Parlament

Robin Wagener: Die Ukrai­ne hat unsere volle Solidarität verdient

Symbolbild: Robin Wagener steht hinter dem Rednerpult im Plenarsaal während einer Rede und spricht

Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag (DBT/Thomas Imo/photothek)

„Unsere volle Solidarität“ hat die Ukraine angesichts des russischen Überfalls verdient, sagt Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, die sich als erste Gruppe in der neuen Wahlperiode konstituiert hat und die Beziehungen zwischen den gewählten Repräsentanten beider Länder pflegt. „Die Ukraine verteidigt auf ihrem Gebiet die Idee eines freien und demokratischen Europas“, stellt Wagener im Interview fest, und „muss in die Lage versetzt werden, sich zu verteidigen.“ Deutschland trage eine historische Verantwortung für die Ukraine und sei ein zentraler Partner bei deren Streben nach einer europäischen Perspektive. Das Interview im Wortlaut:

Herr Wagener, vergangene Woche war der ukrainische Parlamentspräsident, Ruslan Stefantschuk, zu Gesprächen im Deutschen Bundestag. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die am 8. Mai die Ukraine besucht hatte, hat ihren ukrainischen Kollegen empfangen, es gab eine gemeinsame Sitzung des Auswärtigen und des Europa-Ausschusses. In beiden Gremien sind Sie Mitglied. Was sind die wichtigsten Ergebnisse der gemeinsamen Ausschusssitzung?

Ruslan Stefanchuk vertrat als Präsident der Werchowna Rada – dem ukrainischen Parlament – die verschiedenen politischen Fraktionen seines Hauses. Er kam als ein starker und eindrucksvoller Vertreter der demokratischen Ukraine nach Berlin und hat den Wunsch und die Hoffnung auf einen glaubwürdigen Beitrittsprozess für sein Land in Richtung Europäische Union unterstrichen. Dafür erhielt er viel Zustimmung aus den Reihen der deutschen Abgeordneten. Wir haben außerdem die aktuellen Herausforderungen der Ukraine vor dem Hintergrund des verbrecherischen russischen Angriffskriegs beraten und dabei auch Deutschlands Solidarität unterstrichen, wie sie durch die beiden fraktionsübergreifenden Anträge des Bundestags zum Ausdruck gebracht wurden. Mit den Anträgen wurden die finanziellen, politischen, humanitären Unterstützungsmaßnahmen und unsere Vereinbarungen zur Lieferung der dringend benötigten militärischen Güter verbrieft.

Hatte die deutsch-ukrainische Parlamentariergruppe des neu gewählten Bundestages bereits Gelegenheit, ihre ukrainischen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen bzw. wie stehen Sie miteinander im Austausch?

Die deutsch-ukrainische Parlamentariergruppe hat sich als erste Gruppe konstituiert – auch als Ausdruck der Unterstützung der ukrainischen Demokratie. Meine Fraktion hat mich bereits am 27. Februar 2022 zum Vorsitzenden gewählt. Seither sind wir im steten Austausch mit unseren Partnerinnen und Partnern. Dazu zählen persönliche Besuche unserer Kolleginnen und Kollegen hier in Berlin, aber auch vielfältige Telefonate und Videokonferenzen. Meine geplante Reise in die Ukraine musste ich leider wegen einer Corona-Infektion kurzfristig absagen. Diese werde ich aber alsbald nachholen. Mir ist es wichtig, die Stimmen unserer ukrainischen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag hörbar zu machen und die ukrainischen Perspektiven zu verdeutlichen. Das tue ich in meinen Reden und freue mich aber auch besonders, dass die Bundestagspräsidentin unsere ukrainisch-deutsche Anregung aufgenommen und der Bundestag eine Foto-Ausstellung mit dem Titel „Die Ukraine: Preis der Freiheit“ präsentiert hat.

Was für Erwartungen haben die ukrainischen Parlamentarier an ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen?

Deutschland war, ist und bleibt ein zentraler Partner für die Ukraine. Die vielfältigen Reformen in der Ukraine der vergangenen Jahre fanden oft auch mit deutscher Unterstützung statt. Deutschland hat sich im Normandie-Format für ein Ende des russischen Krieges, der ja bereits seit 2014 andauert, eingesetzt. Unsere ukrainischen Partner wissen daher um unsere Bemühungen und die Gespräche sind von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Natürlich wünschen sich unsere Kolleginnen und Kollegen auch jetzt, im Angesicht des russischen Angriffs, unsere volle Solidarität. Und die haben sie auch verdient! Die Ukraine verteidigt auf ihrem Gebiet die Idee eines freien und demokratischen Europas. Sie verteidigen Rechtsstaatlichkeit gegen Rechtlosigkeit und erwarten in diesem Kampf zurecht unsere Unterstützung – politisch, finanziell, humanitär und militärisch.

Was tun Sie als Parlamentarier, um dem Land und Ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Werchowna Rada zu helfen, mit der aktuellen Situation zurecht zu kommen?

Putins verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine hat uns alle in eine neue Realität gebracht – wir leben heute in einer anderen Welt. Dieser Erkenntnis müssen wir uns alle stellen. Putins Krieg ist keine Naturkatastrophe, kein Virus. Es ist die gezielte Verletzung unserer europäischen Friedensordnung und der Versuch, die diktatorische Herrschaft des Kremls auszudehnen. Als Parlamentarier ist es unsere Aufgabe, diese Realität zu begreifen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Putin kennt keine Gnade und richtet seine Waffen auch gegen Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Schutzunterkünfte und Nahrungsmittelspeicher, kritische Infrastrukturen der Energieversorgung. Die Vernichtung der freien Ukraine ist sein Ziel. Unsere Solidarität ist daher so vielfältig, wie die Folgen dieses Krieges. Jeder Ausschuss, egal ob Verteidigung, Landwirtschaft, Gesundheit oder Kulturpolitik, ist mit den Auswirkungen des Krieges befasst und sucht nach Wegen, unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde zu unterstützen. Die Kolleginnen und Kollegen in der Rada wissen um unsere vielfältigen Angebote, um das Parlament als Ort der Demokratie zu schützen. Aber hier geht es um mehr. Die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, sich zu verteidigen, Gebiete wieder zu befreien und am Ende auch gegen den Aggressor zu siegen. Sie verteidigt nicht allein ihr Staatsgebiet, sondern auch die souveränen Entscheidungen über die Zukunft des Landes.

Sie gehören zu den neuen Gesichtern im Deutschen Bundestag und leiten eine Parlamentariergruppe, deren Partnerland nun im Rampenlicht steht, weil ihm ein Krieg aufgezwungen wurde. Was haben Sie sich für die kommenden drei, vier Jahre für Ihre Arbeit in der Gruppe, mit der Gruppe vorgenommen?

Die Ukraine hat sich für den Weg Richtung EU entschieden – und das bereits vor dieser 20. aber auch schon vor der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags. Seither waren viele Abgeordnete mit dem Land betraut. Den Weg der Ukraine zu unterstützen, habe ich mir zur Aufgabe gemacht. Ich bin fasziniert von der Kraft und dem Willen der Ukrainerinnen und Ukrainer, ein Leben in Selbstbestimmung, Frieden und Rechtstaatlichkeit führen zu wollen. Frei von Unterdrückung und Willkür. Deutschland hat die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen auf dem Boden der Ukraine zu verantworten. Verbrechen wie das Massaker von Babyn Jar, bei dem 1941 über 33.000 Menschen innerhalb weniger Stunden durch Wehrmacht und SS ermordet wurden. Doch diese Geschichte ist in Deutschland zu wenig bekannt. Auch die Verbrechen des Stalin-Regimes sind es nicht. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass die Ukraine, ihre Geschichte und ihr Streben nach Souveränität in Deutschland besser verstanden und unterstützt wird und wir unserer Verantwortung gerecht werden. (ll/15.06.2022)

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