11.06.2025 | Parlament

Rede bei der Abschlussveranstaltung des Verbundes „Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht“ in Erfurt

Das Foto zeigt eine Frau, die an einem Rednerpult steht und in ein Mikrofon spricht. Sie schaut dabei in Richtung der Kamera. Vor ihr sitzt Publikum, das sie anschaut.
Das Bild zeigt ein Foto von einer abfotografierten Folie einer PowerPoint-Präsentation. Diese waren im Veranstaltungssaal hinter dem Rednerpult an die Wand projiziert. Auf dieser Folie steht geschrieben: Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht - Abschluss-Symposium und Vernetzungsveranstaltung - Eröffnung und Grußworte Prof. Dr. Bernhard Strauß, Dr. Peter Wurschi, Evelyn Zupke

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Die SED-Opferbeauftragte während ihrer Rede. (© Team Zupke)

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Die Ankündigung der Eröffnungsreden. (© Team Zupke)

Lieber Herr Prof. Strauß,
lieber Herr Prof. Frommer,
lieber Herr Prof. Schomerus,
lieber Herr Prof. Spitzer, lieber Herr Schneider,
liebe Frau Prof. Gahleitner,

liebe Kolleginnen und Kollegen Landesbeauftragte,
liebe Vertreterinnen und Vertreter der Opferverbände und Betroffeneninitiativen,
lieber Dieter Dombrowski,

und vor allem:
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Forschungsverbundes,

„Frau Zupke, will mir denn niemand helfen?“ So beschrieb eine Frau, Anfang 70, mir ihre bedrückende Situation. Ihr Lebensweg ist bis heute gezeichnet von dem, was sie in der DDR erleben musste. Als junge Frau wollte sie die DDR verlassen. Ihre Pläne waren nur grob skizziert. Doch allein, dass sie sich Verwandten im Westen anvertraute, reichte für die Staatssicherheit aus, um sie schließlich zu verhaften.

Was folgte, war eine Verurteilung wegen ungesetzlicher Verbindungsaufnahme. Mehr als 1 Jahr Gefängnis. Zuerst in Hohenleuben und letztlich in Hoheneck. Durch den Freikauf kam sie schließlich in die Bundesrepublik. Geschafft! Würde man denken. Aber die Schatten der erlebten politischen Gewalt verfolgten sie weiter durch ihr Leben bis heute.

Diverse Umzüge, viele Wechsel des Arbeitsplatzes, zwei gescheiterte Ehen und zwei Kinder, die bis heute auf Distanz zu ihrer Mutter leben. Zu zerrüttet sind die interfamiliären Verhältnisse. Ihre Probleme, vor allem die psychischen, sie nahmen zu im Laufe der Jahre. Bis schließlich ein „normales“ Leben nicht mehr möglich war.

Bei ihrer Suche nach geeigneter Hilfe und Unterstützung scheiterte sie wieder und wieder. Mehrfach saß sie Ärzten gegenüber, die ihr zwar mit Empathie und mit Professionalität begegneten. Ein tieferes Verständnis aber von den Ursachen und Wirkungen des Erlebten fehlten. Und auch bei den Ämtern hatte sie keinen Erfolg. Krank sei sie. Ja. Daran hatten auch die Ämter wenig Zweifel. Die Ursachen aber für ihre heutige Situation, verorteten die Ämter in den Brüchen ihres Lebens in den letzten Jahren. 

Warum berichte ich Ihnen hier und heute von diesem Schicksal? Für mich steht dieses Schicksal stellvertretend für Tausende von Betroffenen. Es sind Lebensgeschichten, die Sie nur zu gut kennen. Dieses Schicksal steht gleichzeitig auch dafür, wie unser Anspruch gegenüber den Opfern und die Wirklichkeit noch immer viel zu häufig auseinanderfällt. 

„Frau Zupke, will mir denn niemand helfen?“ Immer wieder, wenn ich mit Betroffenen spreche, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Beratungsstellen und aus den Behörden erlebe ich: Den Opfern zu helfen. Es ist eben nicht meist eine Frage des Wollens, sondern vielmehr des Könnens. Das Wissen um die Folgen der Diktatur, es ist nicht ausreichend in unserer heutigen Gesellschaft verankert. In unseren Gesetzen und Verordnungen. In der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Und auch nicht ausreichend in Schule und Universität in unserem Bildungssystem. 

Als ich vor dreieinhalb Jahren, beim Startschuss des Verbundes, sagte, dass ich mir wünsche, dass die Forschungsergebnisse Wirkung in Politik und Öffentlichkeit entfalten, wurde ich im Nachgang angesprochen, ob mein Blick nicht etwas naiv sei. Wann hat sich denn die Politik einmal ernsthaft an der Forschung orientiert? Heute kann ich sagen: Der Deutsche Bundestag hat sich Ihre Expertise zu Eigen gemacht. So sind die Ergebnisse Ihrer Forschung von zentraler Bedeutung bei der Neuordnung der Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden. 

In der Begründung des neuen Gesetzes, beschlossen Ende Januar im Bundestag, heißt es bei der Festlegung von Kriterien für die Feststellung des Zusammenhangs zwischen erlebter Repression und heutigen Erkrankungen: Es ist der aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zu beachten, womit insbesondere die Erkenntnisse aus dem Verbundprojekt „Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht“ der Universitätskliniken Jena, Leipzig, Magdeburg und Rostock gemeint sind. Konkreter geht der Transfer aus der Wissenschaft in die Praxis in meinen Augen nicht. Ihre Arbeit, sie hat Wirkung. Für mich ist dies aber nur der Anfang.

Die Ergebnisse Ihrer Forschung sind ebenso wichtig, wenn wir – so sieht es der neue Koalitionsvertrag vor – endlich ein Instrument zur dauerhaften Unterstützung der Opfer des DDR-Zwangsdopings schaffen. Die Ergebnisse Ihrer Forschung werden uns dabei helfen, die Defizite in der Unterstützung der Betroffenen der Anti-D-Prophylaxe weiterhin in der Politik zu thematisieren.

Und die Ergebnisse Ihrer Forschung sind wichtig für die Sensibilisierung von unterschiedlichen Berufsgruppen über die Repression in der DDR und ihre Auswirkungen auf die Opfer. Nur wer die Hintergründe kennt, kann sensibel mit den Betroffenen umgehen. Hier wünsche ich mir, dass all das, was Sie entwickeln, auch in der Breite in der Praxis zur Wirkung kommt.

Ich freue mich besonders, dass ich als SED-Opferbeauftragte des Bundestages zukünftig beim neugeschaffenen Web-Portal Partnerin sein darf. Und ich bin überzeugt, dass die Handreichungen, die im Verbund entstanden sind, Betroffenen ganz konkret dabei helfen werden, die passenden Angebote zur Unterstützung zu finden. 

Dies sind nur einige Beispiele, die eindrucksvoll zeigen, wie konkret die Arbeit des Verbundes in Richtung der Praxis wirkt. Sie haben mit Ihrer Arbeit ein Fundament gelegt. Ein Fundament, auf das wir, wie beschrieben, in der Praxis aufbauen können. 

Ihre Arbeit hat aber gleichzeitig aufgezeigt, wie notwendig weitere Forschung ist. Für die Förderung dieser Forschung durch den Bund werde ich mich im Bundestag einsetzen. 

Ich sehe aber noch eine ganz grundsätzliche Bedeutung, die Ihre Forschung, die Forschung zu Hintergründen und Folgen von Diktatur, für unsere Gesellschaft hat. Über vierzig Jahre Diktatur hinterlassen tiefe Spuren: In der Gesellschaft. In den Familien. Und bei jedem einzelnen Betroffenen. Wir können das, was den Menschen passiert ist, nicht ungeschehen machen. Unser Anspruch sollte aber sein, dass wir die Folgen der erlebten Repression lindern und den Betroffenen zur Seite stehen. Hierfür müssen wir das Wissen um die verheerenden Folgen der Diktatur in unserer Gesellschaft verankern, um so der Stigmatisierung der Betroffenen entgegenzuwirken und ihnen ganz konkret helfen zu können. Hierzu haben Sie mit Ihrer Forschung einen zentralen Beitrag geleistet und dafür bin ich Ihnen – auch im Namen der Betroffenen – ausgesprochen dankbar.

Vielen Dank!