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Wolodymyr Selenskyj: Deutschland muss Füh­rungsrolle einnehmen

Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, hat die Bundesregierung in einer live übertragenen Videoansprache vor dem Bundestag zu mehr Unterstützung aufgefordert, um den Krieg in seinem Land zu stoppen. „Bitte helfen Sie uns“, sagte er am Donnerstag, dem 17. März 2022, in seiner rund 20-minütigen Rede. Insbesondere erneuerte Selenskyj seine Forderung nach der Schaffung einer Flugverbotszone, damit humanitäre Konvois die eingekesselten Menschen in der belagerten Stadt Mariupol erreichen können. 

Blick ins Plenum mit Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet auf den Videowänden.

Wolodymyr Selenskyj sprach zu Beginn des Sitzungstages per Videoschalte zu den Abgeordneten. (DBT/photothek/Thomas Trutschel)

Der Präsident erinnerte an die Luftbrücke der westlichen Alliierten während der Berliner Blockade Ende der 1940er Jahre. „Wir können keine Luftbrücke bauen, denn von unserem Himmel fallen nur russische Bomben.“ Sie würden nicht unterscheiden zwischen zivilen und militärischen Objekten. „Die russischen Truppen bombardieren unsere Städte und zerstören alles, was in der Ukraine da ist. Das sind Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, alles. Mit Raketen, mit Luftbomben, mit Artillerie“. Tausende Ukrainer seien bereits gestorben, darunter 108 Kinder. „Und das mitten in Europa, im Jahre 2022.“ Wieder werde versucht, in Europa ein ganzes Volk zu vernichten.

Selenskyj: Neue Mauer mitten in Europa

Die russische Invasion habe eine Art neuer Mauer mitten in Europa geschaffen, die „zwischen Freiheit und Unfreiheit“ trenne, sagte Selenskyj. An Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) persönlich gewandt, appellierte er: „Zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die es verdient.“ Es gelte jetzt, der Ukraine zu helfen, damit „nicht etwas passiert, wofür man wieder so eine lange Aufarbeitung braucht“.

Selenskyj warf Deutschland vor, daran mitgewirkt zu haben, die Ukraine Russland auszuliefern. Als Beispiel nannte er das lange Festhalten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und die Weigerung des Westens, der Ukraine eine Mitgliedschaft in der Nato zu ermöglichen. Er bat im Bundestag darum, der Ukraine den Beitritt zur Europäischen Union zu ermöglichen und „nicht noch einen weiteren Stein in die Mauer zu setzen“. 

Göring-Eckardt: Die Welt steht der Ukraine bei

Von den Abgeordneten wurde Selenskyj mit stehendem Applaus empfangen und verabschiedet. Wegen technischer Probleme konnte er allerdings erst einige Minuten später zugeschaltet werden. Es habe in Kiew „einen Anschlag in unmittelbarer Nähe“ gegeben, sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen)

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt vor einem Mikrofon.

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt vor der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten, Wolodymyr Selenskyj. (DBT/photothek/Thomas Trutschel)

Sie sicherte der Ukraine in ihrer Begrüßung die Solidarität Deutschlands zu und forderte ein Ende des Krieges. Dass die russischen Truppen bewusst zivile Ziele angriffen, sei ein „eklatanter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“. Die Menschen bräuchten Hilfe – „schnell und ohne Gefahr von neuen Angriffen. Sie müssen wenigstens die umkämpften Orte auf sicheren Routen verlassen können“. In Gedenken an die Opfer sagte Göring-Eckardt: „Wir sehen euch, wir sind in Gedanken bei euch und bei denen, die um euch trauern.“

„Ihr Land hat sich für die Demokratie entschieden“, sagte sie an Selenskyj direkt gewandt. „Genau das fürchtet Wladimir Putin. Er versucht, Ihrem Land eine eigene Geschichte, eine Identität, ein Existenzrecht abzusprechen. Damit ist er schon jetzt gescheitert.“ Die Ukrainerinnen und Ukrainer seien geeinter und entschlossener als je zuvor und die Welt stehe der Ukraine bei. „Auch Deutschland ist an Ihrer Seite.“

Geschäftsordnungsantrag abgelehnt

Als Göring-Eckardt im Anschluss an die Rede Selenskyjs zur Tagesordnung überging, kam es zu wütenden Zwischenrufen insbesondere aus der Unionsfraktion. Bevor die Debatte über die Impfpflicht beginnen konnte, folgte eine Geschäftsordnungsdebatte über einen Antrag von CDU/CSU für eine 68-minütige Aussprache über den Ukraine-Krieg.

CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz sagte zur Begründung, man wolle von Bundeskanzler Olaf Scholz drei Wochen nach dessen erster Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine wissen: „Wo stehen wir, haben wir das richtig gemacht, gibt es möglicherweise Entscheidungen, die nachkorrigiert werden müssen?“ Auch Redner von AfD- und Linksfraktion forderten eine Positionierung der Bundesregierung. Einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag lehnte die Koalition von SPD, Grünen und FDP jedoch ab. (joh/17.03.22)

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