Parlament

Bundestag gedenkt der Fluto­pfer und ehrt ver­stor­bene Parla­mentarier

Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble hat am Mittwoch, 25. August 2021, an die „Krisen, Konflikte und Katastrophen“ der vergangenen Wochen und Monate gemahnt. Die Pandemie, das Hochwasser und die Bilder aus Afghanistan zeigten schonungslos, wie eng die Welt zusammengewachsen und die Entwicklungen miteinander verflochten seien, so Schäuble zu Beginn der von ihm am 11. August einberufenen Sondersitzung des Deutschen Bundestages. 

Wolfgang Schäuble sitzt im Plenarsaal vor einem Mikrofon und spricht.

Bundestagspräsident Schäuble während seiner Rede vor der Sondersitzung des Bundestages am 25. August 2021. (DBT/photothek/Köhler)

Neben seinem Appell, die Menschen in Afghanistan „nicht im Stich zu lassen“, und seinem Gedenken an die Opfer der Hochwasserkatastrophe im Juli dieses Jahres, erinnerte Schäuble auch an das parlamentarische Wirken der jüngst verstorbenen Bundestagsabgeordneten Martin Hebner (AfD) und Ingrid Remmers (Die Linke) sowie an die politischen Verdienste des ehemaligen Parlamentariers Johannes Gerster (CDU) und des früheren sächsischen Ministerpräsidenten und Bundestagsabgeordneten Kurt Biedenkopf (CDU). Beide waren im August in hohem Alter verschieden. 

„Eine Frage der Mitmenschlichkeit“

Von diesem Sommer hätten sich alle „eine entspannte Situation erhofft“, sagte Schäuble mit Blick auf die Belastungen durch die Pandemie. Stattdessen träfen uns globale Krisen mit weitreichenden Folgen: „Wenn wir dieser Tage an die Deutschen denken, die im Einsatz für und in Afghanistan ihr Leben verloren haben, sollten wir nicht vergessen: In den 20 Jahren wurde auch die Saat der Freiheit gesät. Daraus erwächst eine moralische Verpflichtung: Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen!“ Die Verzweiflung am Flughafen in Kabul zerreiße einem das Herz, so Schäuble. „Ihr Schicksal erschüttert das Selbstverständnis des Westens. Unser Selbstverständnis.“

Mit dem Anspruch, Afghanistan nach „unseren Vorstellungen und Werten“ umzugestalten, sei der Westen gescheitert, so Schäuble weiter. „Diesen Kampf konnten wir nicht gewinnen. Jetzt müssen wir mit unseren Verbündeten zeigen, dass wir immerhin der Niederlage gewachsen sind. Dass wir den Menschen in Afghanistan Schutz gewähren, die Hoffnungen in uns gesetzt und die uns vor Ort unterstützt haben.“ Dies sei eine Frage der Mitmenschlichkeit angesichts einer unmenschlichen Bedrohung, so der Bundestagspräsident.

„Es braucht jetzt strategische Weitsicht“

Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen lasse das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu, sagte Schäuble mit Blick auf den bereits laufenden Einsatz zur Evakuierung von Menschen aus Afghanistan. Allerdings bestehe die Pflicht zur Unterrichtung und zur nachträglichen Zustimmung. „Dazu sind wir heute aufgerufen.“ Schäuble hob dabei besonders die Rolle der Soldatinnen und Soldaten hervor, die in diesem Moment unter Einsatz ihres Lebens erfüllten, wozu sie die Humanität verpflichte. Einzelne Mitglieder der Truppe und Veteranen des Afghanistan-Einsatzes, die auf der Tribüne im Plenarsaal Platz genommen hatten, begrüßte er an dieser Stelle.

Die Ereignisse in Afghanistan würden viele Fragen aufwerfen. Die nach der Verantwortung sei nur eine – „und sie wird auch parlamentarisch aufgearbeitet werden“, kündigte Schäuble an. Nun aber brauche es „strategische Weitsicht“. Der Westen würde im globalen Wettbewerb der Systeme längst ausgenutzt werden, sagte Schäuble, der dem Westen einen Autoritätsverlust attestierte. Deshalb müssten im Bündnis überzeugende Antworten gefunden werden, „wie wir künftig unseren universellen Werten Geltung in der Welt verschaffen wollen“. Gleiches gelte für die Frage, „wie wir damit umgehen, bei der Rettung von Menschen, bei der Bewältigung der Migration oder dem Kampf gegen den Terror auf die Zusammenarbeit auch mit zweifelhaften Kräften und Regimen angewiesen zu sein“.

„Die Zahl der Toten und Vermissten ist erschütternd“

Die multilaterale Zusammenarbeit sei aber auch mit Blick auf den Klimawandel unerlässlich, so Schäuble. Nicht zuletzt der Weltklimabericht und die jüngsten extremen Wetterereignisse in Europa und anderen Teilen der Welt zeigten den Ernst der Lage. „In unserem eigenen Land brach im Juli ein verheerendes Hochwasser über Dutzende Ortschaften herein“, sagte Schäuble. „Die Zahl der Menschen, die in den Fluten starben oder noch immer vermisst sind, ist erschütternd.“ Ihren Hinterbliebenen sprach der Bundestagspräsident sein Mitgefühl aus.

Neben den Menschen, die ihr Zuhause verloren hätten, hätten auch Landwirte Vieh und Felder, Winzer und Obstbauern ihre Ernte und Betriebe ihre Produktionsanlagen verloren, so Schäuble. Von der Rückkehr zu einem geregelten Alltag seien die Menschen weit entfernt. Nun brauche es „unbürokratische Überbrückungs- und Wiederaufbauhilfen“. Nicht zuletzt deshalb komme der Bundestag nun zu seiner Sondersitzung zusammen.

„Langfristiges Denken, kurzfristige Vorsorge“

Der Klimawandel verlange ein langfristiges Denken und „kluge Eingriffe in unsere Lebensweise“. Es brauche aber auch kurzfristig eine bessere Vorsorge, um auf Extremsituationen schnell reagieren zu können. Das sei eine Frage der Verantwortung für nachfolgende Generationen, sagte der Parlamentspräsident, der sich diesbezüglich sogleich optimistisch zeigte: „Dass wir dazu in der Lage sind, das haben viele Flutopfer in der größten Not erfahren. Die Katastrophe setzte die besten Kräfte in der Gesellschaft frei. Privatleute, Rettungskräfte und Angehörige der Bundeswehr arbeiteten in den überschwemmten Orten Hand in Hand.“ 

Schäuble weiter: „Für den spontan geleisteten Beistand gebührt den Hilfsorganisationen und den vielen Freiwilligen unser Dank!“ Sie hätten ihre eigenen Interessen zurückgestellt und Verantwortung gezeigt.

Bundestag erhebt sich zu Ehren der Verstorbenen

Zum stillen Gedenken an die Opfer der Hochwasserkatastrophe erhob sich der Bundestag im Anschluss an die Worte des Bundestagspräsidenten. Dabei nahmen die Abgeordneten auch Abschied von ihren im Juli und August verstorbenen Kollegen Martin Hebner und Ingrid Remmers. Schäuble würdigte den im Alter von 61 Jahren verstorbenen AfD-Politiker als einen Abgeordneten, „der seine Überzeugungen mit hohem Einsatz verfolgte“. Ingrid Remmers nannte er eine „überzeugte Gewerkschafterin“, die sich für eine ökologisch vertretbare Verkehrspolitik stark gemacht habe. Die Abgeordnete der Linksfraktion starb im Alter von 56 Jahren nach langer Krankheit.

Auch zu Ehren der früheren Bundestagsabgeordneten Johannes Gerster und Kurt Biedenkopf hielt das Plenum schweigend inne. Gerster bleibe für „seinen herausragenden Einsatz für die deutsch-israelische Freundschaft und dafür, Brücken zwischen Israelis und Palästinensern zu bauen“, in Erinnerung, sagte Schäuble über den früheren Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Gerster starb im Alter von 80 Jahren am 21. August. Den ehemaligen Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen, Kurt Biedenkopf, würdigte Schäuble als „Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – und zwischen Ost und West“. Seine Verdienste um die Deutsche Einheit würden bleiben, so der Bundestagspräsident. Biedenkopf wurde 91 Jahre alt. (ste/25.08.2021)

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