Steinmeier: Schützen wir unsere Freiheit und Demokratie
Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier hat dazu aufgerufen, „unsere Freiheit“ und „unsere Demokratie“ zu schützen. In der Gedenkstunde zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Europa ermutigte Steinmeier dazu, „diesem Land“ zu vertrauen und „Vertrauen in uns selbst“ zu haben. Zur Gedenkstunde am Donnerstag, 8. Mai 2025, im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner auch Bundeskanzler Friedrich Merz, Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger und den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Stephan Harbarth, als Vertreter der übrigen Verfassungsorgane willkommen geheißen.
„Deutsche haben diesen verbrecherischen Krieg entfesselt“
Der Bundespräsident skizzierte in seiner Rede den Zustand Deutschlands am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation: „Städte in eine endlose Trümmerlandschaft verwandelt, statt Häusern nur noch Schuttberge und Gerippe aus Mauerresten.“ Mehr als 60 Millionen Menschenleben in Europa habe der Krieg gekostet, „sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet, Millionen obdach- und heimatlos, verwaist, gebrochen, verwundet, hungernd“.
Deutsche hätten diesen „verbrecherischen Krieg“ entfesselt und ganz Europa in den Abgrund gerissen, das Menschheitsverbrechen der Shoah begangen: „Und es waren Deutsche, die nicht willens und nicht fähig waren, selbst das Joch des NS-Regimes abzuwerfen.“
„Der Geschichtslüge des Kreml entschieden entgegentreten“
Den Befreiern, den alliierten Soldaten und europäischen Widerstandsbewegungen, gelte „unser tiefer Dank“, so Steinmeier unter Beifall: „Das vergessen wir nicht!“ Vergessen werde auch nicht der Beitrag der Roten Armee, die Auschwitz befreit habe. „Aber gerade deshalb treten wir den heutigen Geschichtslügen des Kreml entschieden entgegen“, sagte der Bundespräsident.
„Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus. Putins Angriffskrieg, sein Feldzug gegen ein freies, demokratisches Land, hat nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg. Am Ende ist diese Geschichtslüge nichts als eine Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen!“
Dank für Versöhnung und Kampf gegen Antisemitismus
Steinmeier bekräftigte, die Ukraine in ihrem Kampf um ihre Freiheit, Demokratie und Souveränität zu unterstützen: „Ließen wir die Ukraine schutz- und wehrlos zurück, hieße das, Lehren des 8. Mai zu verraten!“ Zugleich dankte er für das Vertrauen, „das uns so viele Länder nach dem Krieg entgegengebracht haben“, und nannte beispielhaft Polen, Frankreich und Israel: „Wir Deutsche können für dieses Geschenk der Versöhnung nicht dankbar genug sein!“
Es müsse gewährleistet werden, so der Bundespräsident weiter, dass „es für Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Raum“ gibt. Geschichtsvergessen und unerträglich sei es, „wenn sich Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher fühlen in unserem Land“ – unerträglich nicht nur für Jüdinnen und Juden, sondern auch „für unsere Demokratie“.
Der lange Weg zu Freiheit und Demokratie
Am 8. Mai 1945, so der Bundespräsident weiter, habe Deutschlands langer Weg zu Freiheit und Demokratie begonnen. Im Osten des Landes sei die Freiheit den Menschen während der Einparteienherrschaft der SED weiter vorenthalten geblieben. Die Aufarbeitung der Vergangenheit habe Verletzungen hinterlassen, auch zwischen den Generationen. In der DDR sei Antifaschismus zwar Staatsdoktrin gewesen, eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte habe aber nicht stattgefunden. In der jungen Bundesrepublik seien viele in neue Ämter gekommen, „die treue Diener des NS-Regimes gewesen waren“.
40 Jahre nach der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker sei der 8. Mai als Tag der Befreiung „Kern unserer gesamtdeutschen Identität geworden“, hob der Bundespräsident hervor. Heute müsse man aber nicht mehr fragen, ob der 8. Mai „uns befreit“ hat, sondern „Wie können wir frei bleiben?“
„Ein doppelter Epochenbruch“
Die Befreier von Auschwitz seien zu neuen Aggressoren geworden. Hinzu komme, dass nun auch die Vereinigten Staaten, die die internationale Nachkriegsordnung auf Basis des Völkerrechts maßgeblich mitgeschaffen und geprägt hätten, sich von ihr abwendeten: „Eine Erschütterung neuen Ausmaßes.“
Der Bundespräsident sprach von einem doppelten Epochenbruch, der das Ende des „langen 20. Jahrhunderts“ markiere: der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas. Die Faszination des Autoritären und populistische Verlockungen würden auch in Europa wieder Raum gewinnen, Zweifel an der Demokratie würden laut. Steinmeier unter Beifall: „Wer Gutes für dieses Land will, der schützt das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen. Das erwarte ich von allen Demokraten in diesem Land.“
„Demokratien sind keine wehrlosen Opfer“
Die Geschichte sei kein Gefängnis, betonte Steinmeier, sondern ein kostbarer Erfahrungsschatz. Er appellierte, ihre Lehren nicht über Bord zu werfen, „wenn sie uns etwas abverlangen“, für „unsere Werte“ einzustehen, nicht in Ängstlichkeit zu erstarren und Selbstbehauptung zu beweisen. Es dürfe nicht „unser Weg“ sein, dass wieder das „Recht des Stärkeren in seiner ganzen Rohheit zurückkehrt“.
Eine bessere Ordnung als die Demokratie, die anstrengend und nie fertig sei, gebe es nicht. Demokratien seien keine wehrlosen Opfer: „Wir müssen alles tun, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, um Putins Landnahme aufzuhalten.“ Deutschland werde gebraucht, um um Frieden zu ringen, „wo er verloren gegangen ist“. Auch das sei der Auftrag des 8. Mai.
Klöckner: Ungeheuerliches Ausmaß deutscher Verbrechen

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner eröffnete die Gedenkstunde mit einer Begrüßungsansprache. (© DBT/Thomas Koehler/photothek)
Bundestagspräsidentin Juli Klöckner erinnerte in ihrer Begrüßungsansprache an die Ermordung von Zehntausenden Lehrern, Priestern und Ärzten durch die deutschen Besatzer nach dem Überfall auf Polen. Auch im heutigen Belarus hätten die Besatzer gewütet. Sie sprach die Belagerung Leningrads mit mehr als einer Million Todesopfer an. Das „ungeheuerliche Ausmaß der deutschen Verbrechen“ sei bis heute nicht allen bewusst.
Das Gedenken am 8. Mai diene auch dazu, der Tendenz entgegenzuwirken, sich nicht mehr damit beschäftigen zu wollen. Allein die Erinnerung an den Holocaust jährlich am 27. Januar schütze nicht vor neuem Antisemitismus. „Während wir noch das ,Nie-wieder‘ beschwören, passiert das ,Wieder‘ schon jetzt, auf unseren Straßen, im Netz und sogar an Universitäten!“
Erinnerung an das Leid der Frauen und Mädchen
Klöckner erinnerte insbesondere an das Leid der Frauen und Mädchen im Krieg und begrüßte auf der Tribüne die 82-jährige Tochter eine Frau, die im Sommer 1945 Zeugin der Vergewaltigung ihrer Mutter wurde und die in einem Schreiben an den Bundestag gebeten hatte, am 8. Mai an die Frauen zu denken, „die Opfer von sexualisierter Kriegsgewalt wurden und bis heute im Rahmen kriegerischer Konflikte Opfer von Gewalt werden, weil sie Frauen sind“. In Butscha, Irpin und Mariupol, so Julia Klöckner, würden Mädchen und Frauen wieder zu Opfern sexualisierter Gewalt, eingesetzt als Kriegswaffe.
Das Leid der Frauen sei in der deutschen Nachkriegsgesellschaft verdrängt worden. Daher sei es Zeit, ihr Leid anzuerkennen und „auch die unglaubliche Kraft, mit der diese Frauen ums Überleben kämpften und entscheidend zum Wiederaufbau beitrugen“.
„Zur Verteidigung der Freiheit verpflichtet“
Geschichten aus den Gemeinden vor Ort, der eigenen Stadt, würden helfen, so Klöckner, „die Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft besser einzuordnen“. Der 8. Mai hat nach den Worten der Bundestagspräsidentin „unserer Neuorientierung hin zur Demokratie“ eine ganz besondere Bedeutung gegeben, einer Demokratie, „in die sich heute alle Deutschen einbringen können“.
Um Frieden und Freiheit zu bewahren, „müssen wir auch in der Lage sein, uns militärisch zu verteidigen“, sagte die Bundestagspräsidentin. Klöckner abschließend unter Beifall: „Wer befreit wurde, der ist auch verpflichtet, zu verteidigen – die Freiheit. Das ist der Auftrag des 8. Mai.“
Zeitzeugenberichte und Schostakowitsch-Streichquartett
Darüber hinaus zitierten drei junge Mneschen, die sich ehrenamtlich beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge engagieren – Tankred Suckau, Sophia Wegener und Carl Vitek –, aus zeitgenössischen Dokumenten. Die Zitate entstammten dem fünften Teil der „Deutschen Chronik“ des Schriftstellers Walter Kempowski (1929 bis 2007) mit dem Titel „Uns geht's ja noch gold“, dem Buch „Weiter leben. Eine Jugend“ der Holocaust-Überlebenden, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin Ruth Klüger (1931 bis 2020) und aus der BBC-Neujahrsansprache 1945 an deutsche Hörer sowie aus dem Tagebucheintrag vom 8. Mai 1945 des Schriftstellers und Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann (1875 bis 1955).
Im Anschluss an die Zeitzeugenberichte trug das Oxalis Quartett aus Mainz das Largo aus dem fünften Satz des Streichquartetts Nr. 8 c-moll, opus 110, des russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch (1906 bis 1975) vor. Stefan Besan (Erste Violine), Friederike Kampick (Zweite Violine), Tim Düllberg (Viola) und Lucija Rupert (Violoncello) intonierten das Stück aus dem Jahr 1960, das der Komponist mit der Widmung „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ versehen hatte.
Nach der Gedenkrede des Bundespräsidenten spielte das Blechbläserquintett der Universität der Künste Berlin mit Isolde Seyfarth (Trompete), Hagai Eitan Rozenberg (Trompete), Martin Lab (Horn), Pedro Marques de Almeida Unkart (Posaune) und Matthias Arnold (Tuba) die Nationalhymne und die Europahymne.
Gedenken an das Leid von Häftlingen
Anlässlich der Feier zur Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor 80 Jahren hatte Bundestagspräsidentin Klöckner am Sonntag, 4. Mai, die KZ-Gedenkstätte Dachau nahe München besucht. In ihrer Rede betonte sie, dass zwölf Jahre lang im Konzentrationslager Dachau Menschen erniedrigt, gequält, gefoltert, bestialisch getötet worden seien. Als Präsidentin des Deutschen Bundestages verneige sie sich vor diesen Menschen.

Bundestagsvizepräsidentin a.D. Petra Pau (Die Linke) hat bei der zentralen Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück einen Kranz im Namen des Bundestages niedergelegt. (© photothek/Kira Hofmann)
Ebenfalls am 4. Mai nahm Bundestagsvizepräsidentin a.D. Petra Pau (Die Linke) an der zentralen Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück teil und hat in Erinnerung an die vielen Schicksale sowie das Leid der Häftlinge einen Kranz im Namen des Bundestages niedergelegt. Das von der SS errichtete Konzentrationslager Ravensbrück war das größte Konzentrationslager für Frauen auf deutschem Gebiet. Zwei Tage zuvor vertrat Pau zudem das Präsidium des Bundestages bei der Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte Belower Wald. Die Gedenkstätte erinnert an die Opfer des Todesmarsches des Konzentrationslagers Sachsenhausen und befindet sich in einem Waldgebiet nahe der Stadt Wittstock/Dosse in Brandenburg.
Bereits am Sonntag, 6. April, hatte Petra Pau zusammen mit ihrem Nachfolger im Amt, Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow (Die Linke), der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen vor 80 Jahren gedacht. Beide erinnerten an die Gräuel der NS-Verbrechen und an die Befreiung der Lager und haben für das Parlament am Gedenkakt in der Weimarhalle und an der feierlichen Kranzniederlegung in der Gedenkstätte Buchenwald teilgenommen.
Ramelow beim Gedenken zur Befreiung Mauthausens

Gemeinsam mit dem Botschafter Deutschlands, Vito Cecere (links) gedachte Bodo Ramelow (rechts) den gestorbenen Häftlingen und sprach mit Hinterbliebenen der Opfer, Angehörigen der Mauthausen-Komitees, sowie mit Schülerinnen und Schülern und jungen Ehrenamtlichen. (© Jan Fahlbusch)
Vizepräsident Bodo Ramelow hat zudem am Sonntag, 11. Mai, den Bundestag bei der internationalen Gedenk- und Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte in Mauthausen vertreten. Anlässlich der Befreiung des bei Linz gelegenen Konzentrationslagers wurde der über 200.000 Menschen, die zwischen 1938 und 1945 von den Nationalsozialisten in Mauthausen inhaftiert worden waren und von denen mehr als jeder Zweite im Lager infolge von Zwangsarbeit, Unterernährung und Terror starb, gedacht.
„Die weiterhin hoch aktuelle Aufforderung an uns alle, Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus konsequent zu bekämpfen und für Frieden, Freiheit und internationale Solidarität einzutreten, ist das Vermächtnis der vor 80. Jahren befreiten Häftlinge von Mauthausen“, sagte Ramelow. „Es ist dem Präsidium wie in den Vorjahren ein wichtiges Anliegen gewesen, bei dieser aufgrund ihrer Dimensionen europaweit wohl einmaligen Befreiungsfeier in unserem Nachbarland vertreten zu sein.“ (vom/eis/ste/12.05.2025)