber politisch äußerst herausfordernd und alles andere als sicher.
Rolle des Bundestages
Die Bildung einer Minderheitsregierung hat auch Auswirkungen auf den Bundestag. In der Zeitplanung und allen anderen Verfahrensfragen, müssen die die Minderheitsregierung tragenden Fraktionen nun Absprachen treffen, um Mehrheiten für Entscheidungen zu finden.
Gelingt ihnen dies nicht, kann es auch sein, dass in Bezug auf einzelne Verfahrensfragen oder gar Anträge und Gesetzentwürfe die Opposition eine Mehrheit findet.
Historische Beispiele
Auf Bundesebene hat es Minderheitsregierungen bislang nur selten gegeben. So zum Beispiel 1966 infolge des Rücktritts der FDP-Bundesminister aus dem Kabinett von Ludwig Erhard (CDU) und 1982 als Folge der Entlassung der FDP-Minister im Kabinett von Helmut Schmidt (SPD). Die Amtszeit der bisherigen Minderheitsregierungen war jedoch stets auf nur wenige Wochen begrenzt. (wd/irs/25.11.2024)